Schüssel: "Bin ich mühsam?"

Schüssel
Schüssel(c) Michaela Bruckberger
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Wolfgang Schüssel verrät der "Presse", wie er mit Kränkungen umgeht, welche Rolle der Glaube für ihn spielt und wieso er in der Aufhebung der Sanktionen ein kleines österreichisches und europäisches Wunder sieht.

„Die Presse am Sonntag“: Könnten Sie einem Familienmenschen empfehlen, Politiker zu werden?

Wolfgang Schüssel: Aber sicher, natürlich. Wenn man überhaupt gesellschaftliche Verantwortung übernehmen will, kann man das nicht dauernd delegieren.

Läuft im Leben eines Politikers die Familie nicht Gefahr, auf der Strecke zu bleiben?

Vor allem für die Kinder bleibt manchmal zu wenig Zeit. Daher habe ich immer geschaut, selbst in den Zeiten der heißesten Diskussionen, dass ich mir Zeit frei halte für meine Tochter und meinen Sohn.

Es gibt die These, dass sich nur Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus die Strapazen einer Politikerkarriere antun...

Das glaube ich nicht. Es kann ein bestimmter Geltungsdrang der Auslöser sein, aber auch eine besondere Gelassenheit. Ich habe immer versucht – und würde das anderen raten –, ganz strikt Räume der Privatheit zu schützen. Wer sich dem Boulevard öffnet, liefert sich ihm aus. Ich habe keine einzige Homestory in unserer Eigentumswohnung, die wir seit 30 Jahren haben, zugelassen. Ich habe auch meine Kinder, soweit sie das wollten, vor der Öffentlichkeit geschützt. Das wird auch respektiert.

Wie verarbeiten Sie die persönlichen Kränkungen, die Untergriffe, die ein Politiker unweigerlich erfährt?

Ich hätte ohne die tat- und ratkräftige Unterstützung meiner Frau, die ja als ausgebildete Psychotherapeutin ein Profi ist, meiner Tochter, die die gleiche Ausbildung hat, und meines Sohnes, der ein ganz eigenes Korrektiv ist, das nicht schaffen können. Auch im Positiven – weil die Gefahr groß ist, wenn alles super läuft, zu glauben: Du bist wirklich gut! Meine Familie hat mir immer erklärt, wie die Welt wirklich ist: Nimm das nicht so ernst, das ist nur deine Funktion. Ich muss wissen, dass vieles an Höflichkeiten, an Zuneigung, an positiver Energie, auch an Bücklingen, der Funktion geschuldet ist und nicht dem Menschen. Dann kann ich auch Kränkung besser verkraften, weil sie ja auch zum Teil der Funktion gilt und nicht dem Menschen. Das auseinanderzuhalten erfordert aber eine gewisse Gelassenheit.

Wie bleiben Sie gelassen?

Erstens: Distanz bekommen, nicht sofort reagieren. Ich bin da entweder laufen gegangen, habe körperlich etwas gemacht, eine Skitour, Fußball . . . Zweitens: Die Musik ist eine der ganz großen Heilquellen der Seele. Man kann das gar nicht hoch genug schätzen. Ich finde, jedes Kind sollte zumindest ein Instrument lernen – auch wenn es die eigene Stimme ist. Außerdem habe ich Otto von Habsburg einen Rat zu verdanken. Er meinte: Wir leben so kurz, dass es sich nicht auszahlt, jemandem länger als ein Jahr böse zu sein. Und wenn Sie mich heute fragen: Sind Sie irgendjemandem böse? Nein. Das steht sich nicht dafür.

Hatten Sie ein großes Vorbild als Politiker?

Das eine Vorbild gibt es bei mir nicht. Aber es gibt eine Legion von menschlichen Schutzengeln. Jeder sollte lernen, in seinem Leben zu begreifen: Wer sind meine Schutzengel? Die ernst zu nehmen und in ihrer Rolle zu verstehen, halte ich für wesentlich.

Wer jetzt nach einem zehnjährigen Koma erwacht, muss doch den Eindruck haben, die Ära Schüssel habe es gar nicht gegeben. Eigentlich ist alles wie schon im Jahr 1999.

Dazwischen liegen Welten: Internationalisierung, Deregulierung, die Modernisierung der Verwaltung. Forschung, Entwicklung, die gesamte Bildungslandschaft hat sich verändert. Manche Dinge sind freilich geblieben: Die Bundesbahn ist noch immer ein Fass ohne Boden und dass die Staatsinterventionisten immer noch glauben, der Staat sei die Antwort auf alle Fragen. Aber dass sich das politische Klima in Österreich nicht grundsätzlich verändert hat – wer weiß, ob das nicht ein Vorteil ist?

Bei Journalisten gelten Sie als widerborstig.

Bin ich mühsam? Das glaube ich nicht. Es fragen nur manche immer die gleichen zehn Fragen, deren Antworten man schon lange kennt. Nach einer gewissen Zeit genügt mir das nicht. Es tut mir leid, wenn Journalisten das Gefühl haben, schlecht behandelt worden zu sein. Bewusst ist das nicht passiert. Ich bin aber keiner, der sich gerne verhabert, das sage ich schon dazu. Ich hofiere auch niemanden. Ich will ein normales, professionelles Verhältnis.

Ist es möglich, in der Politik Freunde zu finden?

Ja, ich habe viele großartige Menschen in der Politik kennengelernt und pflege diese Freundschaften. Man kann viel mehr Menschen trauen, als man zunächst annimmt. Man kann auch viel mehr Hilfe annehmen, als man glaubt. Ich habe auch beeindruckende Charaktere in anderen politischen Lagern kennengelernt, zum Beispiel den Sozialminister Josef Hesoun – es war ein Vergnügen, mit ihm hart um eine Lösung zu ringen. Oder Susanne Riess-Passer oder Professor Van der Bellen, der als Mensch absoluten Respekt verdient und mit dem ich gerne rede.

Oft sind Menschen erstaunt, dass viele Politiker mit politischen Gegnern per Du sind. Wie sehr ist das bloß Äußerlichkeit?

In Österreich ist das Du-Wort recht schnell da, das stimmt schon. Da bin ich vorsichtiger als manche andere. Aber echte Gegnerschaft werden sie von mir schwer erfahren. Auch in den schwierigsten Zeiten habe ich mich immer bemüht, die Emotion herauszunehmen aus der Auseinandersetzung. In der Sache jederzeit: Wenn das so ein Einheitsbrei ist – jeder ist lieb und nett –, worin unterscheidet man sich dann? Bei der Zuspitzung im Argument bin ich nicht scheu. Aber es ist in Österreich schon ein ganz großer Vorteil, dass jeder mit jedem reden kann. Hass hat in der Politik nichts verloren.

Das war auch das Problem sogenannter Gutmenschen, dass sie im Jahr 2000 zu undemokratischen und aggressiven Mitteln gegriffen haben. Ich glaube aber, dass diejenigen, die das zu verantworten hatten, heute ohnehin nicht mehr gerne daran zurückdenken.

Sie haben mehrmals mit George W. Bush zu tun gehabt, der oft als tumber Cowboy dargestellt wird. Wie haben Sie ihn erlebt?

Also da muss man jeden amerikanischen Präsidenten in Schutz nehmen. Jeder, der dieses mörderische Auswahlverfahren besteht, hat eine große Qualität – im Fighten, Organisieren, im Überzeugen. Das sind keine dummen Menschen, das ist eine unzulässige Vereinfachung.

Aber das Amt verändert natürlich. Jeden Tag in der Früh rufen der Chef des CIA und der Chef des National Security Advisory Board an und erklärt, welche Verschwörungen gegen Amerika im Gang sind. Wer diese Gehirnwäsche Wochen, Monate, Jahre durchmacht und noch dazu sehr abgeschottet ist, wird verformt. Das ist auch ein Problem des Systems, das hierarchisch ganz eng auf eine einzige Person zugeschnitten ist.

Gibt es das katholische politische Lager noch?

Nicht nur katholisch, in meinem Kabinett waren auch drei Protestanten. Die Einbringung des Glaubens in die Politik darf natürlich nicht über ständestaatliche Elemente zum politischen Christentum werden, aber dass jeder einen festgefügten Wertekompass haben soll, das scheint mir für Politiker sehr hilfreich zu sein.

Ist es zulässig, als Politiker zu sagen: Das tue ich nicht, weil ich Christ bin? Oder muss er immer säkular argumentieren?

Ich glaube schon, dass Glaube etwas zutiefst Individuelles ist. Aber aus dieser individuellen Glaubensentscheidung heraus sind auch Zugänge zu Problemen anders zu bewerten. Bei Fragen der Stammzellenforschung oder Euthanasie, auch bei der Abtreibung habe ich sicher für mich eine Red Line, die aus meiner Überzeugung kommt, was der Mensch tun oder besser lassen soll.

Es gab ein paar öffentlich-religiöse Momente – die Regierungswallfahrt nach Mariazell, Ihr „So wahr mit Gott helfe“ bei der Angelobung: Waren das persönliche Religiosität oder doch Duftmarken eines politischen Katholizismus in der Volkspartei?

Ein Christ hat die Pflicht, sich gesellschaftlich zu engagieren. Das „So wahr mir Gott helfe“ war ein Hilferuf nach innen, angesichts einer extrem schwierigen Aufgabe. Ein Ausdruck, dass ich auf Hilfe vertraue von meinem Gott, der nicht irgendwo im Orbit schwebt und herunterlächelt, sondern mir nahesteht. Das Zweite war ein Dankeschön: keine Regierungswallfahrt, sondern der Ausdruck großer Erleichterung von einigen Freunden und mir. Wir sind nach Mariazell gegangen, um Danke zu sagen für die Aufhebung der Sanktionen. Wieso sich manche so darüber geärgert haben, habe ich bis heute nicht verstanden.

Dabei hatten die Sanktionen durchaus nützlichen Einfluss auf den Reformeifer der Regierung...

Also ich hätte die Sanktionen nicht gebraucht. Aber es ist uns gelungen, sie mit positiver Energie und durch die Hilfe der Legionen menschlicher Schutzengel in etwas Positives zu verwandeln. Das war ja nicht selbstverständlich, das hätte auch grauenhaft ins Auge gehen können. Aber wir haben es geschafft, und das war ein kleines österreichisches und letztlich auch europäisches Wunder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2009)

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