Mindestsicherung - 670 Millionen teurer koalitionärer Reibebaum

Mindestsicherung
MindestsicherungClemens Fabry
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Die Mindestsicherung kostet immer mehr. Die Konsequenzen spalten die Regierung und sind Test für die Durchsetzungskraft von ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner.

Allein die Ausgleichszulagen für Mindestpensionen kosten mit insgesamt rund einer Milliarde Euro pro Jahr den Staat mehr. Von den Zuschüssen aus dem Budget von mehr als zehn Milliarden Euro für die gesetzliche Pensionsversicherung ganz zu schweigen. Dennoch ließ in den vergangenen Monaten kein anderes sozialpolitisches Thema die Emotionen in der rot-schwarzen Bundesregierung, aber auch bei der Bevölkerung derart hochgehen wie die Mindestsicherung. Für diese wurden im Vorjahr für rund 256.000 Bezieher etwa 670 Millionen Euro, der mit Abstand größte Teil in Wien, lockergemacht.

Das Unterfutter für die heftig geführte Diskussion um neue Regeln für die Mindestsicherung liefert der schon erfolgte Anstieg, noch mehr jedoch das erwartete Hinaufschnellen der Bezieherzahlen durch Tausende Asylberechtigte, die keine Arbeit finden dürften. Die bedarfsorientierte soziale Mindestsicherung hat im September 2010 die Sozialhilfe abgelöst. In Zeiten von Rekordarbeitslosenzahlen findet die Frage, ob die Mindestsicherung mit maximal 837 Euro im Monat für Alleinstehende und weiteren Zahlungen für Kinder im Vergleich zu den Arbeitseinkommen zu hoch und zu einfach zu erhalten ist, besonderes Gehör.


Kontrollen und Sanktionen. Dabei sind SPÖ und ÖVP über Grundzüge einer Änderung und Verschärfung einig: Demnach sollen der Vollzug und die Kontrollen und Sanktionen bei Missbräuchen künftig über die Bundesländergrenzen hinaus vereinheitlicht werden; selbst SPÖ-Politiker treten für einen Ausbau von Sachleistungen etwa in Form der direkten Übernahme von Miet- und Stromkosten ein, nur die Ausgabe von Bons wird bei den Sozialdemokraten als nicht sinnvoll erachtet.

Dafür werden jedoch etwaige Kürzungen des Bezugs der Mindestsicherung und strengere Auflagen für Personen, die beispielsweise als Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, zu einem umso größeren Stolperstein für die Regierung. Denn die SPÖ hat von Bundeskanzler Christian Kern abwärts über Sozialminister Alois Stöger bis tief hinein in die Wiener SPÖ kein Hehl daraus gemacht, dass sie für Kürzungen der Mindestsicherung nicht zu haben ist. Daher drehen sich alle Verhandlungen zwischen Bund und Ländern seit Monaten de facto im Kreis, weil die beiden großen ÖVP-dominierten Bundesländer Nieder- und Oberösterreich eine viel härtere Gangart an den Tag legen.


Spaltpilz 1500-Euro-Limit. Das Reizwort schlechthin ist die auch vom ÖVP-Klubobmann im Parlament, Reinhold Lopatka, vehement verfochtene Deckelung der Mindestsicherung für Familien mit mehreren Kindern mit rund 1500 Euro, zu denen beispielsweise die Familienbeihilfe noch dazukommt. Für die SPÖ ist das aber wie ein hingeworfener Fehdehandschuh, auch wenn bei den Funktionären an der Basis und im Gewerkschaftsflügel wie in der ÖVP die Sorge besteht, dass der Unterschied zwischen Sozialleistung und Lohn zu niedrig ist und damit der Anreiz, arbeiten zu gehen, ebenfalls. SPÖ und Gewerkschaft propagieren für diesen Fall aber eine Anhebung der Löhne.

Vizekanzler ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner ist in einer schwierigeren Lage. In den schwarzen Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung im Westen von Vorarlberg über Tirol bis Salzburg stehen die Landeschefs der von der Bundes-ÖVP geforderten Limitierung mit 1500 Euro reserviert gegenüber. Auch der steirische Landeschef und derzeitige Vorsitzende der Konferenz der Landeshauptleute, Hermann Schützenhöfer, ist nicht eben begeistert über ein 1500-Euro-Limit.

Mitterlehner hat Stöger längst wegen der Mindestsicherung getroffen. Er hat, so ist aus der ÖVP zu erfahren, das Thema ausdrücklich an sich gezogen. Lösung gibt es bisher aber keine, und ein gesichtswahrender Kompromiss für alle dürfte mittlerweile schwierig werden. Dabei läuft die Zeit. Eine neue 15-A-Vereinbarung mit den Bundesländern wird mit Jahresanfang 2017 fällig. Im Herbst ist allerhöchste Eisenbahn, eigentlich wollte Sozialminister Stöger im Frühjahr mit den Soziallandesräten handelseins werden. Für die Koalition ist es ein Prüfstein mehr. Ein Scheitern einer bundesweit einheitlichen Lösung und neun unterschiedliche Regelungen in den Ländern wären blamabel und würden den Druck, dass die Zahl der Bezieher, allen voran in Wien, noch mehr anwächst, zusätzlich erhöhen.

Fakten

Arbeitslosengeld. Der Anspruch entsteht durch vorherige unselbstständige Erwerbstätigkeit. Wie lang bezahlt wird, hängt von Arbeitsdauer und Alter ab. Der Grundbetrag liegt bei 55 Prozent des früheren Nettoeinkommens, dazu können Ergänzungsbeträge kommen (bis zu 80 Prozent des Nettoeinkommens).

Notstandshilfe. Läuft das Arbeitslosengeld aus, kann Notstandshilfe bei einer Notlage beantragt werden. Einkommen von Ehepartnern werden angerechnet.

Mindestsicherung. Hat jemand kein oder nur geringes Einkommen (und weniger als 4188 Euro Vermögen), wird diese gewährt (bis 837,76 Euro im Monat für Alleinstehende; 1256,64 Euro für Ehepaare, mindestens 150 Euro für Kinder). Oft ergänzt die Mindestsicherung niedrige Löhne, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe (Aufstocker).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2016)

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