Das Proletarische am Lemoniberg

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Volksanwältin Terezija Stoisits erzählt, warum sie den Steinhof als Kontrapunkt zum imperialen Wien so schätzt und was ihre Grünen in den letzten Monaten so alles falsch gemacht haben.

Der 48A ist schuld – und eine Substandardwohnung in der Neustiftgasse, die sich Terezija Stoisits in ihrer Studentenzeit mit ihrer Schwester teilte. Immer, wenn sie genug von der Stadt hatte, setzte sich die angehende Juristin in den städtischen Bus, um nach Steinhof zu fahren und dort spazieren zu gehen. Das tut sie heute noch gerne. Wegen der Luft, wegen des Grüns, aber auch, weil der Steinhof ein spannender Ort ist. Und das nicht nur wegen der eigenartigen Stimmung, die Tausende von Saatkrähen im Winter verbreiten. Da gibt es die Psychiatrie und die Lungenheilanstalt. Da steht ein Jugendstiltheater, das Mahnmal, das an die von den Nazis ermordeten Kinder vom Spiegelgrund erinnert, und natürlich die Kirche am Steinhof.

„Da muss man unbedingt eine Führung machen, um Otto Wagners Besonderheiten zu verstehen“, so Stoisits. So gebe es keine scharfen Ecken und Kanten im Inneren, damit sich keiner der Patienten während des Gottesdienstes verletzt. Der Steinhof ist für die Burgenländerin Stoisits aber auch eine Herausforderung, „weil es da nicht bretteleben ist.“ Das Einzige, was ihr am Lemoniberg – so nennen die Wiener den Steinhof wegen der Kirchenkuppel, die einer halben Zitrone ähnelt – fehlt, ist ein Schutzhaus. Und trotzdem ist Stoisits noch kein Besuch aus dem Ausland entkommen: Jeder musste auf den Steinhof. „Es ist so ein schöner Kontrast zum imperialen Wien, das auf der anderen Seite durch die Gloriette symbolisiert wird.“ Geht es ihr um den ornamentalen Jugendstil, der den opulenten Barock aussticht? Nein, für Stoisits sind die Steinhofgründe nicht so sehr kunsthistorisch denn politisch als Gegenstück zu Schönbrunn das proletarische Wien. „Da ist nicht alles so g'schleckt.“

Das Volk und seine Vertreterin. Volksnähe kann man der 50-Jährigen tatsächlich nicht absprechen. 17 Jahre war sie Nationalratsabgeordnete, seit zwei Jahren ist sie Volksanwältin. Was macht da den großen Unterschied? „Als Oppositionsabgeordnete hat meine Arbeit immer polarisiert“, analysiert Stoisits. „Da gab es entweder 100 Prozent Zustimmung oder 100 Prozent Ablehnung.“ Jetzt genießt sie den ungeteilten Zuspruch für ihre Arbeit – unabhängig von der Parteipolitik. Was nicht heißt, dass das keine harte Arbeit ist. Um zu ihren Sprechtagen zu kommen, spulte Stoisits bereits 70.000 Kilometer mit ihrem erst drei Jahre alten Auto ab. Im Juli und August ist sie in Tirol, Vorarlberg und Salzburg unterwegs, im September sind die Steiermark, Kärnten und das Burgenland dran. Auf einen Dienstwagen muss ein Volksanwalt allerdings verzichten. Stoisits stört das nicht: „Das Volk hat ja auch keinen.“

Hat Stoisits der neue Job näher zu den Bürgern gebracht, aber weiter von den Grünen entfernt? „Nein“, sagt sie. „Ich bin zwar keine grüne Volksanwältin, aber trotzdem eine Grüne.“ Und sie leidet mit, wenn es, wie in den vergangenen Monaten, nicht ganz friktionsfrei abgeht in ihrer Partei. „Da sitzt eine hervorragende Truppe im Parlament. Aber fast ein Drittel der 20 ist neu. Die müssen sich erst einen Namen machen.“ Die Medien seien da schon ein bisserl komisch: „Zuerst klagen sie, dass die Grünen keine neuen Leute bringen. Sind Neue da, schreien sie nach einem halben Jahr, es gibt keine Stars mehr bei den Grünen.“ Trotzdem: Auch Selbstkritik ist angesagt: Den Grünen sei es nicht gelungen, sich als schlagkräftiges Team darzustellen.

Und wie war das mit der EU-Kandidatur von Johannes Voggenhuber? Da stand sie als Grüne der zweiten Stunde doch auch hinter dem Langzeitmandatar oder? Prinzipiell schon, sagt Stoisits. Dass ihn die Parteibasis nicht gewählt hat, daran sei er aber auch selbst schuld gewesen. Und noch schlimmer war, wie sich Voggenhuber dann verhalten hat: Ein Grüner patzt nicht das eigene Nest an – mitten in einem Wahlkampf.

Die Grünen und ihre Frauen. Dass Eva Glawischnig als Parteichefin – vornehmlich von ihren männlichen Kollegen – derart kritisch gesehen wird, schmeckt Stoisits auch nicht. „Die männliche Verhaberung ist decouvrierend. Es ist traurig, dass es Frauen auch bei den Grünen schwerer haben.“ Ein Parteichef sei aber nur so gut wie die Reihen neben ihm. Stoisits glaubt zudem zu wissen, was die Grünen seit 2006 verabsäumt haben: Sie haben sich auf dem dritten Platz ausgeruht, statt sich als Opposition zu profilieren. „Man muss ja nicht gegen alles sein, wie die FPÖ. Aber man muss Inhalte bieten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2009)

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