Medizin-Nobelpreis: Der Faden des Lebens

Nobelpreisgewinnerin Elizabeth H Blackburn
Nobelpreisgewinnerin Elizabeth H Blackburn(c) EPA (SUSAN MERRELL/HO)
  • Drucken

Der Nobelpreis für "Physiologie oder Medizin" geht an drei Forscher in den USA. "Die Entdeckung, wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt sind" hat Bedeutung für Altern und Krebs.

Das Leben hängt an einem Faden bzw. dessen Ende, das wussten schon die Nornen der Mythen. Das weiß seit einiger Zeit auch die Wissenschaft, deren zentraler Faden aus DNA besteht, die sich zu einem langen Strang zusammentut bzw. zu mehreren, den Chromosomen. Die haben das Problem, dass ihre Enden geschützt werden müssen – auch vor der Verbindung mit benachbarten Chromosomen –, sie lösen es mit besonderen DNA-Sequenzen, Telomeren, man hat sie oft mit den festen Kappen am Ende von Schuhbändern verglichen. Aber den Telomeren geht bei jeder Zellteilung ein kleines Stück verloren, die Chromosomen werden immer kürzer, irgendwann zu kurz.

Telomere und Telomerasen

Deshalb gibt es ein Enzym, das hilft, Telomere doch in voller Länge durch Teilungen zu bringen, Telomerase. Das alles klingt einfach, musste aber erst mühsam erkundet werden, und für die Mühe – „die Entdeckung, wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt sind“ – werden drei Forscher mit dem diesjährigen Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ (und zehn Millionen Schwedenkronen, etwa 975.000 Euro) geehrt: Elizabeth Blackburn, 1948 in Australien geboren, seit 1990 an der University of California, San Francisco; Carol Greider, 1961 geborene US-Amerikanerin an der Johns Hopkins University School of Medicine, Baltimore; Jack Szostak, 57-jähriger US-Amerikaner am Massachusetts General Hospital, Boston.

„Unsere Community hat das seit einiger Zeit erwartet, die Entdeckungen sind intellektuell so spannend wie für die Anwendung interessant“, freut sich gegenüber der „Presse“ Karel Riha (Gregor-Mendel-Institut der Akademie der Wissenschaften), der Telomere/Telomerasen an Pflanzen erkundet („sie sind uns darin nahe verwandt“). Die Grundlagen stammen aus den 30er-Jahren, damals entdeckten Hermann Muller und Barbara McClintock die Strukturen (und erhielten 1946 bzw. 1983 Nobelpreise). Aber die Mechanismen konnten sie nicht klären, DNA war noch nicht bekannt.

1980 war sie es, aber bei den Telomeren musste der Zufall helfen, er brachte auf einer Konferenz Elizabeth Blackburn und Jack Szostak zusammen. Sie hatte an einem Einzeller (Tetrahymena) die Gensequenz der Chromosomenenden identifiziert (mehrfache Wiederholung von CCCCAA), wusste aber nichts über die Funktion. Er hatte an Hefe bemerkt, dass Minichromosomen ohne Telomere in Hefezellen rasch zersetzt werden. Die beiden taten sich zusammen und kombinierten die Hefe-Minichromosomen mit Tetrahyma-Telomeren. Das schützte sie und zeigte, dass Telomere quer durch das Reich des Lebens gleich wirken – und von frühen Anfängen an erhalten geblieben sind.

Die Dritte im Bunde, Blackburns Schülerin Carol Greider, entdeckte 1984 das Enzym Telomerase. Das hält Telomere (und Chromosomen) lang, und mit ihnen das Leben, zunächst das von Zellen, die sich damit wieder und wieder teilen können. Aber es ist zweischneidig: Tumorzellen machen sich mit Telomerase unsterblich. Deshalb haben unsere Körperzellen keine Telomerase (die Keimzellen, Eizellen und Sperma, haben sie). „Dass unsere Körperzellen keine Telomerase haben, ist eine Barriere gegen Krebs“, erklärt Riha, „aber wir zahlen einen Preis, das Altern.“ Viele unserer Zellen teilen sich selten – etwa die des Hirns und der Muskeln –, ihre Chromosomenverkürzung ist kein Problem.

Zweiseitige Medaille

Aber andere – etwa die der Haut oder des blutbildenden Systems – tun es oft, und sie altern dann nicht nur individuell, sondern tragen zum Altern des ganzen Organismus bei. Eine Zeitlang galt deshalb Telomerase als Elixier der ewigen Jugend, sie ist es wohl nicht, erstens ist sie gefährlich und zweitens ist das Altern komplexer. Trotzdem sind die jetzt geehrten Entdeckungen „für mich als Alternsforscherin wesentlich“, erklärt Beatrix Grubeck-Loebenstein (Institut für Alternsforschung, Uni Innsbruck): „Es ist nur eine zweiseitige Medaille: Ein Weg führt zum Krebs, der andere zur Zell-Seneszenz“.

CHROMOSOM: Heikles Ende

Telomere schützen Chromosomen an beiden Enden wie Kappen davor, sich mit Nachbarchromosomen zu verbinden. Aber bei jeder Zellteilung werden sie kürzer, so altern Zellen und werden seneszent.

Telomerasen sind Enzyme, die das kompensieren, sie machen Zellen unsterblich. Darin liegt ihre Gefahr: Tumorzellen nutzen das Enzym. Deshalb haben unsere Körperzellen es nicht. Der Preis ist, dass sie – und vermutlich auch wir – altern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.