Rot und Blau in einer Regierung: Können die das?

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BP-WAHL: HOFBURG - HOFER(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Für den Parteitag am 25. Juni arbeitet die SPÖ an einem Kriterienkatalog für eine Koalition mit der FPÖ. Manche Funktionäre wollen sich Rot-Blau als Option aus strategischen Gründen offenhalten.

Christian Kern hat Glück gehabt. Werner Faymann vererbte ihm nicht nur den Sitz im Bundeskanzleramt – und bald auch an der Parteispitze. Nein, kurz vor seinem politischen Abschied richtete Kerns Vorgänger auch noch eine Arbeitsgruppe ein: der klassische Weg, um heikle Themen aus den Schlagzeilen zu verbannen. Dieses Mal ging es um die Frage: Darf die SPÖ in Zukunft auf allen Ebenen eine Koalition mit der FPÖ eingehen?

Rote Funktionäre aus den Ländern und den Vorfeldorganisationen sollen nun bis zum Bundesparteitag am 25. Juni einen Plan vorlegen. An diesem Tag soll auch Kern offiziell zum SPÖ-Chef gewählt werden. Gut für ihn also, dass nicht er im Vorfeld die Linie in der umstrittenen Frage vorgeben musste. Bisher hielt sich der neue Kanzler zurück. Einerseits stellte er fest: „Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Menschen und Minderheiten hetzen. Punkt.“ Ein definitives Nein zu einer Koalition mit den Freiheitlichen unter Heinz-Christian Strache gab es aus seinem Mund aber auch nicht.

Nun soll ein Kriterienkatalog die SPÖ aus ihrem Dilemma retten: ein Leitfaden mit wichtigen Punkten und Bedingungen für künftige Koalitionen also. Möglicherweise wird er bereits am 25. Juni beschlossen. Es könnte aber auch sein, dass sich die Partei bis zum Bundesparteitag im Spätherbst Zeit lässt. Dann soll das neue Parteiprogramm beschlossen werden.

Tabubruch in Eisenstadt. Eigentlich gibt es schon einen Beschluss. Wenn man es genau nimmt, sogar zwei: Im Jahr 2004 und 2014 einigten sich die Delegierten jeweils am Parteitag darauf, eine Koalition mit der FPÖ auszuschließen. Auf allen Ebenen, wohlgemerkt. Die Realität sieht allerdings anders aus: In Städten und Gemeinden arbeiten Rot und Blau immer wieder zusammen. Nachdem Landeshauptmann Hans Niessl die Freiheitlichen im Vorjahr in die Landesregierung geholt hat, ist das Tabu ohnehin gebrochen.

Jene Funktionäre, die sich eine Öffnung in dieser Frage wünschen, haben meist zwei Argumente. Das erste ist ein strategisches: Je mehr Koalitionsvarianten für die SPÖ in Frage kommen, desto besser. Es könnte schließlich sein, dass sich die Freiheitlichen irgendwann einen Partner aussuchen können. Außerdem sei es besser, nicht immer auf die ÖVP angewiesen zu sein.

„Soziale Heimatpartei“. Das zweite Argument ist ein inhaltliches: Vor allem in sozialpolitischen Fragen seien sich SPÖ und FPÖ näher als die jetzigen Koalitionsparteien. Nicht umsonst versuchen die Freiheitlichen, ihr Image als „soziale Heimatpartei“ zu pflegen. Aber: Stimmt das tatsächlich? Und ganz allgemein: Sind Rot und Blau auf inhaltlicher Ebene kompatibel?

Bleiben wir zunächst bei der Sozialpolitik: Bei den Pensionen und bei Restriktionen für Ausländer fanden sich am österreichischen Arbeitsmarkt in der Vergangenheit durchaus Gemeinsamkeiten. Nur gingen die Freiheitlichen als Oppositionspartei teilweise wesentlich ungehemmter vor. Bestes Beispiel dafür ist die Anhebung der Mindestpensionen: Die rot-schwarze Koalition hat die sogenannten Ausgleichszulagenrichtsätze (echte Mindestpensionen gibt es in dem Sinn in Österreich nicht) mehrfach außertourlich stärker als die Teuerungsrate – und damit stärker als den Großteil der Pensionen – angehoben.

Inzwischen liegt die Ausgleichszulage für Alleinstehende bei 883 Euro im Monat. Für die FPÖ viel zu wenig. Deswegen drängt sie seit Längerem auf eine Mindestpension von 1200 Euro. Der Haken: Die Umsetzung dieser Forderung ist kostenintensiv. Ex-Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) rechnete mehrmals vor, dass dies Mehrkosten von mindestens fünf bis sechs Milliarden Euro zur Folge hätte.

Zu Beginn der Ära Faymann – unmittelbar vor der Nationalratswahl 2008 – hat es die SPÖ mit Milliardenmehrausgaben noch nicht so genau genommen: In der Parlamentsnacht von 24. auf 25. September wurden milliardenteure Wahlgeschenke, darunter die großzügige Ausweitung der Langzeitversichertenpension, beschlossen. Daran knabbern Bundesregierung und Finanzminister bis heute. Zuvor hatten Faymann-Emissäre in einigen Punkten die Unterstützung der FPÖ vereinbart, wodurch auch die ÖVP unter Druck geriet und ebenfalls zustimmte.

Sozialversicherung für Ausländer. Im Fall der Mindestpensionen könnten sich Rot und Blau doch finden. Eine schrittweise Erhöhung in Richtung 1200 Euro könnte die FPÖ ihren Wählern als Fortschritt verkaufen. Eine erste Etappe dazu hat Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) beim Pensionsgipfel Ende Februar mit der ÖVP paktiert: Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es eine Anhebung auf 1000 Euro im Monat. Der Schönheitsfehler: Nach derzeitigem Stand würden besonders Ausländer davon profitieren, was keinesfalls im Sinn der FPÖ wäre.

Apropos Ausländer: Was deren Beschäftigung angeht, liegen Rot und Blau auf einer Wellenlänge. Auch wegen erheblichem Druck von Gewerkschaft und Arbeiterkammer ist die SPÖ auf einem eher restriktiven Kurs. Das betrifft Bremsen, damit Lohndumping und ein Verdrängen von Österreichern auf dem Arbeitsmarkt vermieden wird. Allerdings schießt die FPÖ auch da weit über das von der SPÖ mittragbare Ziel hinaus. Bestes Beispiel: Sie fordert eine eigene Sozialversicherung nur für Ausländer. Allgemein sollen Sozialleistungen hauptsächlich für Österreicher gelten – etwa der soziale Wohnbau.

Mit breiten Teilen der SPÖ-Basis – freilich nicht mit den Linken – besteht außerdem Übereinstimmung bei einer möglichst restriktiven Linie in der Asylpolitik. Jene Forderungen, die Strache bei der Wien-Wahl im vergangenen Jahr formulierte, hat die Regierung sogar schon umgesetzt: „Strenge Grenzkontrollen gegen Schlepper und Kriminelle“, stand im Wahlprogramm der Freiheitlichen. Ebenso wie „konsequentes Abschieben“ von Menschen ohne Asylgrund (die FPÖ nennt sie „Scheinasylanten“) sowie „Schutz auf Zeit“ für Asylberechtigte. Wobei den Freiheitlichen trotzdem alles, was die Regierung in den vergangenen Monaten umgesetzt hat, nach wie vor viel zu wenig ist.

Konfrontation bei Mindestsicherung. Bei anderen Sozialleistungen steuern Rot und Blau sogar voll auf Konfrontationskurs. Bestes Beispiel: Sparpläne und Einschränkungen der Mindestsicherung unter anderem für Asylwerber, was von Sozialdemokraten im Bund, in Wien, aber auch in Oberösterreich mit Inbrunst bekämpft wird. Freilich gibt es in der SPÖ ebenfalls Kräfte, die Nachholbedarf bei strengeren Regeln für die Mindestsicherung sehen.

Abseits des Sozialbereichs würden so manche Konfliktpunkte entstehen. Beim Thema Schule gibt es Parallelen zu den Streitereien in der amtierenden rot-schwarzen Regierung: Die SPÖ fordert die Einführung der Gesamtschule. Die Freiheitlichen sind gegen diesen „Einheitsbrei“, wie es in der Partei genannt wird. Die Freiheitlichen pochen auf „Deutsch vor Schule“. Die SPÖ stimmt zwar notgedrungen der Einrichtung von eigenen Klassen für Flüchtlinge zu. Allgemein ist sie aber gegen einen gänzlich getrennten Unterricht.

Im Hochschulbereich scheint es hingegen mehr Übereinstimmungen zu geben. Die FPÖ ist wie die SPÖ tendenziell gegen Zugangsbeschränkungen. Neben der SPÖ stimmte auch die FPÖ für die Abschaffung der Studiengebühren. Allerdings: Die Freiheitlichen wollen eigentlich das sogenannte Herkunftslandprinzip umsetzen. Nur jene Personen dürften demnach studieren, die auch in ihrer Heimat einen Studienplatz im entsprechenden Fach nachweisen können. Eine darauf basierende Regelung wurde aber 2005 vom Europäischen Gerichtshof gekippt. Die Freiheitlichen haben sich damit abgefunden: Der Kompromiss, dass Studenten aus Nicht-EU-Ländern für die Universität zahlen müssen, reicht ihnen vorerst.

Gegen Quoten. Eine beträchtliche Kluft gibt es auch im gesellschaftspolitischen Bereich: „Ein eigenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Beziehungen lehnen wir ab“, heißt es im FPÖ-Programm. Unter Familie verstehen die Freiheitlichen allgemein eine „Gemeinschaft von Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern“. Für die SPÖ fällt hingegen „jede Form des dauernden Zusammenlebens in partnerschaftlicher und demokratischer Form“ darunter.

Frauenpolitisch (die FPÖ lehnt Quoten ab), aber auch auf EU-Ebene würde es Konfliktpotenzial geben. Immerhin ist die Position in Sachen Wehrpflicht geklärt: Die FPÖ ist für die Beibehaltung des Grundwehrdienstes, die SPÖ war nach einem Schwenk für ein Berufsheer. Die Wähler entschieden sich bei der Volksbefragung im Jänner 2013 für Ersteres. Diese Niederlage fällt in die Ära Faymann. Gut für Christian Kern.

rot-blaue regierung

Einzige Koalition im Bund
Auf Bundesebene gab es bisher erst einmal eine rot-blaue Koalition: von 1983 bis 1987, zunächst unter den Bundeskanzlern Fred Sinowatz (SPÖ) und Vizekanzler Norbert Steger (FPÖ). Als Sinowatz 1986 nach der Wahl von Kurt Waldheim (ÖVP) zum Bundespräsidenten zurücktrat, übernahm Franz Vranitzky (SPÖ) den Job im Kanzleramt. Er führte die Koalition mit der FPÖ zunächst fort.

Bruch wegen Haider
Am Tag, nach dem Jörg Haider im September 1986 mithilfe des deutschnationalen Flügels der Partei zum FPÖ-Chef gewählt wurde, beendete Vranitzky die Koalition.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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