Spielfeld: Das neue Tor zu Österreich

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SpielfeldDie Presse (Clemens Fabry)
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In Spielfeld sind die verstärkten Grenzkontrollen im Testbetrieb gestartet. Jeder Flüchtling wird nun genau überprüft. Wer nach Schweden will, wird abgewiesen. An das Wort Obergrenze will man vor Ort trotzdem lieber noch nicht denken.


Der Platz vor dem Tor scheint zu klein. Zu klein, um dort Tausende Menschen aufzuhalten. Aber noch hat die Gruppe, die um 12.30 Uhr in langsamen Schritten den Hügel hinuntergeht, das gesamte Areal für sich. Drei slowenische Polizisten begleiten die fünf Männer, die Frau und das Kind, als sie langsam die gut hundert Meter vom slowenischen Flüchtlingslager in Richtung österreichischer Grenze absolvieren. Es ist kalt an diesem Tag. Die Männer tragen feste Winterschuhe, die Frau hat ihren Schal tief ins Gesicht gezogen. Vor ihnen liegen die letzten Grenzgeschäfte: der Travelshop, eine türkische Pizzeria und das Hundegeschäft Happy Dogs. Die Flüchtlinge werden diese Gebäude nicht erreichen. Sie trotten abgetrennt von Sperrgittern den slowenischen Beamten hinterher. Zuerst durch ein Wartezelt, dann weiter in einer Schleife, bis sie vor jener Absperrung stehen, die Österreich monatelang beschäftigt hat: den neu gebauten Grenzzaun.

Am Mittwoch sind im steirischen Spielfeld die verschärften Grenzkontrollen im Testbetrieb gestartet. Seither wird jeder Flüchtling genau kontrolliert und registriert. Es ist eine Zäsur. Monatelang sind Tausende Flüchtlinge ohne Überprüfung durch das Land marschiert. 8000 Menschen an einem Septembertag in Nickelsdorf im Burgenland waren keine Seltenheit, auch in Spielfeld wurde bis zuletzt nur stichprobenartig kontrolliert. Niemand wusste, wer da war und wer nicht. Nun markiert jener Zaun den Eintritt auf österreichisches Staatsgebiet. „Das Türl mit Seitenteilen“, „die bauliche Maßnahme“, die „permanent technischen Ergänzung“ wie die Absperrung wochenlang von SPÖ und ÖVP umschrieben wurde, ist von der slowenischen Seite her trotzdem glatt zu übersehen. Die Absperrung aus Maschendraht (wenn auch doppelt gezäunt und aus deutlich festerem Material als ein Gartenzaun) wirkt weder abschreckend, noch hebt sie sich durch das dünne Gewebe und die graue Farbe von den slowenischen Absperrungen ab. „Er biegt sich gut“, erklärt Polizeisprecher Fritz Grundnig vor Ort. Der Zaun soll auch nachgeben, falls Menschenmassen daraufdrücken. Für eine sportliche Person ist der 2,5 Meter hohe Zaun leicht zu überklettern.

Der Testlauf startet

Dort, wo er unterbrochen ist, warten Polizisten und das Bundesheer. Die Drehkreuze, die den Eingang markieren sollen, sind noch nicht geliefert. Die slowenischen Polizisten geben den österreichischen Soldaten die Hand. Das kleine Grüppchen Flüchtlinge wartet nun auf den Einlass. Sind sie eine Familie, bleiben sie zusammen, sonst treten sie einzeln ein. Insgesamt 500 Flüchtlinge sollen an diesem Tag noch Spielfeld durchlaufen – und im Echtbetrieb zeigen, wo es hakt. Erst mit Februar wird das Areal in den Vollbetrieb gehen, bis dahin werden die Flüchtlinge wie bisher über Kärnten nach Österreich gebracht.

Nach den fiktiven Drehkreuzen gehen die Flüchtlinge in das erste große Zelt. Dort wird das Gepäck mit einem Metalldetektor kontrolliert: auf Pistolen, auf Sprengstoff, auf Gegenstände, die gefährlich werden können. „Wie auf dem Flughafen“, sagt Polizeisprecher Grundnig. Im Stundentakt führt er Medien aus Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowenien sogar Australien und Japan durch den Betrieb, der noch nicht einmal wirklich gestartet ist. Im ersten Zelt stehen bereits Dolmetscher und Beamte. Sie haben Mundschutz und Desinfektionsmittel griffbereit. Das Zelt ist leicht beheizt. Es gehört zum ersten Teil von drei großen Bereichen: der Grenzzone, der Versorgung und dem Wartebereich. Gerade am Anfang ist jedes Zelt eine kleine Hürde, die zu überwinden ist. Denn der Weg kann schon im ersten Zelt zurück nach Slowenien führen.

Ab sofort dürfen nur mehr Flüchtlinge einreisen, die entweder in Österreich oder in Deutschland um Asyl ansuchen. Die beiden Länder haben sich damit zur Endhaltestelle der „offiziellen“ Flüchtlingsroute über die Westbalkan-Staaten gemacht. Wer im ersten Zelt als Zielort Schweden angibt, wird postwendend durch die weiße Zeltplane hinausgebracht und den slowenischen Beamten übergeben. „Zurückweisung“ heißt das im Fachjargon. Sie passiert auch, wenn der Flüchtling ein falsches Herkunftsland angibt oder er keinen Registrierzettel aus Slowenien hat. Anhand von Staatsbürgerschaft (etwa Marokko oder Algerien) wird die Einreise aber nicht abgelehnt, sagt Grundnig. Die Zurückweisung kommt auch keinem Reisestopp gleich. Wenn die Flüchtlinge ihre Angaben in Slowenien korrigieren, dürfen sie wieder einreisen, sagt Grundnig. Mittwoch und Donnerstag wurden 39 Menschen von tausend zurückgewiesen.

Rot heißt Zurückweisung

Haben die Flüchtlinge das erste Zelt passiert, kommen sie ins nächste, wo 24 schmale, weiße Container stehen. Temporäre Büros mit Computer, Schreibtisch und Sesseln. Hier findet die eigentliche Registrierung statt. In jedem Container sitzen ein Beamter und ein Dolmetscher. Hier werden Fingerabdrücke genommen, Pässe kontrolliert, Gespräche geführt und Armbänder in Ampelfarben verteilt. Grün für Einreise, gelb für weitere Kontrolle, Rot für Zurückweisung, sollten sich hier Angaben als gefälscht darstellen. Wer in Österreich um Asyl ansucht, wird vom Bundesheer beim Hintereingang übernommen (Mittwoch und Donnerstag waren es 35 Personen) und von den Soldaten zur Polizei gebracht. Hinter einer Plane entsteht derzeit noch eine eigene Polizeidienststelle, auch Schlafplätze für 4000 Menschen soll es im Notfall geben. Wer nach Deutschland will, muss nun durch hüfthohe Absperrgitter laufen, die sich durch den Vorplatz vor dem dritten Zelt schlängeln. Sie erinnern an lange Schlangen vor der Gepäckskontrolle auf dem Flughafen und sollen die Leute so lang wie möglich in Bewegung halten.

„Wir wollen keine Ansammlung an einem Platz“, erklärt Grundnig. Wer hier ist, hat es so gut wie geschafft. Im dritten Zelt geht die Schlange weiter, bis die Menschen in einen Militärbus einsteigen können, der sie zur deutschen Grenze bringt. Dazwischen stehen Essensausgabe, Caritaszelt und die Versorgung durch das Rote Kreuz. An diesem Tag ist am frühen Nachmittag der erste Bus bereits voll. Nach dem ersten Grüppchen sind im Viertelstundentakt weitere kleine Gruppen an Flüchtlingen eingetroffen, vor allem aus Syrien, dem Irak, Afghanistan. Sie lächeln erleichtert in Kameras, ein kleiner Junge streckt den Daumen hoch. Als der Bus abfährt, stellt sich sofort der nächste leere hin. Im Probebetrieb scheint der Ablauf einem Schweizer Uhrwerk gleich. Die Zeit, in der provisorisch Tausende Flüchtlinge durchs Land geschleust wurden, hat die Polizisten, Soldaten und Helfer an der Grenze schon längst professionalisiert. Die Rot-Kreuz-Mitarbeiter sind mittlerweile für die Flüchtlingbetreuung fest angestellt. Die Polizisten werden in Zukunft für drei Monate fix an der Grenze stationiert. Die Zahl der Bundesheersoldaten wurde noch einmal um 150 erhöht, was unschwer an den zahlreichen Männern in militärischer Uniform und den tarngrünen Autos am Gelände zu erkennen ist. „Jeder hat hier seine Aufgabe“, sagt Stefan Friedacher, Einsatzleiter des Roten Kreuzes. Er ist Student und hat für den Vollzeitjob an der Grenze vom Studium pausiert. Aber auch er hat auf vieles keine Antworten.

An das Wort „Obergrenze“ will auf Nachfrage der „Presse“ niemand in dem Areal denken. „Das ist eine politische Frage“, ist so gut wie von jedem Polizisten zu hören. Gefolgt von einem Achselzucken. Niemand hat hier eine Antwort, wie die Obergrenze durchgeführt werden soll. Werden sich vor dem dünnen Zaun Menschenmassen bilden? Wird man sie bei zu viel Druck reinlassen oder gar auf sie schießen? „Na hoffentlich nicht“, entfährt es einem Soldaten.

Kein Platz für Wartezonen

Auch wie und wo die Wartezonen umgesetzt werden sollen, ist niemandem klar. Platz für sie gibt es in Spielfeld auf den ersten Blick jedenfalls nicht. Damit die neuen Registrierzelte stehen konnten, wurde die letzte Wiese mit 4000 m3 Schüttmaterial planiert. Nach vorn ist kein Platz mehr, weil dort slowenisches Staatsgebiet beginnt, links und rechts stehen Hügel. Trotzdem gehen Gerüchte um. Etwa, dass die Wartezonen wie vom Salzburger Landeshauptmann, Wilfried Haslauer (ÖVP), gefordert doch auf slowenischem Gebiet entstehen sollen. Auch dass Familien mit Kindern trotz Obergrenze durchgelassen werden, ist zu hören. In Wahrheit weiß aber niemand so genau, was die Politiker entscheiden.

In Spielfeld, an der Grenze, dort, wo Entscheidungen auf einmal zu Gesichtern werden, hangelt man sich von Tag zu Tag. Wie viele Leute sind heute zu versorgen, wie viele müssen weitertransportiert werden, welches Kind braucht Kleidung. „Gestern ist einem Mann schwindlig geworden, weil er dachte, er wird von seiner Familie getrennt“, sagt Friedacher vom Roten Kreuz. Die Soldaten, die Polizisten, die Absperrungen – das könne Menschen einschüchtern. Was passiert, wenn tatsächlich 2000 Menschen an einem Tag durch Spielfeld kommen, wie derzeit täglich durch Kärnten, wird sich ohnehin erst im Vollbetrieb zeigen. Ausgelegt ist das Areal für bis zu 11.000 Menschen in 24 Stunden. Damit wäre an drei Tagen die Obergrenze für ein Jahr erreicht. Auch darauf haben die Menschen vor Ort keine Antwort. Es zählt nur das Heute. Noch haben die Beamten, Helfer, Soldaten und die 500 Flüchtlinge das ganze Areal für sich.

In Zahlen

11.000 Menschen sollen in Spitzenzeiten in Spielfeld in 24 Stunden registriert und kontrolliert werden. Damit wäre die geplante Obergrenze in drei Tagen erreicht.

500 Flüchtlinge werden derzeit täglich im Testbetrieb durch Spielfeld geschickt. Österreich will damit die neuen Grenzkontrollen testen.

24 Container stehen bereit, um die Flüchtlinge zu registrieren, ihre Angaben zu kontrollieren und Fingerabdrücke abzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2016)

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