Hilfsprojekte: Keine leeren Kilometer für Freiwillige

Das Team hinter Help2day: Dietmar Millinger, Manfred Czujan, Michael Blin und Lara Trikha im Gespräch mit „Presse“-Redakteur Andreas Wetz (v. l.).
Das Team hinter Help2day: Dietmar Millinger, Manfred Czujan, Michael Blin und Lara Trikha im Gespräch mit „Presse“-Redakteur Andreas Wetz (v. l.).(c) Stanislav Jenis
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Immer mehr Bürger engagieren sich spontan und bringen Sachspenden. Häufig zur falschen Zeit an den falschen Ort. Das Internet soll beide Seiten nun geordnet zusammenbringen.

Wien. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015 macht sich der Programmierer Dietmar Millinger mit Wasserflaschen auf den Weg zum Wiener Hauptbahnhof. Die Initiatoren eines privat organisierten Hilfsprojekts für Flüchtlinge haben zuvor via Facebook um entsprechende Sachspenden gebeten. Als er eintrifft, warten bereits über hundert andere Freiwillige mit Wasser: Sie brachten viel mehr, als gebraucht wurde. „Das muss besser gehen“, war Millingers erster Gedanke, als er die verärgerten Spender und die überforderten Helfer sah.

Das Phänomen, dass sich Freiwillige außerhalb der geordneten Strukturen etablierter Hilfsorganisationen finden, sich anschließend jedoch eben diesen meistens spontan und unkoordiniert anbieten, ist seit einigen Jahren zu beobachten. Die Migrationsbewegung des Vorjahres zeigte jedoch, dass diese Entwicklung besonders im Rahmen von Großereignissen für beide frustrierend sein kann. Die viel zu vielen Wasserflaschen auf dem Hauptbahnhof stellen dabei nur eine von vielen Episoden dar. Auch die Caritas auf dem Westbahnhof wurde von Freiwilligen regelrecht überrollt. Und in der Umgebung der Erstaufnahmestelle Traiskirchen langten derart viele Sachspenden ein, dass zahllose Kleidungsstücke als Müll entsorgt werden mussten.

Ein Rucksack weniger

Die Frustration von Spendern diente aber auch als Treibstoff für Ideen. Und tatsächlich traf der Programmierer Millinger noch auf acht andere Männer und Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen, die ebenfalls an einer möglichen Lösung des Problems arbeiteten. So entstand das Projekt Help2day, das großen und kleinen Non-Profit-Organisationen die Koordinierung spontaner Sach- und Zeitspenden erleichtern soll. Das funktioniert so: Eine Obdachloseneinrichtung sucht beispielsweise 50 Schlafsäcke für den Winter. Der Betreiber legt dafür einen Eintrag bei Help2day an, veröffentlicht diesen – zum Beispiel – auf seiner Facebook-Seite. Ein User, der einen Schlafsack spenden will, kann mittels Mausklick am PC oder via Smartphone zusagen, dass er ihn am bekannt gegebenen Sammelpunkt vorbeibringt. Das „Inserat“ verändert sich entsprechend, die Software passt die nachgefragte Menge an, in diesem Fall noch 49 Schlafsäcke. Dieses Prinzip funktioniert mit Arbeitsleistungen genauso, kann beliebig auf Parameter wie Uhrzeiten oder Erfüllungsorte Rücksicht nehmen.

Millinger und seine Partner sind mit Help2day bereits in den Probebetrieb gegangen, koordinieren Freiwillige und Sachspenden für die Johanniter-Unfallhilfe, die Caritas, die Diakonie, den Verein Ute Bock und die Mobile Kinderkrankenpflege Moki.

Gabriele Hintermayer ist die Chefin von Moki. Sie glaubt, dass diese Art der Koordination zwischen Hilfsorganisationen auf der einen und Spontanhelfern auf der anderen Seite Zukunft hat. „Gerade kleineren Vereinen wie unserem bietet das die Möglichkeit, auch ganz spezifische Spendengesuche breit und dennoch gezielt zu streuen.“ Die Wiener Caritas testet das Werkzeug seit inzwischen mehr als drei Monaten.

Anna Radl hat als Betreuerin für die Social-Media-Aktivitäten der Flüchtlingshilfe fast täglich mit Help2day zu tun. Sie hat bisher die Erfahrung gemacht, dass die bestehende Facebook-Community eine starke Bindung zur Caritas hat, und deshalb der Zwischenschritt über einen weiteren Dienstleister eine Hürde darstellt, die bisher nur wenige nehmen wollen. Aber: „Wir sind überzeugt davon, dass diese Möglichkeit zur Organisation gerade in akuten Notsituationen ein mächtiges Hilfsmittel sein kann.“

Werkzeug der Stadtverwaltung

Help2day ist jedoch nicht die einzige Initiative in diesem Segment. In Deutschland startete im Vorjahr eine Reihe ähnlicher Projekte, die jedoch mit dem Abebben der Flüchtlingswelle nicht weiter verfolgt wurden. In den USA verfolgt das Unternehmen Volunteer Match ebenfalls schon seit einigen Jahren einen vergleichbaren Ansatz. In Wien hat der Fonds Soziales Wien (FSW) der Stadtverwaltung ein Werkzeug übernommen, das ebenfalls im Rahmen der Flüchtlingskrise 2015 entstand. Where2help wurde von Freiwilligen entwickelt, koordiniert so wie Help2day Sach- und Zeitspenden, beschränkt sich dabei jedoch auf das Gebiet der Flüchtlingshilfe und ist nach außen hin deutlich verschlossener. Das System verlangt außerdem von den Freiwilligen eine Registrierung, bietet umgekehrt jedoch die Sicherheit, dass nur vom FSW geprüfte Organisationen als Nachfrager zugelassen werden.

Innerhalb der ersten Woche – so lang ist Where2help inzwischen online – haben sich immerhin 20 Organisationen registriert. Bei Help2day informierten sich im Laufe des Oktobers bisher 4699 Nutzer. Und insgesamt, so schätzt das Sozialministerium, engagieren sich in Österreich derzeit knapp 3,2 Mio. Menschen in ihrer Freizeit ehrenamtlich.

Web: www.help2day.org, www.where2help.wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2016)

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