ÖVP-Justizsprecher: "Desertion ist nach wie vor ein Delikt"

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Die ÖVP will vorerst nicht alle Wehrmachts-Deserteure rehabilitieren. Die Justizministerin prüft die Rechtslage. Die Grünen sind über die Aussagen von VP-Justizsprecher Donnerbauer "erschüttert".

Die ÖVP reagiert vorerst abwartend auf die Debatte um die Aufhebung von NS-Urteilen gegen Wehrmachts-Deserteure. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) hatte am Mittwoch für eine "lückenlose Rehabilitation" der Opfer der NS-Militärjustiz plädiert.

VP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer betont, in dem von der schwarz-orangen Koalition 2005 beschlossenen "Annerkennungsgesetz" seien de facto auch Deserteure beinhaltet. Viele Urteile aus der NS-Zeit seien aufgehoben worden, "wenn es unrecht war". Er sei aber dagegen, sämtliche Urteile pauschal aufzuheben, sagte Donnerbauer. Dies gilt aus seiner Sicht auch für Deserteure. "Man soll sich das ansehen, aber Desertion ist ein Delikt, das es nach wie vor gibt", gibt Donnerbauer zu bedenken.

Grüne: "Unwissenheit oder Zynismus"

Der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser ist über Donnerbauers Aussagen "erschüttert". Es sei "vollkommen unverständlich, wie man ernsthaft die Verurteilungen der Deserteure gegen ein Unrechtsregime in Beziehung mit gegenwärtigen Strafdelikten eines demokratischen Staates setzen kann". "Es muss sich seitens Donnerbauer wohl um Unwissenheit handeln, sonst wäre es blanker Zynismus", so Steinhauser in einer Aussendung. Für ihn entspricht Donnerbauers Linie der bisherigen Position der FPÖ.

Der SP-Abgeordnete und Mitglied des Nationalfonds-Kuratoriums, Johann Maier, zeigte sich grundsätzlich "erfreut" über die Gesprächsbereitschaft der ÖVP. Donnerbauers Bedenken wies Maier zurück. Er verweies auf eine Studie, wonach von 1.276 untersuchten Fällen von desertierten Österreichern nur in fünf Fällen Gewalt angewendet wurde und in zwei Fällen jemand zu Tode kam. "Faktum ist, dass basierend auf diesen Zahlen 99,61 Prozent der Deserteure sich keiner Gewalttat schuldig gemacht haben, lediglich 0,39 Prozent wendeten Gewalt an, um dem Terrorsystem zu entkommen", so Maier.

Justizministerin Bandion-Ortner sagte eine Prüfung der Rechtslage zu, dämpft aber die Erwartungen auf eine rasche Lösung. Das Justizministerium prüfe derzeit, "ob und wie es eine neue gesetzliche Regelung geben kann", sagte Bandion-Ortner-Sprecher Paul Hefelle der APA am Mittwoch. "Wir kennen die Kritik am Anerkennungsgesetz und schauen uns an, wie man auf diese Kritik reagieren kann", so der Ministeriumssprecher. Allerdings strebe man einen möglichst breiten Konsens an und die Debatte der vergangenen Jahre habe gezeigt, dass es gerade in der Frage der Deserteure unterschiedliche Bewertungen gebe. Eine Lösung könne daher wohl "noch nicht übermorgen" am Tisch liegen.

Anerkennungsgesetz hebt NS-Urteile auf

Mit dem "Anerkennungsgesetz 2005" hatte die schwarz-orange Koalition auf das NS-Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 und auf die "Befreiungsamnestie" 1946 verwiesen und klar gestellt, dass mit diesen Gesetzen alle Urteile von NS-Gerichten gegen Österreicher aufgehoben wurden, wenn diese "als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind". SPÖ und Grüne stimmten damals gegen das Anerkennungsgesetz, weil Wehrmachtsdeserteure nicht explizit genannt wurden. Außerdem stellte sich später heraus, dass viele Urteile gegen Homosexuelle trotz dieses Gesetzes nicht als aufgehoben gelten, weil Homosexualität auch im Nachkriegs-Österreich bis 1971 strafbar war.

(Ag.)

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