Telfs: "Keine Alternative zu Integration"

Telfs Keine Alternative Integration
Telfs Keine Alternative Integration(c) APA/ROBERT PARIGGER (ROBERT PARIGGER)
  • Drucken

Telfs bemüht sich um ein Miteinander der Kulturen. Durch einen Kompromiss konnten die Streitigkeiten um ein Minarett beigelegt werden: Der Turm ist nur 15 Meter hoch und wird nicht für einen Ruf des Muezzins verwendet.

TELFS. Die 15.000-Seelen-Gemeinde Telfs im Tiroler Oberland wird wohl noch eine ganze Weile als der einzige Ort Österreichs neben Wien und Bad Vöslau in Erinnerung bleiben, in dem eine Moschee mit einem Minarett steht. Was wurde damals vor vier Jahren nicht öffentlich polemisiert – in der Bevölkerung gab es heftige Proteste. Der damalige Bürgermeister Stephan Opperer (ÖVP) stimmte der Errichtung des 20 Meter hohen Gebetsturms dennoch zu. Die Situation drohte daraufhin zu eskalieren, bis der Verein für kulturelle und soziale Zusammenarbeit (ATIB) die Reißleine zog und sich bereit erklärte, dass der Bau nur 15 Meter hoch sein und nie ein Muezzin vom Turm aus zum Gebet rufen werde.

Ghettobildung vorbeugen

Erst durch diesen Kompromiss konnten die Streitigkeiten beigelegt werden. „Die Anfeindungen waren damals für ein respektvolles Miteinander zwischen Einheimischen und Bürgern mit Migrationshintergrund nicht gerade förderlich“, blickt der amtierende Bürgermeister Christian Härting (Fraktion „Wir für Telfs“) zurück. „Plötzlich war die Atmosphäre derart gespannt, dass sie den besten Nährboden für Entwicklungen von Parallelgesellschaften hätte bilden können. Ich bin erleichtert, dass das Kapitel Minarett in Telfs abgeschlossen ist und wir uns wieder unseren Bemühungen widmen, Integration in all ihren Facetten vorzuleben.“ Das beginne bei der kalkuliert durchmischten Vergabe von Gemeindewohnungen, um Ghettobildungen vorzubeugen, und reiche über ein breites Angebot im Vereins-, Sport- und Kulturwesen bis hin zu speziellen Projekten in Kindergärten und Schulen.

Das Pilotprojekt „Sprachstartklasse“ starte im September, erzählt Härting und gerät ins Schwärmen. „15 außerordentliche Schüler der Volksschule werden ein Jahr lang mit besonderem Sprachschwerpunkt gesondert unterrichtet – von speziell ausgebildeten Lehrpersonen. Wobei dieses Jahr den Schülern voll angerechnet wird. Ich freue mich sehr auf dieses Experiment und hoffe natürlich, dass es bei einem Erfolg landesweit in Serie geht.“

Feuer und Flamme für dieses Projekt ist auch Güven Tekcan, erster und einziger türkischstämmiger Gemeinderat in Telfs und Obmann des Integrationsausschusses. „Die Sprache ist die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration“, betont Tekcan. „Unsere Projekte mit dem Integrations- und Bildungsausschuss sowie dem Jugendsportverein zielen in erster Linie darauf ab, Migrantenkindern so früh wie möglich Deutsch beizubringen, um sie vor Isolation und Diskriminierung zu schützen und Berührungsängste abzubauen.“

Der Abbau von Berührungsängsten ist auch Kerpic Erbakan (37), einem von vielen türkischstämmigen Restaurantbesitzern, ein besonderes Anliegen: „Ich lebe seit 26 Jahren hier und habe Telfs als einen Ort kennengelernt, der im Umgang mit dem Fremden früh gelernt hat, dass nur das Miteinander zum Ziel führt“, so Erbakan. „In meinem Restaurant wurde ich nie mit Neid konfrontiert, im Gegenteil, die Telfer sind stolz auf ihre vielen türkischen Lokalbesitzer und Unternehmer.“

Eine multikulturelle Wirklichkeit, die auch nach Ansicht des Integrationsbeauftragten Ewald Heinz „akzeptiert“ wird. Denn auch wenn es noch in vielen Bereichen ein Nebeneinander gebe, nehme die Bereitschaft für das Miteinander ständig zu. „Integration kann man mit Wachstum vergleichen“, sagt Heinz. „Und Wachstum braucht seine Zeit. Man kann es nicht künstlich beschleunigen, man kann es lediglich aufmerksam beobachten und optimale Rahmenbedingungen schaffen. In dieser Hinsicht ist Telfs ganz vorne dabei.“

AUF EINEN BLICK

Christian Härtingist Bürgermeister in Telfs. Die Marktgemeinde hat 15.000 Einwohner, insgesamt leben hier Staatsbürger aus 60 Nationen. Die größte Volksgruppe mit Migrationshintergrund ist die türkische mit 2500 Personen, 65 Prozent von ihnen sind österreichische Staatsbürger. Ein 15 Meter hohes Minarett drohte vor vier Jahren den Ort zu spalten. Mittlerweile wird Telfs aber immer mehr zu einer Modellgemeinde für Integration. [Internet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.