Passau: Der Konflikt an der Grenze zu Deutschland

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Österreich bringt Flüchtlinge direkt mit Bussen zur bayerischen Grenze. Das verursacht Rückstau bei der Übernahme - und sorgt für Verstimmung zwischen Bayern und Österreich.

Achleiten/Passau. Die Polizisten stehen fast Schulter an Schulter, aber zu sagen haben sie sich nicht viel. Nur eine hüfthohe Metallabsperrung trennt sie, dazwischen liegen allerdings Welten. Auf der einen Seite ist Deutschland, auf der anderen Seite Österreich. Auf der einen Seite stehen über tausend Flüchtlinge, die wegwollen, auf der anderen Seite ist ein Land, das sie nur gezielt hineinlassen will. Die gleiche Straße, die gleichen Bäume, aber eine Zahl, die einen Graben aufwirft. 50. So viele Menschen werden stündlich an den österreichisch-deutschen Grenzübergängen von den deutschen Behörden abgefertigt. „Wenn man die drei Hauptgrenzübergänge in Braunau, Achleiten und Kollerschlag in Oberösterreich rechnet, dann sind das 150 Menschen pro Stunde, bei 10.000 bis 11.000 Menschen, die täglich in Spielfeld ankommen. Da muss man kein Experte sein, um zu wissen, dass sich das nicht ausgeht“, sagt David Furtner, Polizeisprecher von Oberösterreich.

In den vergangenen Tagen hat sich regelmäßig an den Grenzübergängen in Oberösterreich und Salzburg ein Rückstau bei der Einreise nach Deutschland gebildet. Tausende warteten, oft auch über Nacht. Das heizte die Situation an. In Kollerschlag im Bezirk Rohrbach machte sich Montagabend eine Gruppe von 1500 Menschen selbstständig auf den Weg nach Deutschland, das Gleiche passierte in Achleiten am Sonntagabend.

„Unverantwortlich“

Bayerns Landesregierung hat dafür nur scharfe Worte: dass derzeit ohne Ankündigung tausende Flüchtlinge an die grüne Grenze zu Deutschland gebracht werden, sei ein „unverantwortliches Verhalten der österreichischen Regierung, das ich nur als skandalös bezeichnen kann“, sagte Bayerns Innenminister, Joachim Herrmann (CSU).

Österreich umgehe mit dem Transport von Flüchtlingen an die Grenze „ganz offensichtlich“ absichtlich die deutschen Grenzkontrollen, so Herrmann. Allein vom Organisatorischen her wären manche Probleme zu reduzieren, wenn die österreichischen Behörden mit den Bayern reden würden. Dies machten die Verantwortlichen im Nachbarland aber nicht. Bayerns Ministerpräsident, Horst Seehofer (CSU), spricht gar von einer Belastung der nachbarschaftlichen Beziehungen.

Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel (CDU), stellte sich dieser Argumentation entgegen. Sie warf den Vorwurf einer mangelnden deutsch-österreichischen Absprache in der Flüchtlingsfrage zurück. Seit Frühsommer gebe es „fast konstante tägliche Kontakte zu Österreich auf allen Ebenen“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Der Bayerische Flüchtlingsrat wiederum wirft der bayerischen Staatsregierung vor, zum Teil selbst schuld an der Situation an der Grenze zu sein. Die Landesregierung habe ein „geplantes Chaos an der Grenze“ geschaffen, weil sie „keine Züge fahren lässt“.

Auch am Dienstagnachmittag bildete sich vor dem Grenzübergang Achleiten in Oberösterreich (auf der anderen Seite liegt Passau) erneut eine Schlange von über tausend Leuten. Die Grenze verläuft hier auf einer schmalen Straße. Der Platz ist beengt. Die Flüchtlinge warten im Stehen oder Sitzen, bis ein deutscher Bus ankommt und wieder 50 Menschen mitnimmt.

Seit Wochen lassen die Deutschen an der Grenze 50 Personen pro Stunde durch, ihr Verhalten hat sich kaum geändert. Wohl aber das der Österreicher. Während der Weitertransport der Flüchtlinge, als diese noch in Nickelsdorf angekommen sind, großteils über Züge funktioniert hat, und sie damit in Deutschland besser verteilt werden konnten, geht der Weitertransport nun fast ausschließlich mit dem Bus. Und das direkt zur Grenze, vor allem nach Kollerschlag, Achleiten und Braunau. Das ärgert die Polizei in Passau (die drei Grenzübergänge gehören zu ihrem Gebiet) und überfordert sie. „Früher hatten wir 3000 Menschen in 24 Stunden in dem Gebiet. Jetzt sind es 8000, und die kommen zum Teil innerhalb von zwölf Stunden“, sagt Sprecher Frank Koller.

Der Grenzübergang Achleiten wurde erst am Sonntag als Flüchtlingsstützpunkt aufgemacht. Dementsprechend gibt es keine Infrastruktur. Das Rote Kreuz hat notdürftig ein Ausgabezelt für Essen und Tee aufgebaut. Am Abend werden Decken verteilt. Es gibt kein Zelt, nichts zum Unterschlüpfen. In der Nacht hatte es Grade um den Gefrierpunkt, trotzdem mussten die Flüchtlinge draußen warten. Bis sie an der Reihe sind. Seitens Deutschland betont man, dass man versuche mehr als 50 die Stunde abzufertigen. Die Zahl sei von den verfügbaren Bussen und Notquartieren abhängig, so Koller. So richtig in Fahrt, kommt der Weitertransport allerdings nicht.

Feuer neben der Tankstelle

Doch das Warten kann brandgefährlich sein. Um nicht zu frieren, zündeten in der Nacht auf Dienstag Flüchtlinge ein Feuer an. „Das ist nicht sehr schlau, wenn sie direkt neben einer Tankstelle sind“, erzählt ein Security-Mitarbeiter. Er wurde extra dazu abgestellt, die Leute von den Zapfsäulen fernzuhalten.

Eigentlich wollte die Polizei in Oberösterreich in Schärding ein Zelt für 1000 Flüchtlinge aufstellen. Doch das wurde um einen Tag verzögert. So soll es am Mittwoch ein Treffen zwischen den Chefs der Bundespolizei Deutschland, den Landespolizeichefs von Bayern sowie der Landespolizeidirektion Oberösterreich und jemandem aus dem Innenministerium geben, heißt es aus Polizeikreisen. Dort soll eine Lösung für eine geordnetere Übernahme gefunden werden. An der grundsätzlichen Situation ändert das freilich nichts.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2015)

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