Kärntner Freitagsdemos: „Wir gehen, bis sie gehen“

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Die schwache Performance der Kärntner Landespolitik führt zu einer neuen Protestkultur im Land: Wöchentliche Demonstrationen, soziale Netzwerke im Internet und neue Bürgerbewegungen sind die Folge.

Klagenfurt. Auch diesen Freitag ist es wieder so weit: Ausstaffiert mit Lautsprechern, grünen Trillerpfeifen und Transparenten werden sich etwa 250 Menschen vor der Kärntner Landesregierung versammeln, um nach einer kurzen Kundgebung mit einem Pfeifkonzert und Buhrufen durch die Klagenfurter Innenstadt zum Landhaushof zu marschieren. „Rechts abbiegen verboten“, „FPK-ÖVP zieht unser letztes Hemd aus“ oder „Mit euch geht Kärnten pleite“, ist auf den Plakaten zu lesen. Seit mehr als drei Monaten werden in Klagenfurt wöchentlich von den Grünen initiierte Freitagsdemos durchgeführt.

„Es ist der einzige Weg, seine Unzufriedenheit kundzutun, durch den zunehmenden Druck wird sich in der Landespolitik dann hoffentlich etwas ändern“, sagt Martina Wiltschnig, Gemeinderätin in Wernberg. Unter dem Motto „Wir gehen, bis sie gehen“ fordern Demonstranten aller Altersklassen den Rücktritt der Landesregierung und die Abschaffung des Proporzsystems. Josef Götz, Schuhmacher und grüner Gemeinderat in Bad Bleiberg, ist seit dem ersten Protestmarsch dabei: „Wir haben schon jahrelang auf Freunderlwirtschaft und Fehlentwicklungen in Kärnten aufmerksam gemacht. Schön langsam zeigt sich, dass wir recht hatten.“

Apathie überwunden

In den vergangenen Jahren hat sich eine seltsame Apathie in Kärnten breitgemacht. Das System des omnipräsenten Landeshauptmanns Jörg Haider hat offenbar den politischen Widerstand minimiert und an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt. Die geistige Kapitulation der Andersdenkenden: „Haider praktizierte eine Art Herrschaft durch Charisma und regierte das Land wie ein Feudalherr“, sagt der Soziologe Helmut Guggenberger von der Universität Klagenfurt, „dadurch wurde Kritik abgewehrt und sind viele Dinge nicht ans Tageslicht gekommen.“

Die Performance von Haiders Nachfolger in der Landesregierung – Stichworte: Erhöhung der Parteienförderungen in einer Geheimaktion, Parteispaltung im rechten Lager, Notverstaatlichung der Hypo und die desaströse Finanzsituation – führt jetzt zu einer zarten Renaissance der Protestkultur im Land. Der Soziologe sieht diese „Erregung der Zivilgesellschaft“ als verständliche demokratische Entwicklung, „erstaunlich ist, dass sich erst so spät etwas rührt“. Angesichts der sich zuspitzenden politischen Zustände wird jetzt „bei vielen Bürgern die Frustration durch aktiven Protest ersetzt“.

Der Widerstand gegen die politischen Verhältnisse formiert sich zunehmend über soziale Netzwerke. Primäres Ziel der Initiative NeuwahlJetzt.at, die bisher fast 2700 Online-Unterschriften gesammelt hat, ist ein sofortiges Ende der FPK/ÖVP-Koalition. Über 3800 Mitglieder finden sich mittlerweile in der Facebook-Gruppe „Wir sind Kärnten! Wir sind das Volk!“.

Der Landesregierung wird das Recht abgesprochen, das Volk weiter zu vertreten. Gegründet vom Grünen-Politiker Matthias Köchl, zählt jetzt auch Stefan Petzner zu den Mitgliedern. Petzner und die verbliebenen Kollegen des BZÖ versuchen die ehemaligen Parteifreunde mit einem Forderungskatalog zu einem politischen Kurswechsel zu zwingen. In der ÖVP hat sich eine innerparteiliche Protestgruppe gegen Obmann Josef Martinz und das Festhalten an der Koalition gebildet.

Sogar der selbst berufene Kärntner Faschingsgeneral Reinhard Eberhart – bis dato nicht durch kritische Äußerungen gegenüber Politikern jeglicher Couleur aufgefallen – entdeckt seine revolutionäre Ader. Eberhart fungiert als einer der Proponenten der plakativen Plattform „Das neue Kärnten“, welche die Kärntner Politik als „verblödet“, „vertrottelt“ und „vergaunert“ bezeichnet. Für Anfang Juni ist ein Festival gegen Korruption, politisches Unvermögen und Dummheit geplant.

Die Anfang März gegründete „Allianz zur Förderung der Demokratie in Kärnten“ sieht sich ebenfalls als unabhängige Bewegung zur Verbesserung der politischen Zustände in Kärnten.

In den kommenden Monaten soll es vermehrt Gespräche geben, um eine bessere Vernetzung der sehr heterogenen Protestbewegungen zu erreichen. Soziologe Helmut Guggenberger sieht darin auch die einzige Chance: „Sollte das gelingen, kann das tatsächlich zu einer Korrektur der Entwicklung im Lande führen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2010)

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