Verwaltungsgerichtshof entscheidet schneller

(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

2014 trat die große Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kraft. 120 Behörden wurden abgeschafft, elf (Landes-)Verwaltungsgerichte eingeführt. Die Anzahl der Fälle nimmt zu.

Wien. Vor dreieinhalb Jahren passierte etwas Ungewöhnliches, zumindest für die heutigen politischen Zeiten: Der Nationalrat beschloss eine große, weitreichende Reform. Und er beschloss sie einstimmig: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit sollte völlig neu strukturiert werden. 2014 trat die Reform in Kraft.

Ab diesem Zeitpunkt waren 120 Senate und Sonderbehörden Geschichte. Stattdessen wurden neun Landesverwaltungsgerichte sowie zwei Verwaltungsgerichte des Bundes – das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesfinanzgericht – geschaffen. Oberste Instanz bleibt weiter der Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Er entscheidet über Revisionen gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte: Und zwar von der Aberkennung von Staatsbürgerschaften über Verwaltungsstrafen bei Verkehrsübertretungen bis hin zu Zollfragen. Allgemein soll er sich aber nur mehr mit Fällen beschäftigen, in denen die Rechtslage unklar ist.

VwGH-Präsident Rudolf Thienel bezeichnet die Reform jedenfalls als „großen Wurf“. Nicht nur, weil die Struktur vereinfacht wurde. Sie habe vor allem zu einer „massiven Beschleunigung“ der Verfahren geführt, sagt er am Mittwoch und zieht Bilanz. Zum Vergleich: 2014 hatte der VwGH knapp 4000 Fälle zu erledigen, 2015 waren es rund 4600, und heuer werden es voraussichtlich 5200 Fälle werden, schätzt Thienel. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug 2014 noch knapp zwei Jahre, in den ersten drei Quartalen dieses Jahres lag sie bei rund sieben Monaten.

Zweite Instanz bei Asyl

Den größten Anteil der Fälle nimmt der Asylbereich ein, aus dem heuer 1400 Verfahren kommen. „Im Moment ist es so, dass wir das gut bewältigen können“, sagt Thienel. Aber: „Ein weiterer Anstieg würde uns vor gewisse Schwierigkeiten stellen.“ Auch bei der Glücksspielmaterie gebe es eine Steigerung: von rund 200 neuen Fällen im Jahr 2015 auf knapp 500 Fälle heuer.

Einen Anstieg an Verfahren gab es auch am Bundesverwaltungsgericht, das seit 2014 rund 25 Prozent mehr Verfahren hat. Grund dafür seien auch hier vor allem die Auswirkungen der Migrationsbewegungen, sagt Präsident Harald Perl: „Das Asyl- und Fremdenrecht nimmt in dieser Steigerung eine prominente Stellung ein.“ Hintergrund: Ob einer Person Asyl gewährt wird, entscheidet zunächst das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. In zweiter Instanz wird das Bundesverwaltungsgericht zugezogen.

Aber auch andere Bereiche, wie die Änderungen bei Marktordnungsverfahren und Verfahren im Bereich des Behindertenrechts, hätten zu der Steigerung beigetragen. Außerdem gibt Perl zu bedenken: Je häufiger es Gesetzesnovellen und Änderungen gebe, desto eher komme es zu Verzögerungen bei Entscheidungen. Schließlich müssen sich die Mitarbeiter in die neue rechtliche Grundlage einarbeiten. Vor allem im Asylbereich wurden Gesetze wieder und wieder reformiert.

Insgesamt waren von 2014 bis Ende September 2016 mehr als 210.000 Verfahren an den elf Verwaltungsgerichten anhängig. Davon wurden laut Thienel rund 180.000 Verfahren, das sind 85 Prozent, abgeschlossen. In rund 94 Prozent aller Verfahren wurde keine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.

Kritik an zu komplizierten Gesetzen

Thienel übte am Mittwoch auch Kritik an der Überregulierung der Verwaltung. „Die österreichische Rechtsordnung ist einfach viel zu kompliziert geworden“, sagt er. Ein Beispiel sei die Gewerbeordnung, die die Regierung eigentlich straffen und reformieren wollte (siehe Seite 1). Unter anderem hätte ein Gewerbeschein für die 440 freien Gewerbe geschaffen werden sollen. „Das wäre ein wichtiger Schritt bei der Deregulierung gewesen“, meint Thienel. Die Koalition konnte sich allerdings nicht einigen.

Ein Symptom dieser Überregulierung sei auch, dass die Vorschriften des Wahlgesetzes rund um die Bundespräsidentenwahl „auf breiter Fläche nicht eingehalten worden sind“. Nachsatz: „Das tut weh.“ Oft seien die Regelungen in diesem Bereich auch schlicht nicht praktikabel. Und: Das Sozialversicherungsgesetz und steuerrechtliche Bestimmungen seien ebenso zu Spezialistenrecht geworden. „Man sollte schauen, dass man versucht, Vorschriften zu reduzieren“, fordert Thienel.

Übrigens: Der VwGH feiert heuer sein 140-jähriges Bestehen. Am 26. Oktober 1876 veröffentlichte der neu errichtete Verwaltungsgerichtshof sein erstes Erkenntnis. (ib)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

"Massive Beschleunigung" der Verfahren am Verwaltungsgerichtshof
Politik

Verfahren am Verwaltungsgerichtshof "massiv beschleunigt"

VwGH-Präsident Rudolf Thienel zieht positive Bilanz über die 2014 in Kraft getretene Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.