Angelobung: Kerns Abrechnung mit der Politik

Christian Kern.
Christian Kern.(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Wenn sich nichts ändert, verschwinden die Großparteien von der Bildfläche, sagt der neue Kanzler und verspricht einen Wirtschaftsaufschwung, neue Arbeitsplätze und mehr Optimismus.

Wien. Es ist der Tag des Christian Kern. Eine Woche nach dem Rücktritt von Werner Faymann nimmt der bisherige Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen auch formal die letzten Hürden auf dem Weg zum wichtigsten politischen Amt im Land. Hinter ihm liegt ein „Schnellsiedekurs in politischen Ritualen und Mechanismen“, sagt er selbst. Erst am Freitag hatten sich die wichtigsten Repräsentanten der SPÖ endgültig auf Kern festgelegt. Ein Pfingstwochenende lang hatte er Zeit, sich auf die Regierungstätigkeit vorzubereiten. Das hieß vor allem: personell die Weichen zu stellen. Jetzt gibt es die Chance, Regierungsteam und Parteizentrale nach den eigenen Vorstellungen umzugestalten.

Nicht jeder wollte in sein Team, wie man inzwischen weiß. Sonja Wehsely zog es vor, in Wien zu bleiben, Gaby Schaunig in Kärnten, Gewerkschafter Josef Muchitsch hat eine andere Lebensplanung, die Managerin Monika Kircher stand ebensowenig zur Verfügung wie die Lienzer Bürgermeisterin Elisabeth Blanik. Kern entlockt die Absageflut ein Lächeln. Obwohl er an dem Wochenende kaum zum Zeitunglesen gekommen sei, „habe ich das mitbekommen“. Aber: „Etliche, die abgesagt haben, habe ich nie gefragt.“ Vielmehr habe er eine Longlist mit Dutzenden Namen gehabt, zu denen er Erkundigungen eingezogen habe. So mancher Name dürfte an die Öffentlichkeit gedrungen sein, ohne es auf die Shortlist geschafft zu haben.

Sozialistische Jugend gegen Kern

Der Tag beginnt für Christian Kern mit Parteisitzungen. Präsidium und Vorstand tagen und geben formal die Zustimmung zu den Entscheidungen, die längst gefallen ist. Das Präsidium bestätigt Kern einstimmig, im Vorstand bekommt er eine Gegenstimme: Fiona Kaiser von der Sozialistischen Jugend bleibt ihrem Grundsatz treu, dass kein Manager an die Spitze der SPÖ darf. Das ist kein Beinbruch in einer Partei, in der sich die Jugend traditionell am Vorsitzenden reibt.

Danach die erste Präsentation vor den Medien. Im engen „Stützpunktzimmer“ der SPÖ im Parlament, sonst der Ort für kleine Pressekonferenzen, drängen sich rund 20 Fernsehkameras, viele davon von konkurrierenden ORF-Teams, um den ersten Auftritt des designierten Kanzlers einzufangen. Kern kommt gemeinsam mit Michael Häupl, der bis zum Parteitag am 25. Juni interimistisch die Partei führt, und startet mit einer vernichtenden Kritik an der Inhaltslosigkeit der Politik seiner Vorgänger: „Wenn wir dieses Schauspiel weiterführen, dauert es nur noch wenige Monate bis zum Aufprall.“ Dann würden die Großparteien von der Bildfläche verschwinden – „und wahrscheinlich zu Recht“.

New Deal und Frischluft

Sein Gegenrezept: ein „New Deal“ für Österreich, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Ankurbelung der Wirtschaft. Es müsse wieder Optimismus aufkommen, denn „die größte Wachstumsbremse ist die schlechte Laune“. Man müsse weg von den Ängsten und Sorgen, die Menschen müssten überzeugt sein, dass es ihren Kindern einmal besser gehen werde als ihnen selbst. In der SPÖ will er „Fenster öffnen“ und „frische Luft hereinlassen“, in der Regierung besser zusammenarbeiten und dem Partner auch Erfolge gönnen. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner antwortet per Facebook freundlich: Beide Koalitionspartner könnten von einer gemeinsamen Vorgangsweise profitieren.

Beim Streitthema Asyl zeigt Kern, dass er den Schnellsiedekurs in politischen Mechanismen erfolgreich bestanden hat: Der designierte Kanzler versucht, Signale an beide Parteiflügel auszusenden. Humanität sei wichtig, aber auch das subjektive Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung. Die Politik müsse sich mit Augenmaß zwischen diesen beiden Polen bewegen. Spaltungstendenzen in seiner Partei sieht er in der Frage übrigens nicht: Die tiefen Gräben habe er nicht gefunden. „Es sind oft nur Stilfragen, die uns unterscheiden.“

In der zweiten parteiinternen Streitfrage, dem Verhältnis zur FPÖ, hält sich Kern auch alles offen. Er verweist auf den vom Kärntner Landeshauptmann, Peter Kaiser, vorgeschlagenen Kriterienkatalog, der Koalitionsbedingungen festschreiben soll. Aber: „Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Menschen und Minderheiten hetzen.“ Und: „Aus meiner Sicht ist sonnenklar, dass Grundsätze vor reinem Machterhalt stehen.“

Um 17 Uhr dann die offizielle Angelobung zum Bundeskanzler. Bundespräsident Heinz Fischer nutzt die Gelegenheit für einen Seitenhieb auf den freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten, Norbert Hofer, der bereits mehrmals erklärt hat, bei welchen Gelegenheiten er die Bundesregierung abberufen würde. „Der Bundespräsident ist nicht der Vorgesetzte des Bundeskanzlers“, so Fischer, der darauf verweist, dass der Präsident zumeist auf Vorschlag der Bundesregierung handle.

Stimme für Alexander Van der Bellen

Heute, Mittwoch, wird Kern um acht Uhr morgens erstmals die Sitzung des Ministerrats leiten. Die neuen Regierungsmitglieder sind dann aber noch nicht dabei, sie werden erst um zwölf angelobt. Am Donnerstag stellt sich der neue Regierungschef dem Parlament vor. Was er am Sonntag macht, weiß der neue Kanzler auch schon: Da wird er bei der Präsidentschaftswahl Alexander Van der Bellen seine Stimme geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2016)

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