Österreichische Archive: „Da gibt es fast schon sowjetische Zustände“

(c) AP (Jens Meyer)
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Historiker beklagen, dass vor allem nachrichtendienstliche Akten systematisch vernichtet werden. So stößt ein Historiker, der in Archiven nach geheimdienstlichen Informationen sucht, höchstens auf Puzzleteile.

WIEN. Wäre es für einen historischen Forscher heute möglich, ein seriöses und tiefschürfendes Werk über die Arbeit österreichischer Nachrichtendienste zu verfassen? Gerhard Jagschitz, langjähriger Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, ist mehr als skeptisch: „In österreichischen Archiven finden sich nur sehr fragmentarisch Akten über geheimdienstliche Vorgänge. Vor allem die Unterlagen über operative Aktivitäten der Nachrichtendienste sind systematisch vernichtet worden. Aber auch Akten über organisatorische Interna findet man keine“, klagt der emeritierte Universitätsprofessor.

So stößt ein Historiker, der in Archiven nach geheimdienstlichen Informationen sucht, höchstens auf Puzzleteile, aus denen er versuchen kann, ein einigermaßen akkurates Bild zusammenzustellen. Oder er versucht, ein zutreffendes Bild durch Interviews mit auskunftswilligen Zeitzeugen zu bekommen. Aber auch da, warnt Jagschitz, gebe es gerade unter den Zeitzeugen zu geheimdienstlichen Themen nur allzu viele „Märchenerzähler und Spurenverwischer“. Und er fügt hinzu: „Wir wissen doch, dass nirgends so gelogen wird wie in der Liebe, über die Jagd und bei den Geheimdiensten.“

Unmut im Bundeskanzleramt

Jagschitz war einer der Referenten auf der Arbeitstagung „Geheimdienste im Kalten Krieg“, die die österreichische Arbeitsgemeinschaft für Geheimdienstforschung, Propaganda und Sicherheitsstudien (ACIPPS) im Bruno-Kreisky-Forum in Wien abhielt. Bei einer Podiumsdiskussion, in der das Forschen in internationalen Geheimdienstarchiven von Washington bis Moskau verglichen wurde, kam Österreich gar nicht gut weg: „In Österreich gibt es fast schon sowjetische Zustände“, lautete das krasse Urteil von Professor Jagschitz.

Auch Universitätsprofessor Oliver Rathkolb beklagte die systematische Vernichtung von Akten österreichischer Nachrichtendienste und stellte sinngemäß die Frage, ob damit vielleicht verhindert werden solle, dass die Forschung die Frage der Sinn- und Zweckmäßigkeit der Arbeit dieser Dienste stellen und beantworten könne. Rathkolb sieht ebenfalls eine Tendenz, die innere Organisationsgeschichte der Dienste so gut wie möglichst zu verschleiern.

Professor Siegfried Beer von der Uni Graz, der sich durch seine Kritik am Zustand des österreichischen Bundesarchivwesens bereits den Unmut des dafür zuständigen Bundeskanzleramtes zugezogen hat, sieht das Problem nicht auf nachrichtendienstliche Akten beschränkt.

Es gehe um ein mangelndes Serviceverständnis in den Archiven, das Recht auf Information in einer Demokratie, liberalere Öffnungszeiten, kostenloser und ungehinderter Zugang zu Archivmaterialen, digitale Fotografiermöglichkeit und anderes mehr: „Es geht einfach darum, dass unser Archivwesen mehr Aufmerksamkeit verdienen würde, damit es endlich mit internationalen Standards für Forscher aufwarten kann. Und es geht darum, dass junge Historiker wichtige Teile der Geschichte unseres eigenen Landes nicht überwiegend in ausländischen Archiven erforschen müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2009)

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