Stefan Wallner: Glawischnigs Kickl

Stefan Wallner
Stefan WallnerDie Presse
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Bei den Grünen regt sich Widerstand gegen den Führungsstil des Bundesgeschäftsführers. Eva Glawischnig hat allen Grund, an ihm festzuhalten: Noch nie war die Partei so erfolgreich wie unter Stefan Wallner.

Stefan Wallner würde jetzt protestieren, aber der Vergleich mit seinem freiheitlichen Amtskollegen Herbert Kickl liegt – bei allen weltanschaulichen Differenzen – auf der Hand: Beide sind überdurchschnittlich intelligent, überdurchschnittlich machtbewusst, strategisch geschickt, Freunde einfacher Botschaften und, am jeweiligen Anspruch gemessen, erfolgreich. Der Unterschied ist, dass Kickl in seiner Partei nahezu unumstritten ist, Wallner nicht. Oder nicht mehr.

Es gibt Unmut bei den Grünen, Widerstand, wenn nicht bereits einen Aufstand gegen einen als autoritär empfundenen Führungszirkel. Von einem Männerregime um Eva Glawischnig ist die Rede, von abgedrehten Debatten und einer Politik der Hinterzimmer. Im Zentrum der Kritik steht Stefan Wallner, der Bundesgeschäftsführer.

Der ehemalige Wiener Gemeinderat Klaus Werner-Lobo, der die Grünen vor Kurzem nicht ohne letzte große Selbstdarstellung verlassen hat, hat Wallner im „Standard“ als großes Problem der Partei bezeichnet. Er habe aus den Grünen ein postdemokratisches Projekt gemacht. Marketing und PR seien wichtiger geworden als die Inhalte.

Das kann man so sehen. Man könnte aber auch ins Treffen führen, dass die Grünen noch nie so erfolgreich waren wie unter Glawischnig und Wallner. Als ihn die Parteichefin vor sechs Jahren von der Caritas abgeworben hat, haben die Grünen nur in Oberösterreich mitregiert. Heute sind sie in fünf Landeskoalitionen vertreten, bis Oktober waren es – mit Oberösterreich – sogar sechs. Auch im Bund ist die Partei stärker denn je. 12,4 Prozent hatten die Grünen nicht einmal unter dem breitenwirksamen Alexander Van der Bellen.

Wallner hat – darin zumindest sind sich fast alle in der Partei einig – maßgeblich dazu beigetragen. Allerdings haben viele Grüne ein Problem mit seinem Führungsstil, der als sehr direktiv, old school, bisweilen einschüchternd und damit nicht wirklich zur grünen Haltung passend beschrieben wird. „Zwischenmenschlich hat er noch großes Entwicklungspotenzial“, sagt eine Landespolitikerin. „Man könnte den Job auch mit weniger Bröseln machen.“

Kann man das? Bruno Kreisky hatte Charly Blecha, Wolfgang Schüssel hatte Reinhold Lopatka, Jörg Haider hatte Peter Westenthaler, Heinz-Christian Strache hat Herbert Kickl und Eva Glawischnig eben Wallner. Für Sanftmütigkeit und ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis sind erfolgreiche Parteimanager normalerweise nicht bekannt. Konfliktbereitschaft und ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit sind – frei nach Uwe Scheuch – part of the game. So hielten und halten sie dem Parteichef den Rücken frei und die Flügel zusammen.

Wallner hat Strukturen bei den Grünen aufgebrochen und die Partei zentralisiert. Vor ihm hat jede Landespartei mehr oder weniger gemacht, was sie wollte. Mittlerweile gibt die Bundespartei im Wesentlichen die Richtung vor, Inhalte, Botschaften, sogar die Werbelinie. Wallner, heißt es, interveniere sofort, wenn jemand von der Parteilinie abweiche – nicht immer auf die feine englische Art. „Mir ist schon klar, dass wir kein Strickverein sind und was seine Aufgabe ist“, meint eine Parteifreundin. „Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass er seine Macht zelebriert.“

Als der türkischstämmige Bundesrat Efgani Dönmez 2013 One-way-Tickets für Anhänger des türkischen Präsidenten, Erdoğan, gefordert hatte, wurde er vor die Wahl gestellt: Entschuldigung oder Parteiausschluss. Die Wiener Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, musste ihre Position revidieren, nachdem sie in der Vorwoche beim Thema Flüchtlingsobergrenze Diskussionsbereitschaft signalisiert hat – mutmaßlich auf Anordnung der Bundespartei. Wallner sagt dazu nur: „Menschenrechte sind die Basis grüner Politik. In dem Rahmen muss man sich bewegen.“

Kopf gegen Bauch. Bei seinem früheren Arbeitgeber ist man nicht überrascht, dass Wallner bei den Grünen polarisiert. In seinen zehn Jahren als Generalsekretär der Caritas war das nicht anders. Er habe einen guten Job gemacht, aber auch angeeckt, heißt es. Ein früherer Kollege glaubt, dass sich Wallner mit Menschen schwertut, die emotionsgesteuert sind und intuitiv handeln. „Das ist ihm zu unüberlegt, er ist ein Kopfmensch, das ist auch seine Stärke.“ Autoritär werde er nur, wenn ihm jemand argumentativ nicht gewachsen sei.

Es ist nicht leicht, den grünen Bundesgeschäftsführer vom Gegenteil zu überzeugen, wenn er sich einmal eine Meinung über etwas oder jemanden gebildet hat. Von Rolf Holub etwa, heute Landesrat in Kärnten, war er immer überzeugt – im Gegensatz zu Holubs Landespartei, die ihn eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl 2013 absetzen wollte. Wallner verhinderte das, indem er mehrmals nach Klagenfurt ausrückte. Heute sind ihm die Kärntner Grünen dankbar. Mit Holub an der Spitze verdoppelten sie sich auf zwölf Prozent und kamen in die Landesregierung.

Ein Jahr später, im Vorfeld der EU-Wahl, setzte Wallner den Burgenländer Michel Reimon auf dem zweiten Listenplatz hinter Ulrike Lunacek durch. Gegen den Widerstand der niederösterreichischen Grünen, die ihre Landessprecherin Madeleine Petrovic nach Brüssel wegloben wollten. Damals wäre es beinahe zum Bruch zwischen Wallner und dem Niederösterreicher Dieter Brosz gekommen. Brosz, als geschäftsführender Parlamentarier eine Art Wallner im grünen Parlamentsklub, gilt als zweiter Alphamann im Glawischnig-Beratungsklub. Das Verhältnis der beiden grünen Eminenzen ist intakt, aber weniger gut, als allgemein angenommen. Man weiß die Stärken des anderen zu schätzen und lässt sich gegenseitig in Ruhe.

Als Sachpolitiker tritt Wallner nur noch selten in Erscheinung, obwohl er auch das kann. Sein Spezialgebiet ist – wieder so eine Parallele zu Herbert Kickl – die Sozialpolitik. In seinen Anfängen bei der Caritas verfasste er zwei Studien über Armut in Österreich. Später trat er vor allem als Lobbyist in Erscheinung: für die Mindestsicherung, den Pflegefonds oder auch die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden.

Bei den Grünen lässt er anderen den Vortritt und arbeitet in seinem kleinen Büro am Wiener Rooseveltplatz an der Weiterentwicklung der Partei. Dafür wurde er von Glawischnig geholt. 2012, im Jahr vor der Nationalratswahl, gab Wallner eine Studie in Auftrag, um die Zielgruppe besser kennenzulernen, ihre Wünsche, Sorgen und Lebensumstände. Das Ergebnis: Der Grün-Wähler von gestern wollte die Welt verbessern, der Grün-Wähler von morgen will das auch, aber erst dann, wenn er einen guten Job, eine schöne Wohnung und eine gute Schule für seine Kinder hat.

Dementsprechend wurde die Politik adaptiert. Alte Dogmen wurden zwar nicht aufgegeben, aber anders verkauft. Weil Wallner dann doch Kickls lyrisches Talent fehlt, hat er Martin Radjaby von Ö3 geholt, um das Lebensgefühl, das die Grünen vermitteln wollen, in knackige Botschaften zu übersetzen. Anti-Atomkraft-Proteste gehörten der Vergangenheit an. Die modernen Grünen traten nun für saubere Umwelt, saubere Politik, bessere Bildungschancen und gesunde Ernährung ein.

Die Wahlergebnisse gaben Wallner recht, obwohl die Kampagnen intern nicht allen gefielen und gefallen. Bei der Nationalratswahl wurden es zwar nicht die gewünschten 15 Prozent, aber mehr als je zuvor. Dafür war man dann bei der EU-Wahl im darauf folgenden Frühjahr mit 14,5 Prozent nah dran. Der vorläufig letzte Erfolg war die Vorarlberg-Wahl im Herbst 2014. 17 Prozent bescherten auch den dortigen Grünen eine Regierungsbeteiligung.

Doch dann kam das Jahr 2015 und mit ihm die Flüchtlingskrise. Die Ergebnisse im Burgenland und in der Steiermark waren bescheiden. In Wien setzte es das erste Minus seit 2010. Und dann war auch noch Schwarz-Grün in Oberösterreich Geschichte. Plötzlich fanden sich die erfolgsverwöhnten Grünen in einer Richtungsdebatte wieder. Und vieles von dem, was sich über die Jahre aufgestaut hat, kommt nun hoch.

Wo bleibt der Good Cop? Glawischnig hält an ihrem Bundesgeschäftsführer fest. Sie schätzt ihn und auch das Privileg, dass sie Unangenehmes an ihn delegieren kann. Wallner, heißt es, sei Glawischnigs Bad Cop. Das Problem sei, dass es im grünen Universum keinen Good Cop gebe, einen integrativen Widerpart. Denn die Parteichefin soll Konflikte, mit wem auch immer, scheuen.

Hinzu kommt, dass Wallner vielen Grünen ideologisch nicht ganz geheuer ist. Der 44-Jährige, ein gebürtiger Steirer, hat das klassische katholische Sozialisierungsprogramm durchlaufen: Ministrant, Jungschar, Katholische Hochschuljugend. Sozialpolitisch, sagt Wallner, sei er sicher ein Linker. Er habe aber auch andere Anteile – einen liberalen bei den Freiheitsrechten, einen bürgerlichen beim Lebensstil. Wallner hat ein Musikverein-Abo, ein Theaterabo und liebt Barockopern von Händel.

Die Kritik an seiner Person kann er nur bedingt nachvollziehen: „Mein Job ist es zu schauen, dass die Beschlüsse der Parteigremien umgesetzt werden. Denn der Beschluss eines Papiers ist in der Politik meist das Begräbnis der Aufmerksamkeit.“ Das führe notgedrungen auch zu Konflikten. Mit Herbert Kickl will Wallner aber nicht verglichen werden: „In der FPÖ gilt: top down. Bei uns werden dagegen alle Ebenen eingebunden.“ Mag sein, dass an dieser Stelle jetzt mancher Grüne protestiert.

Steckbrief

Stefan Wallner
ist seit Dezember 2009 Bundesgeschäftsführer der Grünen. Davor war der heute 44-Jährige zehn Jahre lang Generalsekretär der Caritas.

In Graz und Wien
hat der gebürtige Steirer Jus, Politikwissenschaft und Geschichte studiert. 1992 wurde Wallner Generalsekretär der Katholischen Hochschuljugend, von 1995 bis 1998 war er Projektmitarbeiter bei der Julius-Raab-Stiftung, dem Thinktank des ÖVP-Wirtschaftsbunds. Nach dem Zivildienst bei der Caritas blieb er dort und machte sich als Sozialpolitikexperte einen Namen.

Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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