Baustelle, immerdar

Nicht in der „gequetschten Enge“ der Innenstadt hätten sie eigentlich platziert werden sollen. Aber wie so oft kam es auch bei den Salzburger Festspielhäusern ganz anders, als ursprünglich gedacht. 90 Jahre Salzburger Festspiele: eine Baugeschichte im Zeitraffer.

Nicht in der ,gequetschten Enge‘ der Stadt, sondern im landschaftlichen Weichbild“ in Hellbrunn – so Josef August Lux 1918 – sollte das Salzburger Festspielhaus liegen. Hans Poelzig plante zwischen 1920 und 1922 ein Projekt in drei Entwurfsschritten. Der deutsche Architekt beherzigte die Forderung des Theatermagiers Max Reinhardt, Bühne und Zuschauerraum ineinandergreifen zu lassen. Poelzigs erster Entwurf schöpfte bewusst aus Salzburgs Vergangenheit und dem konkreten Ort. Mozart, Rokoko, die Grotten und das Steintheater von Hellbrunn konnten – von ihm spezifisch interpretiert – als grottenartige Höhle, künstliche Landschaft anklingen.

Das ursprüngliche Ensemble von 1920/21 entsprach der Forderung nach einem großen Festspielhaus für 2000 und einem kleinen Haus für 800 Personen. Das wurde 1922 auf das große Haus für Oper, Schauspiel und Konzert für 3000 Zuschauer reduziert, das Freilichttheater blieb. Das von „Rokoko-Flammen“ umspielte Gebilde überarbeitete Poelzig 1922 zum strengen, mächtigen Körper, den die Kegelpyramide des Zuschauerraums dominiert. Diese baulich leichter realisierbare Fassung mit einer Länge von rund 160 Metern gedieh bis zur Grundsteinlegung. Sie blieb – ohne die erhoffte, internationale Finanzierungshilfe, verschärft durch die Inflation – bloß Papier.

Zuerst die Winterreitschule

Parallel plante die Festspielhaus-Gemeinde in der Altstadt. Bevor Reinhardt den „Jedermann“ 1920 erstmalig in Salzburg vor dem Dom aufführen ließ, war dafür die Felsenreitschule vorgesehen gewesen. Für den Sommer 1921 wollte die Festspielhaus-Gemeinde den Hof mit den eindrucksvollen, 1693 von Johann Bernhard Fischer von Erlach in den Berg geschnittenen 96 Zuschauerlogen mit einem durchgehenden, stützenfreien Dach überdecken lassen. Dieses hätte die „künstlerisch geadelte Naturwand mit der freien Natur, dem offenen Himmel“ zerrissen, so die nachvollziehbare Kritik von Josef August Lux. In gleicher Konsequenz lehnte das Bundesdenkmalamt das Dach ab. Eine provisorische Dachlösung nur für Regenwetter – so der Denkmalpfleger Karl Holey – wäre hingegen ein „Gewinn auch für die Aufführungen der Festspiele“ und eine hilfreiche (später von Clemens Holzmeister umgesetzte) Anregung.

Zuerst aber wurde die große Winterreitschule von 1840 (heute das „Haus für Mozart“), die sich bereits 1921 für „Jedermann“-Vorstellungen bewährt hatte, 1924/1925 adaptiert. Max Reinhardt wollte den Dachstuhl teilweise heben und einen eisernen Vorhang vermeiden, was Landeskonservator Eduard Hütter als Planer umsetzen konnte. Es entstand die Illusion eines einheitlichen „Kirchenraums“ aus gotisierend-kathedralartiger Mysterienbühne und Zuschauerraum, die – so der Reinhardt-Experte Heinrich Huesmann – klarste Konzeption einer Raumbühne unter allen Theatern Reinhardts.

Der offene Dachstuhl milderte das Regenprasseln nicht. Solche Unzulänglichkeiten, schlechte Sichtverhältnisse wie auch gestalterische Schwächen behob Clemens Holzmeister nach dreiwöchiger Planung und Umbau von Mai bis Anfang August 1926 umfassend. Der Architekt ersetzte die Seitengalerien aus Eisenbeton durch Holzgalerien, verbesserte die Akustik durch eine Zwischendecke mit hölzernen Resonanzkassetten und schuf einen neuen Haupteingang mit dem von Anton Faistauer freskierten Foyer. Jakob Adlharts für das Entreé geschaffene marmorne Maskengruppe ist noch heute ein Symbol der Festspiele. Weltanschaulich gemeinsam im Cartellverband verankert, verdankte Holzmeister der Hilfe des „kunstbegeisterten Mannes und Führers“ – so Holzmeister später über Landeshauptmann Franz Rehrl – den Auftrag. So legte Holzmeister im Festspielbezirk den Grundstein für sein „erworbenes Hausrecht“. Seine Karriere war – so bestätigt der ausgewiesene Holzmeister-Kenner Wilfried Posch – eng mit dem Cartellverband verknüpft. In Salzburg plante er bis zu seinem Tod unter vier ÖVP-Landeshauptmännern.

Hans Poelzig hatte sich in Hellbrunn bewusst vom Genius loci anregen lassen, im Stadtzentrum realisierte sein deutscher Kollege Peter Behrens mit dem Kolleghof St. Benedikt von St. Peter 1924/26 die gleiche Grundintention. Das „wie aus dem Fels gewachsene Riesentor“ zum Toscaninihof verarbeitete kreativ die Bautradition und den Ort eng am Mönchsberg. Clemens Holzmeister ließ sich beim Umbau 1926 vom benachbarten, aus dem 17. Jahrhundert stammenden Rupertinum inspirieren, das horizontale Fassadenabschlüsse durch sogenannte Vorschussmauern besitzt. Die Grabendächer dahinter werden durch Sammeltöpfe und Regenabfallrohre entwässert, die auch die Fassaden gliedern. Während Holzmeisters Interpretation dieser für Salzburg typischen Elemente 2004 dem Neubau zum Opfer fiel, blieb sein markanter Bühnenturm von 1937/38 davon verschont.

Holzmeister steigerte bei diesem Zubau Monumentalität und Pathos. Der Architekt drehte – angeregt von Franz Rehrl – den Zuschauersaal um 180 Grad und erweiterte ihn von 1200 auf 1700 Plätze. Holzmeister interpretierte das neue, monumentale Bühnenhaus als Bastion des anschließenden Mönchsbergfelsens, um „diesen Riesenklotz in das Stadtbild einzupassen“. Die Fassade im Toscaninihof mit der eindrucksvollen, neuen Wegführung der Mönchsbergstiege wird geprägt durch grobe, gestockte Betonoberflächen, die dem benachbarten Konglomeratfelsen angenähert wurden.

Die Fertigstellung des Hauses 1938 fiel bereits in die Zeit der NS-Diktatur. Das Wahrzeichen der Festspiele, Adlharts Maskengruppe, wurde entfernt, sein Portalschmuck von sechs Genien im Toscaninihof zerstört. Die Faistauerfresken konnten vor dem abermaligen, von Hitler und Goebbels im Herbst beschlossenen Umbau gerettet werden. Benno von Arent, dessen Bühnenstaffagen Hitler „eine Brücke in eine schönere Welt“ bedeuteten, wurde mit der Neugestaltung beauftragt. Sie sollte „Architektur und Musik, diese beiden Grundwerte salzburgischen Wesens“, bestimmen.

Der Berliner Reichsbühnenbildner ließ 1938/39 die Räumlichkeiten mit Stuck barockisierend-schwülstig verkleiden und die zentrale Loge zur Führerloge umbauen. Gestaltungen und Programm sollten „in der Verknüpfung von Sinnbildern der großen Vergangenheit Salzburgs (Barock, geplante Mozart-Reliefs) und des Nationalsozialismus (Hoheitszeichen, Führerbüste, Führerloge)“ – so der Historiker Gert Kerschbaumer – die „Systemzeit“ vergessen machen. Die Wirkung als „gewöhnliches, und zwar sehr gewöhnliches ödes Provinztheater“ (so Arthur Rössler treffend) mit ungünstiger Sicht und Akustik im 48 Meter langen Zuschauerraum blieb bis zum Umbau 1962 erhalten. Dessen Voraussetzung war der Bau des 1960 eröffneten Großen Festspielhauses. Holzmeister verband dabei Zuschauerraum und Bühne durch ein Portal mit einer variablen Breite von 14 Metern – ähnlich der Wiener Staatsoper – bis zu beachtlichen 30 Metern. Diese Breitbühne und die Einbeziehung der Vorbühnenzone fußt auf seinen Erfahrungen mit der Simultanbühne seiner Fauststadt in der Felsenreitschule 1933 und seinem „Idealentwurf eines Theaters“ (mit Carl Ebert). 1950 hatte Holzmeister für Salzburg ein gigantomanisch auf dem Mönchsberg thronendes Festspielhaus für das prekäre Luftschloss einer internationalen Musikolympiade projektiert. Es „übersiedelte“ nach Protesten in den Kurgarten unmittelbar neben Schloss Mirabell, wo ein symbolischer Grundstein gelegt wurde. Beide Projekte blieben Papier.

Durchsetzen konnten Holzmeister und Regisseur Herbert Graf ihren 1953 ins Spiel gebrachten Bauplatz, zwischen Marstall und Mönchsbergfelsen, als künftigen Festspielbezirk. Der energische Bauherr, Landeshauptmann Josef Klaus, stand hinter seinem Cartellbruder Holzmeister, der beispielsweise erklären konnte, für diesen Standort keinen Architektenwettbewerb zu akzeptieren. Mit der Kostenexplosion von 110 auf 210 Millionen Schilling schraubte sich wegen einer Vertragsklausel mit dem Titel „technischer Notstand“ der Bundesanteil weit über die ursprünglich vereinbarten 67 Prozent hinauf.

Die „restlose Erfüllung der Ansprüche eines modernen Theaters in Bezug auf Hör- und Sichtbarkeit im Zuschauerraum und in Hinsicht auf die Benützung der Bühne als bewegliches Instrument für die Darbietung von Schauspiel und Oper, Konzert und Ballett“ gelang Holzmeister mit diesem durch Holz geprägten Raum. Karl Löbl empfand 1960 „einen durchaus festlichen Eindruck ohne falschen Prunk und bombastische Aufmachung“. Wenn Holzmeister der „im modernen Theaterbau herrschenden Tendenz zur Sachlichkeit und Klarheit“ – wie der Musikkritiker meinte – folgte, so war dies eine repräsentative, handwerklich gediegene, moderat zeitgemäße Gestaltung, keine innovative Spitzenleistung der Architektur der Moderne. Zudem wollte Holzmeister „die klaglose Einbindung des neuen Baukomplexes in das empfindsame Stadtbild von Salzburg“ erreichen. Der ehemalige Marstall des 17. Jahrhunderts wurde – bis auf zwei Achsen mit der Stirnseite zum Karajan-Platz, die Johann Bernhard Fischer von Erlachs Portal aufnimmt – abgerissen, selbst die denkmalgeschützte Straßenfassade verschwand wegen angeblicher Baufälligkeit.

Verzwickte Kompromisse

Mehr Raum auf dem engen Bauplatz schuf Holzmeister mit einem zusätzlichen Attikageschoß durch die haltlose wie hilfreiche Behauptung, dass solch eine Attika in einer alten Ansicht vorhanden gewesen sei. Diese Aufstockung beeinträchtigt die Proportionen der im Wesentlichen rekonstruieren Fassade. Außerdem erhöhte ein weiterer Aufbau mit Grabendächern das Volumen des Zuschauerraums. Dieser vermittelte zum durch Spritzbeton dem Mönchsbergfelsen angeglichenen Bühnenaufbau. Holzmeister konnte durch die Abtragung von 55.000 Kubikmeter Mönchsberg-Fels einen Teil des großen Raumprogramms bewältigen. Zwar musste er räumlich verzwickte Kompromisse eingehen, im großzügigen Auditorium ist davon aber nichts zu spüren. Aus der (Platz)Not machte er eine Tugend und die Hofstallgasse zum „schönsten Pausenfoyer der Welt“.

„Altertümeleien vermeidend“ wollte Holzmeister mit dem Festspielhaus „der vielfach schon ,zerstörten Schönheit‘ dieser Stadt an prominenter Stelle Einhalt“ gebieten. Im Vergleich zu den großen Würfen, 1926 der Umbau kleines Haus (dieser Nukleus der Festspiele wurde 2004 abgerissen) und 1937 der Bühnenturm als Bastion, kombinierte Holzmeister hier weniger inspiriert, pragmatisch die traditionellen Elemente und Materialien. Dennoch ist das große Haus für die 1950er- und 1960er-Jahre – von kleineren Beispielen abgesehen – der einzige schöpferische Neubau in der Altstadt. Es spricht auch für das große Haus, dass danach im Festspielbezirk dessen Qualität bis heute nicht erreicht wurde.

Clemens Holzmeister plante fast 60 Jahre – bis zu seinem Tod, 1983 – an „seinem“ Festspielbezirk, der seit 1960 städtebaulich determiniert ist. Seine beiden in das Ensemble eingebetteten Bühnenhäuser werden auch bei künftigen Umbauten nicht untergehen können. Angesichts von 2179 Sitzplätzen im Großen Festspielhaus wurde das kleine Haus 1962/63 seines Stucks entledigt, die Sicht- und Hörverhältnisse wurden verbessert. Die Salzburger Architekten Erich Engels und Hans Hofmann verkürzten den Bestand und reduzierten die Sitzplätze auf 1267 (60 Stehplätze). Das war Holzmeister zu wenig. Seine bereits 1960 präsentierte Alternativplanung zu einem „intimen Mozart-Festspielhaus“ für Oper und Kammerspiel sollte mit einem dreigeschoßigen Logenblock die Raumtiefe um 17 Meter und die Plätze von 1682 um 500 reduzieren.

Dieses Konzept entwickelte er ab 1977 weiter. Den rückwärtigen Logenturm mit Arkaden wollte er den Höfen Salzburger Bürgerhäuser der Renaissance entlehnt wissen, Altstadthaus-Fassaden sollten die Seitenlogen integrieren. Der Kritik, die Bühne zum „architektonischen Vakuum“ zu degenerieren, folgte eine weniger historisierende, abstrahierende Formensprache. In Holzmeisters Konzeption sollte die Illusion eines Platzes oder Hofes unter tiefblauem Nachthimmel entstehen, die den Innenraum virtuell öffnet. Holzmeisters unrealisierte Planung bot nicht nur einen Theatersaal, so der Theaterwissenschaftler Wolfgang Greisenegger, sondern „theatralisierte die Architektur“. Der Architekt holte fast unmittelbar die „Atmosphäre der Stadt“ und „ihr süddeutsch-italienisches Ambiente in den Saal“ herein. „Gesehen, genau studiert und mit Begeisterung einverstanden“: So zeichnete Herbert von Karajan am 27. März 1982 den Plan ab. In Holzmeisters Geist bauten Aldo Rossi und andere Architekten 1987/1991 das Theatro Carlo Felice in Genua um. Der führende Exponent der Postmoderne hatte in Holzmeisters Todesjahr 1983 den Wettbewerb gewonnen.

Wilhelm Holzbauer erneuerte schließlich in einer Architekten-Arge das kleine Haus zum „Haus für Mozart“ 2004/2006. Die sehr umstrittene Auftragserteilung an den Holzmeister-Schüler ist im Buch „Stadtbühne und Talschluss“ ausführlich dokumentiert. Holzbauer verkürzte den Raum leicht und verbreiterte ihn minimal. Das von spröd-kraftlosem Pathos und sperriger Heterogenität geprägte Auditorium wurde auf 1495 Sitz- und 85 Stehplätze wirtschaftlich aufgerüstet. Damit war das Programm der Festspielgründer von 1920 endgültig Geschichte. Ihre Forderung nach einem „großen Festraum für 2000 Personen, die alle gut sitzen, hören und sehen“, erfüllte das große Haus. Die zweite Spielstätte sollte hingegen ein „kleines intimes Spielhaus – das eigentliche Mozart-Spielhaus“ für nur rund 800 Personen werden.

Das 1921 für Hellbrunn projektierte Festspielensemble sah eine Freilichtbühne vor, bald fiel aber der Fokus auf die Felsenreitschule. Clemens Holzmeister wusste um die Ambivalenz, den großzügigen Hof zu überdachen, als er ihn ab 1926 schrittweise zur wetterunabhängigen Aufführungsstätte aufrüstete. Er ließ die Mönchsbergseite mit Fischer von Erlachs Arkaden unberührt und machte sie zum Bühnenhintergrund. Mit der Fauststadt entstand 1933 eine hölzerne Zuschauertribüne, deren Großteil ab 1934 ein Holzdach überdeckte, ergänzt um eine mobile Regenplane.

Seit Holzmeisters letzter Aufrüstung 1968/70 ist nur noch ein gutes Drittel der ursprünglichen Hoffläche – der Bühnenbereich – zu öffnen. Trotz mächtigem Stahltragwerk behielt das Auditorium mit Kassettendecke und Wandverkleidungen aus Holz einen Hauch des Temporären, der bald Vergangenheit sein wird. Das Architekturbüro Halle 1 wird 2010/11 den Dachkörper mit einem zusätzlich nutzbaren Geschoß erneuern, die Wände mit Gipskartonplatten verkleiden und den Raum zeitgemäß gestalten. Den Hauch des einstigen Hofcharakters wird ab Herbst 2010 ein gedämmter, besser klimatisierbarer Raum ersetzen, dessen Dach teilweise zu öffnen sein wird.

Das im Laufe der Jahre zu rund 90 Prozent neu errichtete Ensemble des Festspielbezirks wird Baustelle bleiben. Die Umbaugeschichte kann und wird weitergehen, wie es die Festspielgründer – oft kurzfristig entschieden – 1925, 1926, 1933, 1934, 1937 und so weiter vorgemacht haben. ■

FESTSPIELHÄUSER: Ausstellung

Ab 17. Juli zeigt das „Salzburg Museum“ (Mozart-Platz 1) die Ausstellung „Das große Welttheater – 90 Jahre Salzburger Festspiele“.

Im Rahmen dieser Schau werden an zwei zusätzlichen Ausstellungsorten Festspielhaus-Architekturen präsentiert: im Hellbrunner Monatsschlössl Hans Poelzigs Projekt, im Foyer des Großen Festspielhauses die Entwicklung von Clemens Holzmeisters Festspielbezirk. Näheres unter www.salzburgmuseum.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2010)

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