Die Obergrenze, ein Zahlenspiel

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THEMENBILD: FLÜCHTLINGSLAGER TRAISKIRCHEN(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Wann wird die Maximalzahl an Asylwerbern in Österreich erreicht? SPÖ und ÖVP sind sich bei dieser Frage nicht einig. Der rote Regierungspartner fordert das Innenressort auf, transparente Zahlen vorzulegen.

Wien. Es ist reine Definitionssache. Das war es von Anfang an: Die einen, nämlich die SPÖ, nannten es stets Richtwert. Die anderen, also die ÖVP, sprach lieber von einer Obergrenze. Aber zumindest in der Zielsetzung war sich die Koalition einig: Die Anzahl an Flüchtlingen in Österreich muss massiv reduziert werden. Mehr als 37.500 neue Asylwerber sollten daher in diesem Jahr nicht aufgenommen werden. Darauf einigte sich die Regierung bei einem Asylgipfel am 20. Jänner.

Aber: Wann wird die Maximalzahl erreicht? Wie viele Flüchtlinge sind in diesem Jahr dazugekommen? Wer wird in die Berechnung einbezogen – wer nicht? Bei diesen Fragen endet die Einigkeit in der Regierung schon wieder. Zuletzt ist zwischen SPÖ und ÖVP eine neue Diskussion entbrannt. Und es zeigt sich: Auch in diesem Punkt gibt es mehrere Interpretationsmöglichkeiten.

Aber alles der Reihe nach. Bisher wurde kommuniziert, dass es rund 22.000 Asylanträge gebe, die für die Obergrenze relevant seien. Am Dienstag dann die Überraschung: Bundeskanzler Christian Kern sprach beim Ministerrat von 11.000 Menschen. Das Chaos war komplett, als er zusätzlich davon sprach, dass es in diesem Jahr nicht mehr als 37.500 „Asylberechtigte“ geben sollte.

Das wurde in der ÖVP schon für erste Angriffe genutzt: Der Wiener ÖVP-Chef, Gernot Blümel, legte Kern in diesem Fall wörtlich nahe, „gleich abzudanken“. Außenminister Sebastian Kurz legt nach: „Wenn die Obergrenze nun bei 37.500 Asylberechtigten angesetzt werden sollte, würde dies unser Land massiv überfordern. Damit wäre Österreich bei den Asylantragszahlen fast wieder auf dem Niveau des Vorjahres“, sagt er zur „Presse“. Und weiter: „Ich erwarte mir, dass wir als Bundesregierung zu unserem Beschluss stehen.“ Die Aussage im Ministerrat war ein Versprecher, wird in der SPÖ betont. Der Kanzler hätte das Richtige gemeint, aber das Falsche gesagt: „Zum Asylverfahren berechtigt“, also Asylwerber, wäre die treffende Formulierung gewesen. Kein Aufweichen der strengen Asyllinie also.

Bleibt die Frage, wieso der Kanzler plötzlich von 11.000 Menschen spricht, die für die Obergrenze relevant sind. Der Hintergrund: In der Ministerratsbesprechung soll Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) diese Zahl referiert haben. Das wird der „Presse“ von mehreren Stellen bestätigt. Er will die sogenannten Dublin-Fälle nicht in die Obergrenze miteinbeziehen: Das sind Menschen, die nachweislich über ein sicheres Nachbarland nach Österreich gelangt sind. Theoretisch ist jener Staat für deren Verfahren verantwortlich.

Doch bisher war nie die Rede davon, dass die Obergrenze so berechnet wird. Im Gegenteil: Monatelang wurde die Vereinbarung so kommuniziert, dass es nicht mehr als 37.500 Asylanträge geben dürfe. Nachsatz: Das bedeute nicht, dass jeder dieser Menschen im Land bleibe. Asylverfahren werden auch negativ beschieden. In dem Papier, auf das sich die Vertreter der Koalition beim Asylgipfel geeinigt haben, ist wiederum die Rede davon, Flüchtlinge bis zu der bestimmten Maximalzahl „zum Asylverfahren zuzulassen“.

Minister Doskozil will Transparenz

Dass die sogenannten Dublin-Fälle nicht miteinberechnet werden, hat nicht nur die Öffentlichkeit überrascht, sondern auch Teile der Regierung. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) erfuhr davon in Brüssel aus den Medien. „Inhaltlich ist es nachvollziehbar, dass wir Verfahren, die wir nicht führen, auch nicht miteinberechnen“, heißt es aus seinem Büro. Dennoch sei es wichtig, sich gemeinsam auf eine Zählweise zu einigen. Und die Fakten transparent zu kommunizieren. Hier sei das Innenressort gefordert.

Dort bleibt man bei den Berechnungen: Derzeit seien 11.000 Menschen zum Asylverfahren zugelassen. Der Rest der Anträge (die andere Hälfte der 22.000) setzt sich aus Dublin-Fällen, Familienzusammenführungen und Nachgeborenen zusammen, die kein klassisches Zulassungsverfahren durchlaufen. In den Vorjahren verschwanden außerdem rund 20 Prozent aller Asylantragsteller. Der Familiennachzug macht rund zehn Prozent der Asylanträge aus. Dass man diesen Teil von der Obergrenze ausklammert, ist umstritten.

Auch Dublin-Fälle bleiben oft im Land

Wie viele Dublin-Fälle es zuletzt gegeben hat, wollte man im Innenministerium aber nicht sagen. Fest steht allerdings, dass auch Dublin-Fälle kaum abgeschoben werden können. Im Jahr 2015 (von Jänner bis November) wurden nur 1300 Personen nach Polen und Bulgarien zurückgebracht. Nach Ungarn gab es seit Sommer 2015 gar keine Dublin-Abschiebung, so ein Ministeriumssprecher. Über Ungarn kommen derzeit viele Flüchtlinge ins Land. So wurden im Mai laut Polizei im Burgenland 1500 Flüchtlinge aufgegriffen – zu 99 Prozent an der Grenze. Insgesamt gab es im Mai laut „Presse“-Informationen rund 3400 Asylanträge – im Mai des Vorjahres waren es noch 6240.

(Print-Ausgabe, 02.06.2016)

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