Tschetschenen in Österreich: Zwischen Verfolgung und Terrorismus

Österreich beherbergt eine der größten tschetschenischen Exilgemeinden in Europa.

Zuerst der Mord an einem tschetschenischen Regimekritiker in Wien, dann die Festnahme eines mutmaßlichen Terroristen aus der Kaukasus-Republik am Flughafen Wien-Schwechat: Zwei Ereignisse beschreiben das Spannungsfeld zwischen Verfolgung und Terrorismus, in dem sich die auf 20.000 Menschen geschätzte tschetschenische Diaspora in Österreich bewegt. Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht beherbergt Österreich "eine der größten Exilgemeinden dieser Volksgruppe in Europa".

Nach Erkenntnissen der österreichischen Verfassungsschützer teilt sich die tschetschenische Exilgemeinde in Österreich "in zwei Lager: in Unterstützer des derzeitigen Regimes und in islamistische Separatisten, von denen die Schaffung eines 'Emirates Kaukasus' angestrebt wird". Auch werbe die Regierung von Präsident Ramsan Kadyrow verstärkt darum, dass Tschetschenen in ihre Heimat zurückkehren und unterstütze sie dabei.

Der Zustrom von Tschetschenen nach Österreich ist dennoch ungebrochen, bedingt durch funktionierende Schlepperrouten und die gute Aussicht auf Asyl. Fast ein Viertel aller Asylanträge in Österreich werden von Tschetschenen gestellt. In den vergangenen Jahren gab es teilweise eine 80-prozentige Anerkennungsquote bei tschetschenischen Asylanträgen, doch sind die Behörden mittlerweile wieder restriktiver geworden. Im Vorjahr stellen insgesamt 3.559 Bewohner der Russischen Föderation - zu einem hohen Prozentsatz Tschetschenen - einen Asylantrag. 30 Prozent der Anträge wurden anerkannt - nur Flüchtlinge aus dem Irak (53 Prozent) und Afghanistan (41 Prozent) haben eine größere Chance, Asyl in Österreich zuerkannt zu bekommen.

Auch der am Mittwoch am Wiener Flughafen festgenommene Tschetschene lebte als anerkannter Flüchtling im niederösterreichischen Bezirk Neunkirchen. Einem von der belgischen Justiz verfassten europäischen Haftbefehl zufolge soll er "logistische Unterstützungsmaßnahmen" geleistet haben für Extremisten, die einen islamistischen Staat im Kaukasus schaffen wollen. Es ist nicht das erste Mal, dass tschetschenische Extremisten in Österreich gefasst wurden. Schon vor drei Jahren forschte die Polizei zwei russische Staatsangehörige aus, die zwei 16-jährige Tschetscheninnen für Terrorakte angeworben haben sollen.

Die mehrheitlich von Moslems bewohnte Kaukasus-Republik ist seit Anfang der 1990er Jahre ein Unruheherd. Nach zwei Kriegen (1994-96 und 1999-2001) konnte Moskau die Republik erst mit Hilfe des früheren Rebellen Ramsan Kadyrow befrieden. Seit 2006 regiert er die Kaukasus-Republik mit harter Hand. Er soll auch hinter dem Mord an dem Regimekritiker Umar I. stecken, der im Jänner 2009 auf offener Straße in Wien-Floridsdorf erschossen wurde. Wegen des Mordes müssen sich seit November drei mutmaßliche Mittäter vor dem Wiener Landesgericht verantworten, der Todesschütze ist flüchtig. Seit dem Mord gab es "mehrere Fälle von konkreten Bedrohungen gegen Tschetschenen", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2010.

Die Polizei attestiert den in Österreich lebenden Tschetschenen eine vergleichsweise hohe Gewaltbereitschaft. Viele junge Tschetschenen seien nämlich durch das Aufwachsen im Konfliktgebiet geprägt. "Ein Menschenleben scheint da nicht besonders viel zu zählen", sagt Innenministeriumssprecher Rudolf Gollia. Daher enden Meinungsverschiedenheiten oft in Gewalt. Es gebe Abrechnungen zwischen tschetschenischen Clans, aber auch mit anderen ethnischen Gruppen wie Moldawiern und Georgiern.

Militärische Ausbildung präge die in Österreich lebenden Tschetschenen, hieß es dazu auch aus Kreisen der Wiener Polizei. Nur wenige hätten einen Zivilberuf. Dadurch sei auch die Schwelle bei Körperverletzungen eine viel niedrigere. Ein Höhepunkt an Brutalität wurde im April 2007 erreicht: Damals wurde ein 22-jähriger Tschetschene von einem 29-Jährigen Landsmann bei einem Streit zwischen mehreren Asylwerbern im Bezirk Baden erschossen.

(APA)

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