Holzinger: "Gläserner Mensch ist eine reale Bedrohung"

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Holzinger(c) Michaela Bruckberger
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Verfassungsgerichtspräsident Holzinger fordert von Bürgern und Politik mehr Sensibilität beim Umgang mit Daten. Er möchte, dass der Bundespräsident dem VfGH Verfassungsgesetze vor dem Inkrafttreten vorlegen kann.

„Die Presse“:Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss gerät die Staatsanwaltschaft unter Beschuss, bereits zuvor sorgten Akten aus dem Justizministerium für Aufregung. Gibt es eine Krise der Institutionen?

Gerhart Holzinger: Ich glaube nicht, dass man generell von einer Krise der Justiz sprechen kann. Es gibt aber einzelne Vorfälle, die im besonderen Blickfeld der Öffentlichkeit stehen. Und dort, wo es Probleme gibt, müssen diese bereinigt werden.

Wo gibt es Probleme, meinen Sie die Causa Dörfler?

Holzinger: Mir geht es nicht um die Ortstafeldiskussion, sondern um Grundsätzliches: Mich hat die Begründung auf den Plan gerufen, dass man ein Strafverfahren nicht führen soll, weil sich politische Fragen für eine justizielle Verfolgung nicht eignen. Gerichtliche Verfahren sind unabhängig davon zu führen, ob die Entscheidung in der Öffentlichkeit Beifall findet oder nicht. Inzwischen wurde ja nachgebessert. Nun wird gesagt, dass die Einstellung deshalb erfolgt ist, weil die subjektive Tatseite nicht gegeben war.

Aber Teile der Erwägungen der Staatsanwaltschaft haben Sie verwundert?

Holzinger: Ja, natürlich.

Zum Thema Skylink: Beim VfGH liegt ein Antrag des Rechnungshofs. Geklärt werden soll, ob der Rechnungshof das Projekt prüfen darf. Ist dieser Antrag nach der vom Parlament beschlossenen Ausweitung der Prüfungskompetenzen des Rechnungshofs noch notwendig?

Holzinger: Das muss der Rechnungshof beurteilen. Grundsätzlich möchte ich aber sagen, dass an einer möglichst weitgehenden Prüfungsbefugnis des Rechnungshofs ein vehementes Interesse bestehen muss.

Beobachten Sie im Parlament eine Anlassgesetzgebung?

Holzinger: In diesem Fall war es offenbar so. Zweckmäßiger wäre es, wenn man sich Dinge von vorneherein grundlegend überlegt: Wenn es in größerem Umfang zur Ausgliederung von Staatsaufgaben kommt, muss man sich Gedanken machen, was das für die Kontrolle bedeutet. Wenn es um öffentliche Gelder geht, halte ich von der Reduzierung des staatlichen Einflusses nicht viel.

Apropos Gesetzgebung: Soll man vielleicht – wie etwa in Frankreich – die Gesetze bereits vor Inkrafttreten von den Verfassungsrichtern prüfen lassen?

Holzinger: Es geht um die Frage, ob der Verfassungsgerichtshof vorab kontrollieren kann, ob ein Verfassungsgesetz zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung führt – und daher eine Volksabstimmung notwendig macht. Auch der Bundespräsident hat in dieser Frage bereits einen Vorschlag gemacht. Diese Diskussion ist aktuell, weil es eine fruchtlose Debatte darüber gab, ob die Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellt.

In derartigen Fällen würden Sie sich also wünschen, dass der Verfassungsgerichtshof vorab prüfen kann?

Holzinger: Ich glaube, dass das eine sinnvolle Maßnahme wäre. Man könnte dem Bundespräsidenten die Möglichkeit geben, vor der Unterzeichnung eines Verfassungsgesetzes oder Staatsvertrages an den Verfassungsgerichtshof heranzutreten. Dadurch würde man sich viele Spekulationen ersparen.

Wie beurteilen Sie die Qualität der vom Parlament verabschiedeten Gesetze?

Holzinger: Ich kenne die vielen Bemühungen, zu einer Verbesserung der Gesetzgebung zu gelangen – und ich weiß auch vom Scheitern der meisten dieser Bemühungen. Der politische Prozess wird immer hektischer und darunter leidet natürlich die Qualität der Gesetze.

Ist unser Recht für den einfachen Bürger eigentlich verständlich genug?

Holzinger: Dass der einzelne Bürger seine Rechte und Pflichten unmittelbar aus dem Bundesgesetzblatt bezieht, war von jeher eine Utopie. Es gibt andere Wege, Rechtskenntnis zu vermitteln, nicht zuletzt durch die Medienberichterstattung. Im Vergleich zu anderen Staaten ist bei uns die Informationen der Menschen darüber, was Recht ist, gut.

Es gibt aber zum Beispiel Migranten, die die österreichischen Zeitungen nicht lesen. Führt das zu neuen Problemen beim Verständnis des Rechts?

Holzinger: Das ist kein Problem der Migranten, sondern ein allgemeines: Mit dem Bundesgesetzblatt allein wird man ebenso wenig reüssieren wie seinerzeit mit dem Ausrufen der Gesetze. Das ändert aber nichts daran: Wir müssen uns aller Informationsmöglichkeiten bedienen, die es gibt, damit die Menschen, Rechtskenntnisse erlangen.

Ein aktuell diskutiertes Thema ist auch die Aushöhlung der Grundrechte. Ihr Vorgänger als VfGH-Präsident, Karl Korinek, verglich die Entwicklung sogar mit der Überwachung der DDR-Bürger durch die Stasi. Ist die Privatsphäre im digitalen Zeitalter noch ausreichend geschützt?

Holzinger: Die Entwicklung der modernen Informationstechnologie und die Art und Weise wie die Menschen damit umgehen, erhöhen die Gefahren. Den Vergleich des demokratischen und rechtsstaatlichen Österreichs mit dem Stasi-Terror des SED-Regimes lehne ich ab. Aber richtig ist, dass die Probleme größer werden. Der gläserne Mensch ist eine reale Bedrohung. Es bedarf hier besonderer Sensibilität des Gesetzgebers: Und in besonderem Maße bedarf es auch des Verfassungsgerichtshofs, der in diesem sensiblen Bereich dem Gesetzgeber auf die Finger schauen muss. Und das tun wir.

Sind die Bürger also auch selbst zu unsensibel, wenn es um ihre Grundrechte geht?

Holzinger: Der manchmal sorglose Umgang mit den eigenen Daten aus Bequemlichkeit trägt natürlich auch dazu bei, dass das Szenario des gläsernen Menschen immer realer wird. Jeder ist aufgerufen, sich zu fragen: Ist es wirklich klug, mit der Weitergabe der eigenen Daten so sorglos umzugehen? Ich würde mir mehr Sensibilität beim Gesetzgeber und beim Bürger wünschen.

ZUR PERSON

Gerhart Holzinger (62) ist seit Mai 2008 Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH). Der aus dem oberösterreichischen Gmunden stammende Jurist studierte an der Uni Salzburg. Anschließend arbeitete er als Uni-Assistent. 1975 wechselte Holzinger zum Verfassungsdienst im Kanzleramt, den er von 1984 bis 1995 auch leitete. 1995 wurde Holzinger zum VfGH-Richter ernannt. Er war der zuständige Referent für die Kärntner Ortstafel-Erkenntnisse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2009)

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