Leitl: "Sieben Todsünden der Regierung"

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Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl attackiert beim „Politischen Aschermittwoch“ des VP-Wirtschaftsbundes die Bundesregierung. Behindertenvertreter fordern indes das Aufbrechen "tradierter Denkmuster"

Graz/Wien. Die mit getragenen Melodien eher unpassende Adventstimmung verbreitende Bläsergruppe auf der Bühne kann es nicht gewesen sein. Vielleicht genügte die Bierhallenatmosphäre im Brauereigasthof von Graz-Puntigam? Am ehesten war es aber wohl die Vermutung, dass wenige Stunden später bei der traditionellen Aschermittwoch-Rede von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache in der Jahnturnhalle von Ried im Innkreis ein ähnlicher Ton angeschlagen werden würde.

Als präventiven Konter ließ sich Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl jedenfalls schon Mittwochmittag in Graz zu einem ungewohnt schlüpfrigen Vergleich hinreißen: „Lugner hat fürs Schauen mehr gezahlt als Berlusconi fürs Tun“, fällt ihm zum Opernballgast des Seitenblicke-Baumeisters ein. Der launige Sager garantiert Leitl schon nach zwei Minuten seiner knapp einstündigen Rede beim „Politischen Aschermittwoch“ des VP-Wirtschaftsbundes einen ersten Zwischenapplaus der knapp 350 – vorwiegend männlichen – Zuhörer. Derart motiviert, biegt Leitl zügig in einen Generalangriff gegen die Bundesregierung ein. „Sieben Todsünden“ macht er in der aktuellen Performance der SPÖ/ÖVP-Koalition aus. „Die Welt ist im Wandel, Österreich steht still“, vermisst er die „gerade jetzt notwendige Dynamik bei der Umsetzung wichtiger Reformschritte“. Leitls Fazit: „Die derzeitige Bundesregierung ist ein HC-Strache-Förderungsverein.“ Zwischenapplaus. Nach dem guten Agieren der Bundespolitik in der Krise hänge diese jetzt „wie gelähmt in den Seilen“, wird Leitl am Ende resümieren und noch spitzer ausrichten: „Liebe Bundesregierung, wir haben uns ein bisserl auseinandergelebt.“ Auf Nachfrage nimmt er gegenüber der „Presse“ den ÖVP-Teil der Koalition dezidiert nicht aus: „Der Bundeskanzler hat als Chef die Hauptverantwortung, aber ich sage bewusst nicht ,Alleinverantwortung‘.“

„Politische Schmähführer“

Bei der zweiten Todsünde folgt aber doch eine direkte Breitseite gegen den Kanzler. Gebe es eine Weltmeisterschaft im Rückwärtsfahren, spielt Leitl auf die Besteuerungsmodelle des SPÖ-Chefs an, „Didi Mateschitz würde Werner Faymann sofort engagieren“. Der an dieser Stelle noch von Lachen begleitete Zwischenapplaus wird später eher förmlich. Zu bekannt scheinen Leitls Kritik an der Leistungsfeindlichkeit des heimisches Systems, die Warnung vor einem Unterschätzen des Potenzials der Frauen in der Wirtschaft, seine deutliche Absage an eine verordnete Quotenregelung und sein Plädoyer für eine Generationenfairness.

Deutlich mehr begeistern kann der WK-Präsident mit seinem Vorschlag, jene 600 Millionen Euro, die die Hacklerregelung kostet, in eine Forschungs- und Entwicklungsoffensive an den Universitäten umzuwandeln. „Da wird eine Chance stümperhaft vergeben“, ortet Leitl eine weitere Todsünde. „Politische Schmähführer“ macht er zudem bei der (fehlenden) Unterstützung der dualen Ausbildung aus. „Wir brauchen eine neue Partnerschaft zwischen der Regierung und der Wirtschaft“, fordert Leitl.

Zeitgleich im Parlament in Wien: Die Behindertensprecher Helene Jarmer (Grüne) und Franz-Joseph Huainigg (VP) haben ebenfalls zu einer „Aschermittwoch-Veranstaltung“ geladen. Sie fordern eine bessere Einbeziehung Behinderter ins politischen Leben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2011)

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