Zwangsbeglückung? "Weit davon entfernt"

(c) Clemens Fabry
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Wiens Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky (SPÖ) über Lehrer- und Geldmangel.

Die Presse: Heute beginnt im Osten Österreich die Schule. In Wien wird der Schulstart immer von der Klage über den Lehrermangel begleitet. Fehlen Ihnen Lehrer?

Jürgen Czernohorszky: Mir ist klar, dass dies schwer verständlich scheint. Tatsache ist aber, dass zu Schulbeginn jedes Kind, jede Klasse seine Lehrer haben wird. Aber wir sind dennoch der Meinung, dass wir mehr Lehrer brauchen. Allein für die Sprachförderung 110 zusätzlich.

Sie hätten also einfach gern noch mehr?

Es würden uns meiner Meinung nach noch mehr Lehrer zustehen. Das Problem ist der Finanzausgleich. Der verteilt die Mittel derzeit nämlich einfach blind auf Österreichs Schulen. Er geht nicht auf besondere Herausforderungen ein. Dabei ist es doch unbestritten, dass die Herausforderungen, die ein Lehrer in einer Stadt hat, ungleich andere sind als in einer Schule auf dem Land.

Was fordern Sie?

Einen Sozialindex – also, dass Schulen, die es schwieriger haben, auch mehr Ressourcen bekommen. Neben dem Gießkannenprinzip macht es die Deckelungen für die Sprachförderung oder den sonderpädagogischen Förderbedarf schwierig. Das ist so, als würde man in einem Krankenhaus sagen: ,Ich kann nur 100 Gipse an einem Tag anlegen‘, und den Einhundertundersten mit einem gebrochenen Arm einfach wegschickt.

Um bei dem Bild zu bleiben: Die Gipse, die man bei einer Aufhebung der Deckelung täglich zusätzlich machen müsste, lassen die Kosten steigen. Glauben Sie, dass man das Geld woanders einsparen kann?

Im Bildungssystem sollte man prinzipiell weniger nach Einsparungspotenzial suchen – insbesondere im Ballungsraum. Denn mehr als die Hälfte der Wiener Schüler sind in einer Schule, an der die sozialen Herausforderungen hoch oder sogar sehr hoch sind. Im Burgenland liegt dieser Wert bei null Prozent.

Also mehr Geld für Wien, weniger für das Burgenland?

Nein, ich schließe daraus nicht, dass man den burgenländischen Schulen Geld wegnehmen soll. Dennoch braucht es mehr Ressourcen für besondere Herausforderungen.

Dann braucht es mehr Geld.

Richtig.

Dass es mehr Geld geben wird, ist doch unrealistisch.

Ich bin zuversichtlich. Ich habe die Durchsetzungskraft der neuen Bildungsministerin, Sonja Hammerschmid, schon erlebt. Sie hat dem Finanzminister schon große Dinge abgerungen – etwa die 750 Millionen für den Ausbau der Ganztagsschulen.

Es soll nun immer mehr Ganztagsschulen geben. Können Sie garantieren, dass Eltern, die eine Halbtagsschule in Wien suchen, diese auch künftig noch finden?

Sicherlich.

Auch in Wohnortnähe?

Den Ganztagsschulbefürwortern wird immer vorgeworfen, dass es eine Zwangsbeglückung gibt. Davon sind wir weit entfernt.

Eltern und Lehrer können zumindest bei der Einführung einer verschränkten Ganztagsschule, bei der die Kinder jeden Nachmittag anwesend sein müssen, ein Veto einlegen. Finden Sie das schlecht?

Man kann eines beobachten: Es gibt bei der Schaffung von Ganztagsschulen zu Beginn immer auch Kritik von Eltern und Lehrern. Wenn man vier Jahre später die gleichen Lehrer und Eltern fragt, dann sagen sie: ,Ich bin überzeugt, es ist das bessere Modell.‘

Also keine Mitbestimmung mehr?

Eltern werden natürlich wie bisher eingebunden, aber auch sie haben nicht grundsätzlich das Recht, vor jeder Veränderung geschützt zu werden. Das hat niemand in dieser Republik. Knapp 40 Prozent der Schulen in Wien bieten ganztägige Betreuung. Das ist österreichweit einsamer Rekord. Da ist uns schon bisher gelungen, mit einer Mischung aus Kommunikation und Vehemenz, auch teilweise gegen Widerstände, etwas umzusetzen. Das wird auch in Zukunft so sein.

Bei der Bildungsreform hat man in jüngster Zeit den Eindruck, dass die Verantwortlichen sie so lang totschweigen wollen, bis alle sie vergessen. Täuscht das?

Ich erkenne schon starkes Bemühen. Aber ich bin ein ungeduldiger Mensch und möchte nicht frustriert werden. Deshalb sage ich: Schulentwicklung ist nie nur das Drehen von ganz großen Rädern. Wenn es einmal stockt, weil ein ÖVP-Minister oder Landeshauptmann einen Stein in das Zahnrad schmeißt, heißt es nicht, dass nichts weitergehen kann. Man kann jede einzelne Schule entwickeln.

Wiens Schulen haben die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Wie lang schaffen die Lehrer das noch?

Es ist nicht die Frage, wie lang sie es noch schaffen, sondern wie viel Unterstützung sie dabei bekommen. Das ist entscheidend.

ZUR PERSON

Jürgen Czernohorszky (39) ist seit Ende des Vorjahres Stadtschulratspräsident in Wien. Er löste Susanne Brandsteidl ab. Der gebürtige Eisenstädter zog 2001 – noch unter seinem Geburtsnamen Wutzlhofer – für die SPÖ in den Wiener Gemeinderat ein und war dort unter anderem Jugendsprecher. Seit dem Jahr 2011 war der in der Penzinger SPÖ verwurzelte Soziologe Bundesgeschäftsführer der Kinderfreunde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2016)

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