Experten: Verfassungsänderung nötig

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Für Verfassungsjuristen wäre eine Volksbefragung zur Heeresreform sinnvoll – „betrifft eine elementare Frage unserer Gemeinschaft“. Die Neutralität sei kein Hindernis für einen Umstieg.

Wien. „Jeder männliche Staatsbürger ist wehrpflichtig.“ In der Bundesverfassung ist im Artikel 9 a Absatz 3 die allgemeine Wehrpflicht festgeschrieben, die zumindest nach dem Plan von Verteidigungsminister Norbert Darabos „ausgesetzt“ werden soll. Aber auch für ein derartiges „Aussetzen“ der Wehrpflicht sei eine Verfassungsänderung unumgänglich, sind sich Verfassungsexperten einig.

Unabhängig davon, dass es zwischen SPÖ und ÖVP noch keine Einigkeit über die Zukunft des Bundesheeres gibt, würde das politisch bedeuten, dass für eine Verfassungsänderung im Parlament die Zustimmung einer Oppositionspartei notwendig wäre. Nachdem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zuletzt bekräftigt hat, dass seine Partei an der Wehrpflicht festhält, kämen für eine Unterstützung Grüne und BZÖ infrage, die dafür eigene Vorschläge in die Verhandlungen einbringen würden.

Darüber hinaus machen die drei von der „Presse“ befragten Fachleute Heinz Mayer, Bernd-Christian Funk und Theo Öhlinger deutlich, sie würden im Falle des Abgehens von der Wehrpflicht die Bürger in die Entscheidung über einen Umstieg auf Berufs- und Freiwilligenheer einbinden. Darabos hatte bei der Pressekonferenz ausdrücklich von einem Aussetzen (siehe nebenstehenden Bericht, Anm.) der Wehrpflicht gesprochen. Ob dies mit der jetzigen Verfassung möglich sei? „Nein“, lautet die einhellige Antwort der Verfassungsjuristen. „Offen zu sagen, die allgemeine Wehrpflicht setze ich aus, geht nicht ohne Verfassungsänderung“, betont Mayer. In dieselbe Kerbe schlägt auch Funk: „Es wäre nicht zulässig zu sagen, wir setzen das aus und berufen niemanden ein oder nur jene, die sich freiwillig melden.“

Unterschied zu Deutschland

Sein Kollege Theo Öhlinger streicht den Unterschied zur Situation in Deutschland hervor: Im Nachbarland sei ein Aussetzen der Wehrpflicht möglich, weil dort die Verfassung „erlaubt“, die Bürger zum Heer einzuziehen; in Österreich seien männliche Staatsbürger dagegen „verpflichtet“.

Bei einem Abgehen von der allgemeinen Wehrpflicht könne auch der Zivildienst in seiner jetzigen Form nicht mehr beibehalten werden. Denn der Zivildienst „hängt“, wie die Experten betonen, in seiner jetzigen Form in der Verfassung an der allgemeinen Wehrpflicht und müsste daher ebenfalls geändert werden.

Auf politischer Ebene denkt vor allem die SPÖ, die Bevölkerung mittels Volksbefragung oder Volksabstimmung in die Entscheidung über das Auslaufen des Präsenzdienstes und ein neues Heeresmodell einzubinden. Einig sind sich die Experten, dass ein solches Votum jedoch nicht zwingend wäre. „Aus verfassungsrechtlicher Sicht besteht keine Notwendigkeit“, stellt Funk klar.

Dennoch zeigen alle drei befragen Verfassungsjuristen Sympathie dafür. „Es ist ein Abgehen von einer jahrzehntelangen Tradition. Daher könnte ich mir schon vorstellen, dass das Sinn hat“, erklärt Mayer. „Summa summarum hielte ich es für erwägenswert und zweckmäßig“, so Funk, „es ist eine elementare Frage, die unsere Gemeinschaft betrifft.“ Ähnlich Öhlinger: Der Wehrdienst betreffe einen großen Teil der Bevölkerung. Politisch hätte eine „direktdemokratische Einschaltung“ seiner Ansicht nach „schon sehr viel für sich“.

Sorge, wer sich meldet

„Viel wichtiger“ ist für Mayer allerdings, dass die Politik zuvor „gut überlegt“, was das Heer künftig tun solle. Und: „Wie stelle ich auch sicher, dass ich nicht Leute kriege, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben?“ Außerdem würden sich bei einem Freiwilligenheer auch solche melden, „die man nicht in einer bewaffneten Formation haben sollte“.

Österreichs Neutralität ist für die bloße Umstellung von der allgemeinen Wehrpflicht auf ein Berufs- und Freiwilligenheer kein Hindernis. Denn weder völker- noch staatsrechtlich stelle das Neutralitätsrecht eine Verpflichtung dar, eine bestimmte Form des Heeres zu wählen, erläutert Funk. Abgesehen davon sei von der Neutralität bis auf die Bündnisfreiheit und das Verbot der Stationierung fremder Truppen in Österreich „ja fast nichts mehr übrig“, ergänzt Mayer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2011)

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