Wo Radikalisierung auch in Österreich passiert

(c) Stanislav Jenis
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In Gebetsräumen, in Kampfsportstudios, auf der Straße oder im Internet. Radikale Islamisten haben viele Wege, um junge Menschen für sich zu gewinnen.

Und plötzlich waren sie weg. Die bosnischstämmigen Mädchen Samra (16) und Sabina (15) sind vor mehr als einem Jahr nach Syrien gereist, um sich dort der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Die Eltern blieben fassungslos zurück, waren ihre Kinder doch nicht besonders religiös aufgewachsen. Sie trugen kein Kopftuch, liebten Shopping und Ausgehabende mit Freunden.

Im Nachhinein kann man nur vermuten, was passiert ist. Dass sie im Umfeld einer bosnischen Moschee radikalisiert wurden, über das Internet Gleichgesinnte suchten. Ihre Abreise nach Syrien war genauestens geplant. Ob sie noch leben?

250 Menschen haben sich nach aktuellen Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in Österreich aktiv zum Jihad in Syrien und im Irak bekannt und sind dorthingereist. Mehr als die Hälfte von ihnen stammt aus der tschetschenischen Gemeinschaft. Was damit erklärt wird, dass gerade Tschetschenen einen besonders grausamen Krieg erlebt haben. Ihr Verständnis von Gewalt sei anders.

Die Rekrutierungen passieren „überall dort, wo Menschen aufeinandertreffen“, sagt Politologe Thomas Schmidinger, der sich mit dem Thema befasst. Im Park, auf der Straße, im Jugendzentrum, im Kampfsportklub. Sozusagen zum Einstieg hören die Nachwuchsislamisten Sätze wie diesen: „Wenn die Kuffar (die Ungläubigen, Anm.) die Muslime angreifen, dann ist es jedermanns Pflicht, gegen die Kuffar zu kämpfen und den Islam zu verteidigen.“ Das vorliegende Zitat stammt aus einer auf Video aufgezeichneten Brandrede von Österreichs prominentestem Islamisten, den in Graz in Untersuchungshaft sitzenden Prediger Mirsad O., der sich Ebu Tejma nennt. Der inzwischen 34-jährige serbische Staatsbürger wartet seit einem Jahr auf seinen Prozess. Sozusagen als Archetyp des radikalen Imams kann man am Wirken seiner Person nachzeichnen, wo und wie Radikalisierung im Rahmen muslimischer Religionsvereine passiert.

Keimzelle Salafismus. Typische Orte für radikalislamistische, zwangsläufig jedoch noch nicht jihadistische Auswüchse sind Moscheen, in denen der Salafismus den Ton angibt. Manche sind nach außen als Gebetshäuser zu erkennen, andere haben nicht einmal ein Namensschild an der Türklingel. Den Überblick zu bewahren ist schwer. Recherchen haben ergeben, dass es in Wien derzeit acht, in Graz drei und in Linz einen salafistischen Verein gibt. Mindestens. Außerhalb des Verfassungsschutzes erlangte insbesondere die Altun-Alem-Moschee in Wien Leopoldstadt zweifelhafte Berühmtheit. Knapp ein Viertel aller ausgereisten Kämpfer waren laut Erkenntnissen der Ermittler hier zu Gast, immer wieder traten und treten radikale Imame aus dem In- und Ausland hier vor das Publikum.

Dabei tauchen in den Unterlagen der Staatsschützer jedoch auch andere Salafistentreffs auf, etwa der Verein zur Förderung der islamischen Kultur in Österreich (Tawhid-Moschee) in der Meidlinger Murlingengasse. Oder das Austria-Bangladesh Cultural Center in der Adalbert-Stifter-Straße (Brigittenau). Predigten der dazugehörigen Imame sind mit etwas Geschick im Internet zu finden. Die Wortwahl ist immer deutlich, jedoch fast nie strafrechtlich relevant.

Manche Vereine sind derart klein, dass sie eher konspirativen Zirkeln gleichen. Mit Moscheen haben diese Treffpunkte nichts mehr zu tun. Furkan in der Wiener Straße in Graz war so eine Organisation, die sich praktischerweise gleich an der Wohnadresse eines vom Staatsschutz observierten Extremisten befand. Von hier dürften genauso Jugendliche für den bewaffneten Jihad in Syrien angeworben worden sein wie vom Verein Rahmed (Holzmüllerstraße in Linz).

Nicht selten kommt es vor, dass Jugendliche, die sich gerade in einer persönlichen Krise befinden, in einem gewöhnlichen Gebetshaus von Rekrutierern ausgemacht, angesprochen und zu versteckten Hinterhoftreffpunkten wie den genannten eingeladen werden. Dort treten dann Personen auf, die selbst schon in Syrien gekämpft haben. Über diese Zirkel weiß der Staatsschutz sehr wenig, weil sie hochkonspirativ arbeiten. Die Einschleusung gut ausgebildeter verdeckter Ermittler ist allein schon aus Gründen des Alters kaum möglich bzw. würde beim jugendlichen Publikum auffallen. Auch das Misstrauen ist extrem groß. Der Staatsschutz drängt deshalb auf die Möglichkeit, gegen Bezahlung direkt Vertrauenspersonen aus der Szene anheuern zu dürfen – mit allen damit verbundenen Risken.

Naive Betreiber. Dabei ist das Schließen „echter“ Moscheen relativ schwer. Häufig wissen die Betreiber gar nichts von den radikalen Umtrieben ihrer Gastprediger (oder schauen großzügig weg). Die durch seinen prominentesten Besucher, den Austroislamisten Mohammend Mahmoud, bekannt gewordene Sahaba-Moschee in Neubau war so ein Fall. Wobei der Gebetsraum gegenüber der Stiftskaserne aus anderen Gründen inzwischen geschlossen worden ist.

Eine wichtige Rolle für Anwerbung und Radikalisierung spielen auch Freizeitvereine im Umfeld von Moscheen. Sie organisieren österreichischen Schullandwochen nicht unähnliche Jugendcamps. Eine Woche im Zelt leben, die Natur gemeinsam erleben, am Lagerfeuer über Religion sprechen. Es ist die Gruppe, die hier eingeschworen wird. Ältere, die sich um die Jungen kümmern.

Dieser Gruppengedanke wird auch im Sport ausgelebt. Wenn im Fitnessstudio zwischen den Übungen der eine versucht, den anderen mit Wissen über den Koran zu übertreffen. So sind auch Kampfsportstudios (unfreiwillig) immer wieder in Zusammenhang mit Jihadisten genannt worden. Haben doch viele von ihnen ein Faible für Martial Arts. Der deutsche Weltmeister im Thaiboxen, Valdet Gashi, hat sich Anfang des Jahres von der Schweiz aus dem IS angeschlossen. Nicht ohne jugendliche Anhänger mitzunehmen. Gashis Name taucht auch in den Ermittlungen gegen den inhaftierten Prediger Mirsad O. auf. Es scheint demnach wahrscheinlich, dass sie sich kannten, O. und sein Bruder Kampfsportstunden beim Meister nahmen.

Da ihre Tätigkeit immer mehr in Verruf gerät, machen Wiener Sportler nun selbst mobil. Unter dem Titel „Not in God's Name“ haben sich neun Kampfsportler und ein Fußballer zusammengetan, um ein Statement gegen den Jihadismus abzulegen. Unter ihnen: W5-League-Thaiboxer Karim Mabrouk. Er lässt sich mit ausgestreckter Hand für eine Kampagne fotografieren, die weniger auf große Plakate als auf Verbreitung über Facebook setzt. Karim und seine Kollegen (unter ihnen der Fußballer Yüksel Sariyar, Thai- und Kickbox-Champion Foad Sadeghi) sind in dem Projekt angehalten, aufmerksam im Training zu sein: Leute darauf anzusprechen, sollten sich diese abfällig über andere Religionen äußern. „Vielleicht hilft es, dass wir nur einen Menschen davon abhalten, ein Attentat zu planen“, sagt Projektinitiator Alexander Karakas, Mitgründer des Start-ups Feels Like Home und der Initiative Trialog, wo Juden, Muslime und Katholiken gemeinsam Fußball spielen.
Die zehn Sportler sollen eine Vorbildwirkung haben. „Die Jugendlichen lesen doch keine österreichischen Zeitungen. Manche können gar nicht lesen“, sagt er. Ein Politiker, der vor den Gefahren des IS warnt, sei für diese Zielgruppe nicht relevant. „Er weiß ja nichts von deren Leben“, sagt Karakas.

Koran für alle. Im Zusammenhang mit Radikalisierung zählen die Koran-Verteilungen in vielen Gemeinden Österreichs noch zu den harmloseren Aktivitäten. Sie dienen in erster Linie dazu, Präsenz zu zeigen, und werden so gut wie immer von salafistischen Gruppierungen durchgeführt. Wobei Salafismus nicht automatisch Jihadismus bedeutet. Selbst in dieser strengen Ausformung des Islam gehören jene, die den vermeintlich Heiligen Krieg befürworten, einer Minderheit an.

Eine Minderheit, die vor allem im Internet gut sichtbar ist: Hier schaffen Terrorgruppen mit Videos ihren eigenen Mythos. „Die Videos sind extrem gut gemacht“, sagt Sozialarbeiter Fabian Reicher, der im Jugendzentrum Back Bone 20 in Wien Brigittenau immer wieder mit Teenagern zu tun hat, die sich vom Jihad angezogen fühlen. Die Clips erzählen Geschichten über einsame Rächer, Helden und Ruhm. Trotzdem sind nicht alle, die sich die Videos ansehen, gefährdet, in den Jihad zu ziehen. Mittlerweile gibt es einen Begriff dafür: Pop-Salafismus. Gotteskrieg als Jugendtrend.

Dahinter, sagt Reicher, stehe ganz oft Provokation. „Man will sehen, ob man angenommen wird.“ Denn die vielen islamkritischen Berichte werden zunehmend zu einem Problem für Jugendliche. „Wenn ich ständig höre, dass meine Religion gefährlich ist, dann glaube ich das irgendwann auch.“ Regelmäßig würden Jugendliche davon berichten, in der Schule aufgrund ihres Glaubens schikaniert worden zu sein. „Gib den Fetzen runter“, soll ein Lehrer zu einer verschleierten Schülerin gesagt haben. Und das gehöre noch zu den harmloseren Äußerungen. Dabei sei das genau das, was der Islamische Staat erreichen wolle. Eine Spaltung der Gesellschaft.

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