Vorratsdaten: Rückschritt zum "Metternich-Staat"?

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Nationalrat. Die Vorratsdatenspeicherung kommt mit April 2012 – wesentliche Kritik blieb ungehört. Der Vorsitzende des Datenschutzrates, der SPÖ-Mandatar Maier, verließ wegen der Abstimmung den Saal.

Wien. Das erste Wort war eigentlich dem Kanzler vorbehalten, er sollte dem Nationalrat am Donnerstag die neuen Regierungsmitglieder vorstellen und erklären, mit welchen Zielen er in die zweite Halbzeit der Legislaturperiode zu gehen gedenke (siehe Bericht rechts).

Doch Werner Faymann musste warten, eineinhalb Stunden lang. Denn die Opposition nutzte die Gunst der Fernsehübertragung und schoss sich frühmorgens auf ein Gesetz ein, das SPÖ und ÖVP im Laufe des Tages noch beschließen wollten (und sollten): die sogenannte Vorratsdatenspeicherung.

Die FPÖ ortete „konkrete Bürgerüberwachung“, die Grünen „Bespitzelungsmethoden“ und einen Rückschritt zum „Metternich-Staat“, während BZÖ-Vizeklubchef Peter Westenthaler Österreich zu Berlusconi-Italien verkommen sah: Um Handy- oder Internetdaten abzurufen, brauche die Polizei künftig keine richterliche Genehmigung mehr. Das gebe es nur in einem europäischen Land: „Ich gratuliere Ihnen, Sie stellen Österreich auf das Bunga-Bunga-System um.“

Auch wenn ÖVP-Technologiesprecherin Karin Hakl hernach betonte, dass Straftaten im Internet künftig im „Rahmen der Verhältnismäßigkeit“ verfolgt werden können: Das Gesetz stellt einen Paradigmenwechsel in der Strafverfolgung dar. Gespeichert wird künftig alles von allen, egal, ob verdächtig oder nicht. Und das über einen Zeitraum von sechs Monaten.

Betroffen sind Verbindungsdaten von Telefon, Handy und Internet, außerdem Messenger-Dienste und E-Mails. Aus all dem geht hervor, wer wann von welchem Ort aus mit wem Kontakt hatte. Nur der Inhalt von Nachrichten oder Telefonaten wird nicht aufgezeichnet.

Bei der Kontrolle nachgebessert

Anfang der Woche hatten sich SPÖ und ÖVP noch zu Anpassungen in Detailfragen durchgerungen. Das Ergebnis: Abfrage und Auswertung der Daten unterliegen künftig verstärkter Kontrolle und Berichtspflicht gegenüber dem Parlament.

Fragen beispielsweise Staatsanwälte oder Polizisten ohne richterlichen Beschluss bei einem Provider an, darf dieser lediglich Name und Anschrift einer bereits ermittelten Telefonnummer, E-Mail- oder IP-Adresse bekannt geben. Wollen die Behörden ein komplettes Kommunikationsprofil, muss dies ein Gericht genehmigen.

Außerdem sind derartige Auskunftsansuchen immer von zwei Staatsanwälten oder Polizeibeamten (Vieraugenprinzip) zu stellen. So wird eigenmächtiges Handeln eines Einzelnen erschwert.

Christof Tschohl, der als externer Experte des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte (BIM) an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt war, sieht die Änderungen jedenfalls positiv. „So hat man in letzter Sekunde einige Giftzähne gezogen.“ Nachsatz: „Auch wenn das nichts daran ändert, dass die Vorratsdatenspeicherung an sich grundrechtlich fragwürdig ist.“

Denn laut Richtlinie der EU soll das Gesetz dazu dienen, Terrorismus und Schwerstkriminalität zu bekämpfen. Der Polizei genügt künftig aber schon der Verdacht auf eine „allgemeine Gefahr“, um Vorratsdaten auswerten zu dürfen. Eine Formulierung, die der Verfassungsdienst des Kanzleramtes in einer Stellungnahme für den Datenschutzrat scharf kritisierte, weil sie „eine Möglichkeit der Durchbrechung des Kommunikationsgeheimnisses für sämtliche den Sicherheitsbehörden übertragenen Aufgaben bedeutet“. Doch diese Fundamentalkritik schien die Regierung bis zuletzt nicht zu stören.

Querschüsse aus den eigenen Reihen kamen gestern nur mit Verweis auf die Verantwortung der anderen. Insbesondere innerhalb der SPÖ. Der Abgeordnete Johann Maier, der als Vorsitzender des Datenschutzrates im Vorfeld massive Kritik geäußert hatte, meinte vor der Abstimmung im Nationalrat, dass mit diesem Gesetz ohnehin nur eine EU-Richtlinie umgesetzt werde. Nur die Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger blieb dabei – vom Rathaus aus forderte sie ihre Kollegen im Parlament auf, gegen das Gesetz zu stimmen: „Wenn es um die Bürgerrechte geht, haben die gewählten Vertreter die Pflicht, diese zu wahren und dafür ohne Wenn und Aber einzutreten.“

Doch Frauenbergers Ruf blieb ungehört: Am Nachmittag wurde die Vorratsdatenspeicherung mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschlossen. In Kraft treten wird das Gesetz im April 2012. Der SPÖ-Abgeordnete Johann Maier verließ bei der (namentlichen) Abstimmung den Sitzungssaal – er ist auch Vorsitzender des österreichischen Datenschutzrates.

Auf einen Blick

Die Vorratsdatenspeicherung wurde in der Nationalratssitzung am Donnerstag mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschlossen. Sie schreibt Telekommunikationsbetreibern vor, Telefon- und Internetdaten sechs Monate lang zu speichern. Kritik kam nicht nur aus der Opposition, sondern auch von Wiens SPÖ-Stadträtin Sandra Frauenberger. Beschlossen wurde gestern, Donnerstag, auch die Fahrradhelmpflicht für Kinder bis zwölf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2011)

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