Europa tadelt Kurz - Kern bleibt diplomatisch

Sebastian Kurz.
Sebastian Kurz.(c) REUTERS (AMMAR AWAD)
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Flüchtlinge auf Inseln festhalten? Bayerns Ministerpräsident Seehofer gibt Kurz Rückendeckung. Verteidigungsminister Dokozil ist für Asylzentren in Nordafrika.

Wien/Brüssel. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini musste den Namen Sebastian Kurz nicht aussprechen – man wusste auch so, an wen sich ihre Kritik richtete: „Viele Politiker in Europa setzen mehr auf Slogans, anstatt wahre Antworten zu suchen“, sagte Mogherini am Dienstag der Zeitung „La Stampa“. Anlass war der Vorschlag des österreichischen Außenministers, im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge auf Inseln festzuhalten.

Mogherini plädierte dafür, „den Bürgern die Wahrheit zu sagen“: dass das Migrationsphänomen kompliziert sei, aber gemeistert werden könne. Es gebe weltweit 70 Millionen Flüchtlinge, die nicht „wie durch ein Wunder“ verschwinden würden. „Es ist kurzsichtig, dies nicht zu sehen“, so die EU-Außenbeauftragte. „Wer sich in seinen Grenzen einmauert, ist vollkommen außerhalb der Realität.“

Rückendeckung erhielt Kurz indessen von Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer. „Ich stehe immer auf der Seite des österreichischen Außenministers“, sagte der CSU-Chef mit leichter Ironie. „Ich schätze ihn sehr.“ Europa sei in der Flüchtlingsfrage „noch längst nicht über dem Berg“, sagte Seehofer. Er trat für die Abwicklung von Asylverfahren außerhalb Europas ein. „Das ist der legale und humane Weg.“

In Österreich dauerte die Ministerratssitzung am Dienstag währenddessen doppelt so lang wie normalerweise. Anders als einige SPÖ-Minister will Kanzler Christian Kern „über Elemente“ des Kurz-Vorschlages zumindest diskutieren, zum Beispiel die Frage, wie illegale Fluchtwege versperrt werden könnten. Wobei Australien „ganz bestimmt kein Vorbild“ für Österreich sein könne. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner stellte sich dann „ausdrücklich hinter Kurz“. Bereinige man dessen Ideen um die Reizworte „australisches Modell“, sei man nicht mehr weit vom Vertrag mit der Türkei entfernt. Der Außenminister meine nichts anderes, als dieses Konzept etwa auch in Libyen umzusetzen.

Dokozil für Asylzentren in Nordafrika

In diesem Sinn äußerte sich auch Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ). Laut „Kronen Zeitung“ plädiert er dafür, Asylzentren in Nordafrika einzurichten, um so den Schleppern das Handwerk zu legen. Die Zentren sollen von der EU und dem UN-Flüchtlingshilfswerk betrieben werden. Er griff einen Vorschlag der Ex-Innenministerin Mikl-Leitner (ÖVP) auf, der wiederum auf einer Initiative des deutschen Innenministers Otto Schily (SPD) basierte.

Kurz begrüßte Doskozils Vorschlag: "Asylzentren außerhalb des Kontinents sind auch Teil des australischen Modells", betonte ein Sprecher des Außenministers am Dienstagabend. Es sei "egal", wie man das Modell nenne.

Kritik an Kurz übte Caritas-Chef Michael Landau: „Dieser Vorschlag hinterlässt uns fassungslos.“ Er sei mit der europäischen Rechtsordnung und der Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Ähnlich sieht das der Wiener Bürgermeister, Michael Häupl (SPÖ): Der Außenminister werde schon wissen, welches Zeugnis er sich mit Vorschlägen, „die sich weit außerhalb der Verfassungsbestimmungen befinden“, ausstelle. Auch der ÖVP-Delegationsleiter in Brüssel, Othmar Karas, ist der Meinung, dass der Außenminister damit „Völkerrecht und EU-Recht widerspricht“.

Kurz selbst kommentierte die Kritik nicht. In seiner anderen Funktion als Integrationsminister wurde er am Dienstag beauftragt, in den nächsten beiden Wochen – gemeinsam mit Kanzleramtsstaatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) – ein „Integrationspaket“ auszuarbeiten. Darin soll vor allem die Frage geklärt werden, ob es sinnvoll ist, Asylwerbern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlauben.
Kern ist dafür, Mitterlehner zumindest nicht abgeneigt – er will den Status quo „mit Rücksicht auf den Arbeitsmarkt weiterentwickeln“.

In der ÖVP gibt es indes auch andere Meinungen. „Das wäre eine Einladung, nach Österreich zu kommen“, glaubt Innenminister Wolfgang Sobotka. Daher sollte man nur über gemeinnützige Arbeiten für Asylwerber nachdenken. Die Sozialpartner sind da eher auf Kern-Mitterlehner-Linie. Gemeinsam haben Gewerkschaft, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung vorgeschlagen, Asylwerbern nach sechs Monaten die Arbeitserlaubnis zu geben – aber nur dann, wenn sich kein Österreicher für diesen Job findet. (pri/APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2016)

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