Wer kann seinen Job (wollen)?

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kann seinen wollen(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Anstand und Stillstand. Josef Pröll kehrt der Politik den Rücken. Sein Nachfolger muss bereit sein, eine Partei zu übernehmen, die ihre Zukunft hinter sich hat. von Michael Fleischhacker

Der Rücktritt eines amtierenden Vizekanzlers, Finanzministers und Parteiobmanns stellt im politischen Leben eines Landes unabhängig von den individuellen Umständen eine Zäsur dar. Im politmedialen Komplex werden dann die alten Fragen diskutiert, auf die es seit jeher keine sinnvollen Antworten gibt. Man fragt sich bang, warum es überhaupt noch jemanden gibt, der sich das alles antut und warum die Politiker immer schlechter werden. Und man antwortet darauf, dass der Job einfach zu schlecht bezahlt sei – Negativauslese! – und dass man Tag und Nacht von übelmeinendem Gesindel verfolgt werde, das im Privatleben herumschnüffle und auch sonst keinerlei Hemmungen habe, Politik und Politiker in den Dreck zu ziehen.

Ja eh.

Dass die Nachfolge Josef Prölls in der ÖVP ein Job ist, von dem man sich nicht nur fragt, ob ihn einer kann, sondern auch und vor allem fragen muss, ob diesen Job jemand wollen kann, hat allerdings mit diesem Lieblingsthema des österreichischen Hausfrauenjournalismus wenig zu tun. Das Problem des künftigen Obmanns der Österreichischen Volkspartei ist nicht, dass er, wenn er auch ein Ministeramt bekleidet, nur rund 250.000 € pro Jahr verdienen wird und möglicherweise nicht auf die ungeteilte Liebe der Familien Dichand und Fellner zählen kann. Sein – oder ihr – Problem wird sein, eine Partei zu übernehmen, die ihre Zukunft hinter sich hat. Der englische Polizeijargon kennt dafür den Ausdruck Dead on Arrival: Das Opfer ist bei Eintreffen der Rettungskräfte schon tot.

Hoffnungslos von gestern

Die ÖVP repräsentiert als Organisation stärker als alle anderen Parteien das Grundproblem des politischen Systems in Österreich: Es ist hoffnungslos von gestern, bildet die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht einmal annähernd ab und wird von einer Funktionärskaste beherrscht, in der nicht an die Macht der Ideen geglaubt wird, sondern an die Idee der Macht.

Dieses System bringt Politiker hervor, die sich in ihrem Denken und Handeln niemals über die engen Grenzen des eigenen Bundes, des eigenen Landes, der eigenen Partei hinaus bewegen dürfen, weil das auch ihren ökonomischen Untergang bedeuten würde. Sie haben nichts gelernt, außer in einem solchen System zu funktionieren. Die absolute Mehrheit der österreichischen Nationalratsabgeordneten hat ihr bisheriges Lebenseinkommen ausschließlich von der öffentlichen Hand bezogen. Im wirklichen Wirtschaftsleben wären sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht lebensfähig. Also sind sie bereit, alles zu tun, was die Organisation, von der ihre Existenz abhängt, will.

Mit der Struktur der ÖVP ist es wie mit dem österreichischen Wahlrecht: Warum sollten Männer und Frauen eine Änderung beschließen, von der sie wissen, dass sie zum Ende der eigenen politischen Karriere und damit zu existenziellen Problemen führen würde? Reformierbar sind solche Strukturen, wenn überhaupt, nur nach Katastrophen. 1999 hat Wolfgang Schüssel mit seinem Coup, die ÖVP nach der katastrophalen Wahlniederlage vom dritten Platz aus zur Kanzlerschaft zu führen, dazu genutzt, die Bünde und die Sozialpartner für seine Regierungszeit einigermaßen zu neutralisieren. Nicht, weil er die Partei reformiert hätte, sondern weil er für den Moment von sieben Jahren für das materielle Überleben der Parteifunktionäre wichtiger war als der jeweilige Bund.

Kapitulation

Josef Pröll hat in seiner beachtlichen Rücktrittsrede (Wortlaut Seiten 2/3) erklärt, er hätte zum Weitermachen noch mehr Kraft gebraucht als vor seinem Lungeninfarkt. Man wird seinen Rückzug aus der Politik nicht nur als Entscheidung zu Gunsten von Gesundheit und Familie lesen müssen, sondern auch als Kapitulation vor einer unlösbaren Aufgabe. Sein politisches Talent hat es ihm erlaubt, während der eineinhalb Krisenjahre als schwarze One-man-show beim Publikum zu punkten. Seine Partei und der Bundeskanzler waren während der Zeit einfach abgetaucht. Als die Krise vorbei war, waren sie beide wieder da: Werner Faymann und die ÖVP.

Mit dem politischen Gegner hätte Josef Pröll zurechtkommen können. Mit der ÖVP nicht. Die wird frühestens jener Obmann reformieren können, der sie nach der nächsten Niederlage übernimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2011)

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