Flüchtlingskrise: Balkanstrategie entzweit Europa

Migrants stand behind a border fence at the Greek-Macedonian border
Migrants stand behind a border fence at the Greek-Macedonian border(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
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Athen protestiert gegen die Balkankonferenz in Wien. Auch die EU-Kommission rügt das von Österreich forcierte härtere Grenzregime.

Wien/Brüssel/Athen. Österreich steht wegen seiner Flüchtlingspolitik erneut in der Kritik. Stein des Anstoßes ist die Balkankonferenz, zu der Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz für den heutigen Mittwoch ihre Kollegen aus Mazedonien, Serbien, Kroatien, Albanien, dem Kosovo, Montenegro, Bosnien, Bulgarien und Slowenien nach Wien eingeladen haben. „Die Mitgliedstaaten sollten zusammen und nicht gegeneinander arbeiten“, mahnte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos und forderte in einer Stellungnahme mit der niederländischen Ratspräsidentschaft zu „gemeinsamer Solidarität und Verantwortung“ auf. Der österreichische Plan sieht vor, den Flüchtlingsstrom entlang der Balkanroute durch massiv verstärkte Grenzkontrollen einzubremsen. Das gefällt der Brüsseler Behörde nicht. Sie drängt nach wie vor auf Plan A: eine europäische Lösung mit der Türkei.

Heftigen Protest gegen die Balkankonferenz in Wien legte auch die Regierung in Athen ein. Außenminister Nikos Kotzias sprach gar von einem „nicht freundschaftlichen Akt“. Es sei inakzeptabel, dass über Themen Beschlüsse gefasst werden, die Athen unmittelbar betreffen, die griechische Regierung aber nicht mitreden könne. Das verstoße gegen den Geist der europäischen Zusammenarbeit. Regierungssprecherin Olga Gerovasili schlug in die gleiche Kerbe. Das Vorgehen mancher Staaten sei „politisch und diplomatisch unzulässig“.

Österreich konterte: Die Balkankonferenz sei keineswegs ein Alleingang, betonte ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage der „Presse“. Das Treffen trage dazu bei, „gemeinsames Handeln“ in der Flüchtlingskrise zu beschleunigen und die Positionen vor dem EU-Innenministerrat am morgigen Donnerstag mit den betroffenen Ländern abzustimmen.

Afghanen dürfen nicht mehr einreisen

Seit dem Wochenende haben die serbischen und in der Folge auch die mazedonischen Behörden die Balkanroute für Afghanen gesperrt. Ein gewaltiger Rückstau entstand. Die Griechen machen dafür ihre nördlichen Nachbarn verantwortlich, auch Österreich.

Auf der griechischen Seite der Grenze bei Idomeni spielten sich chaotische Szenen ab. Hunderte Afghanen stürmten die Gleise der Bahnlinie und brachten den Bahnverkehr zum Stillstand. Dienstagfrüh räumte die griechische Polizei das Gelände, verfrachtete die Afghanen in Busse und brachte sie zurück in Auffanglager im Großraum Athen.

Besonders erbost ist die griechische Regierung über eine Konferenz von „fünf Polizeidirektoren der Balkanländer plus Österreichs“ nach dem EU-Gipfel von Brüssel Ende vergangener Woche, in der die Entscheidungen „der gewählten Staatschefs der EU“ über den Haufen geworfen wurden, wie Mouzalas feststellte.

Die Polizeichefs Österreichs, Kroatiens, Sloweniens, Kroatiens, Serbiens und Mazedoniens hatten sich am 18. Februar in Zagreb darauf verständigt, den Flüchtlingsstrom entlang der Balkanroute „im größtmöglichen Ausmaß“ zu reduzieren. Einreisen dürfen nur noch Personen mit gültigen Reisepässen, Visa und Aufenthaltsgenehmigungen. Eine Ausnahme ist für Kriegsflüchtlinge vorgesehen, doch auch sie müssen sich ausweisen können. Im Paragraf 6 des Zagreber Abkommens sind beispielhaft Syrer und Iraker angeführt. Afghanen sind nicht explizit genannt. Gibt es für sie deshalb kein Durchkommen mehr an der mazedonischen Grenze? Genau das vermutet man im österreichischen Innenministerium. Doch das, so hieß es gegenüber der „Presse“, sei eine Fehlinterpretation der Zagreber Vereinbarung.

Die finanzschwachen afghanischen Flüchtlinge, von denen viele der schiitischen Minderheit der Hazara angehören, sind, anders als die Syrer, sehr präsent im Stadtbild Athens. Sie lassen sich oft auf der Straße oder in Parks nieder. Nun werden sie vor allem in das neu gebaute Auffanglager bei Schisto gebracht. Das passiert auch mit den afghanischen Flüchtlingen, die täglich per Schiff im Hafen von Piräus ankommen. Bis 50.000 Flüchtlinge, die auf diese Weise stranden, könnte Griechenland vorübergehend verkraften, meinte Migrationsstaatssekretär Mouzalas – mehr nicht.

„Können auf Ratschläge verzichten“

Auch Österreich hat seine Kapazitäten für 2016 limitiert: Mehr als 37.500 Asylanträge will das Land nicht annehmen. Gleichzeitig sollen maximal 3200 Flüchtlinge pro Tag nach Deutschland gebracht werden. Dafür setzte es massive Kritik aus Brüssel und Berlin. Kanzler Werner Faymann nutzte den Ministerrat, um den Gegnern zu widersprechen: „Bis Österreich kann man nur in die Luft schauen und ab Österreich will man uns einen Ratschlag erteilen – auf diese Art Ratschlag können wir verzichten.“ Im vergangenen Jahr seien 95 Prozent der Flüchtlinge weitergezogen. „Hätten wir die alle behalten sollen?“ Würde sich die EU jedenfalls ein Beispiel an Österreich nehmen, „könnten wir zweieinhalb Millionen Flüchtlinge unterbringen“. (i.b., c.g.,c.u., aga)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2016)

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