Pensionen: "Diese kollektive Dummheit ist verblüffend"

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Pensionen: "Diese kollektive Dummheit ist verblüffend"Pensionsexperte Bernd Marin (c) Hopi-Media
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"Wer weiter arbeitet, wird als Trottel betrachtet": Pensionsexperte Bernd Marin im DiePresse.com-Interview über die "Unterschichten-Kultur" und Parallelen zu Griechenland im "eher rückständigen Österreich".

DiePresse.com: Ich bin Jahrgang '84. Dürfen meine Alterskollegen und ich noch mit einer ausreichenden staatlichen Pension rechnen oder sollte ich mich nach diesem Interview an die Bank meines Vertrauens wenden?

Bernd Marin: Sie werden in jedem Fall eine „Pension“ erhalten. Wie viel die im Vergleich zu heute wert sein wird, hängt völlig vom Erfolg künftiger Reformbemühungen ab. Derzeit sind leider noch überzogene, nur schwer haltbare Zusagen in Umlauf. Wenn bei jeder nötigen Anpassung wie in den letzten Jahren ein Schritt vor und einer zurück gemacht würde, dann würden Sie sehr viel weniger kriegen als frühere Generationen. 

Ich frage, weil 75 Prozent der Jugendlichen nicht mehr mit einer ausreichenden staatlichen Pension rechnen. Das gibt doch zu denken.

Das ist tatsächlich ein katastrophaler Befund, und wie die meisten Ängste höchstwahrscheinlich stark übertrieben. Ich bin kein Prophet und kann daher diesen Pessimismus weder bestätigen, noch widerlegen, aber durchaus verstehen. Es ist sehr problematisch, wenn ein Wohlfahrtsstaat nicht allen Generationen und Sozialgruppen annähernd gleiche Konditionen bietet. Es könnte derzeit für einzelne Jahrgänge oder ASVG-Angehörige sogar zu einer laesio enormis („Verkürzung über die Hälfte“) gegenüber bevorzugten Gruppen oder Kohorten kommen. Ein Vertrag nach bürgerlichem Recht wäre dann null und nichtig, der Generationenvertrag ist aber ein compact, kein contract, man kann ihn daher nur politisch einklagen.

Es muss sich also einiges ändern. Wären Sie Sozialminister, welche Vorhaben würden Sie sofort, also noch in dieser Legislaturperiode, umsetzen?

Kurzfristig würde ich versuchen, versicherungsmathematisch korrekte Zu- und Abschläge herbeizuführen, allerdings nicht nur bei Arbeitnehmern, das kann sofort geschehen. Statt der Langzeitversichertenregelung sollte es einen „Hackler-Bonus neu“ geben -  für Weiterarbeiten statt als Ausstiegsprämie - und ein sofortiges Auslaufenlassen der Alters-Teilzeit, vor allem der Blockvariante. Außerdem würde ich millionenschwere, ungedeckte Sonderrechte etwa bei Altpolitikern, Nationalbankern und alten „Dienstordnungs“-Pensionisten der Sozialversicherung abschaffen bzw. „sozialistisch“ hoch besteuern, strikt nach Maßgabe ihrer Beitragslücken. Das bringt nicht allzu viel, ist aber ein wichtiges Signal für mehr Fairness, weil diese Privilegien alle anderen demoralisieren und in ihrem Widerstand auch gegen vernünftige, zumutbare Reformen bestärken. Außerdem würde ich die Wirtschaft mit in die Pflicht nehmen und Betriebe, die signifikant mehr Frühpensionierungen, Invalidisierungen, Arbeitsunfälle und Langzeitkrankenstände verursachen, an den derzeit auf die Allgemeinheit abgewälzten Kosten beteiligen. In Holland etwa funktioniert das gut. Berufsunfähigkeit würde ich aus der Pensionsversicherung ausgliedern und Rehabilitation vor Invaliditätsleistungen ist ohnedies schon auf Schiene. Und auch mittel- und längerfristig wäre viel zu tun.


Das faktische Pensionsantrittsalter in Österreich ist im EU-Vergleich im Keller. Warum gehen die Österreicher gerne früher in Pension?

Oft entsteht ein auf Dauer selbstzerstörerisches kollektives Phänomen aus ursprünglich verständlichen Beweggründen. In den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war es ein falscher, aber weit verbreiteter Antwortversuch auf die Wirtschaftskrise nach dem Ölschock, es hat sich seither aber völlig verselbständigt – und im Gegensatz zu den meisten OECD-Ländern bisher noch zu keiner Umkehr und Trendwende geführt. Salopp und überspitzt könnte man sagen: Wie das Steuerhinterziehen in Griechenland, der Türkei und in Italien oder das Krankfeiern in Schweden scheint in Österreich die Frühpension geradezu als eine Art Volkssport. Aus Sicht des Einzelnen leicht begreiflich: Wenn jemand Anfang 50 jede Woche von Kollegen oder gar dem Betriebsrat oder Personalchef gefragt wird, wann er eigentlich in Pension geht, dann fühlt er sich – ganz zu Recht - fehl am Platz, missachtet, gekränkt und als Versager, weil er noch arbeitet.

»"Wir sind dem Balkan-Raum weit näher"«



Das klingt vor allem nach einem Mentalitätsproblem?

Ich würde mir wünschen, dass unsere Mentalität näher an jener der nüchternen Schweizer oder Nordwesteuropäer wäre. Dort wurde erkannt, dass es sich bei den Pensionen um eine Existenzfrage handelt, es wurde rational diskutiert und Entscheidungen getroffen, die von allen mitgetragen wurden, ganz unabhängig von unterschiedlichen politischen Überzeugungen. Unsere Mentalität ist aber eher näher jener der Griechen und daher lassen sich die Leute auch Verrücktheiten einreden wie in Griechenland, wo politisches Kleingeld gewechselt, gestreikt und die Elektrizität abgedreht wird,  obwohl ihnen das Wasser bis unter die Nasenspitze steht. Es tut weh zu sehen, dass wir im europäischen Vergleich, etwa im Diskurs der Gewerkschaften, ein eher rückständiges Land sind, weit näher dem Balkan und dem östlichem Mittelmeerraum als dem avancierten Europa.

Wo genau sehen Sie die Parallelen zu Griechenland?

Wenn man bei uns abstimmen lassen würde, wie zuletzt etwa in Slowenien, würden auch wir Mehrheiten zu verrückten Positionen kriegen. Auch bei uns gibt es das realitätsverweigernde Motto: "Wir schulden nichts, wir zahlen nichts."  Die Leute haben hierzulande etwa das Gefühl, dass wenn sie „ein Leben lang“, daher durchschnittlich 31,8 Jahre eingezahlt  haben und dann Pensionsversprechen für durchschnittlich 25,3 Jahre bekommen, die 50 Prozent über ihren geleisteten Beiträgen liegen, dann ist das normal und voll gerechtfertigt. Sie sind, wie die „Empörten/Aganaktisméni“ in Griechenland, empört über das Infragestellen von Gewohnheitsrechten, auch wenn diese unhaltbar sind und schnurstracks in den Abgrund führen. Das ist eine kollektive Dummheit oder ein „Pensionsanalphabetismus“, wie die Schweden sagen, der schon verblüffend ist, ein Versäumnis an Bringschuld von uns allen, Fachleuten, Politikern, Medienmenschen. An Argentinien kann man heute sehen, welche psychologischen und sozialen Auswirkungen ein Staatsbankrott noch zehn Jahre später hat.

Welche Rolle spielen die Seniorenvertreter bei der stockenden Pensionsreform?

Die Seniorenvertreter haben eine große Macht und sie auch häufig problematisch eingesetzt. Zuletzt gab es aber auch Reformbemühungen, weil sie selbst gesehen haben, dass das System sonst zusammenbricht. Pensionsnahe Jahrgänge könnten künftig ebenfalls als zu spät Gekommene „die Hunde beißen", während die Pensionisten im „Leo“ weiter geschützt bleiben. Das ist grundsätzlich in Ordnung, sofern nicht Bezieher von teilweise sehr hohen Sonderpensionen ohne maßgebliche eigene Beitragsleistung demonstrativ und grundlos, nämlich leistungsfrei besser gestellt bleiben. Auch ist etwa unannehmbar, wie Blecha und Khol wegen der Streichung des Alleinverdienerabsetzbetrages für besser gestellte Pensionisten auf die Barrikaden stiegen.

Dabei behauptete Andreas Khol im DiePresse.com-Interview, die Macht der Pensionisten sei eine Illusion.

Vielleicht haben Khol und Blecha nicht die Macht, die sie gerne hätten, alles andere ist so kokett wie weiland Herr Dichand angeblich nur „im Vorhof“ der Macht. Sie sind beide  hochintelligente und ausgefuchste Politiker, den derzeitig Regierenden, mit Ausnahme der Sozialpartnerminister Hundstorfer und Mitterlehner, oft weit überlegen, politisch und intellektuell. Und deshalb fuhren sie jahrelang mit der Vorgängerregierung Schlitten, vom Pensionistenpreisindex bis zu den Zuschlägen auf die gesetzlich fixierte Wertsicherung. Man gab den beiden freiwillig weit mehr Einfluss, als sie nach dem Gesetz haben müssten.

Sie halten die Seniorenvertreter den Regierenden für haushoch überlegen. Das klingt nicht so, als würden Sie der Regierung zutrauen, eine nachhaltige Pensionsreform zustande zu bringen.

Ich möchte jedenfalls nicht in der Haut der Regierenden stecken. Der einzige, der den Seniorenvertretern von seiner politischen Sozialisation her gewachsen wäre, ist der Sozialminister. Er hat aber einen jahrzehntelangen Reformstau geerbt und aufgrund der realen Machtverhältnisse nur einen sehr geringen Bewegungsspielraum. Andererseits hätte, wenn überhaupt jemand, dann nur er als ehemaliger ÖGB-Präsident die Autorität, „seinen“ ArbeitnehmerInnen glaubwürdig mehr realistische Veränderungsbereitschaft zuzumuten, was freilich angesichts der jahrelang aufbereiteten Stimmungslage an Reformmissmut sehr schwierig sein dürfte. Es könnte wohl nicht einmal ein Revolutionär ohne akute Krisenzuspitzung rasch etwas ändern - und ein Revolutionär ist Hundstorfer als langjähriger Sozialpartner per Definition nicht.

Also was trauen Sie der Regierung noch zu?

Im günstigsten Fall schafft es die Regierung, das faktische Pensionsalter erstmals in der Nachkriegszeit langsam wieder anzuheben. Das hatte Schwarz-Blau völlig erfolglos versucht und wäre bereits ein Fortschritt. Nur: ein Jahr pro Jahrzehnt, wie der Sozialminister anstrebt, wird zu spät und zu wenig sein, wenn man beim niedrigen faktischen Antrittsalter ansetzt und gleichzeitig zweieinhalb Jahre pro Jahrzehnt an Lebenserwartung hinzugewinnt, ohne das automatisch in die Pensionsformel des gesetzlichen Bezugsalters zu integrieren, wie das selbstverständlich auch der Androsch-Preisträger Markus Knell vorschlägt. Doch wie ich höre sieht ÖGB-Präsident Foglar rot, wenn er die Vorschläge selbst der ihm nahestehenden Experten auch nur hört. Sozialpartnerkonsens um grundvernünftige Maßnahmen ist wegen der ÖGB-Vetomacht daher derzeit aussichtslos.


Sozialminister Rudolf Hundstorfer warf Ihnen im "profil" vor, eine "Altersarmut" für die Österreicher zu wollen.

Da hatten wir einen Schlagabtausch, wir haben das gleich ausgestritten. Eine solche Unterstellung kann und will ich nicht auf mir sitzen lassen. Der Sozialminister teilt kräftig aus, wenn er sich ärgert, das ist irgendwie verständlich, aber er ist selbstbewußt genug, auch ein offener und mutiger Kontrahent zu sein, was ihm hoch anzurechnen ist. Und er ist ein sehr guter, geschickter und kluger Disputant. Ich hatte seit Dallinger mit vielen Sozialministern zu tun, das sieht man schon sehr große Qualitätsunterschiede, professionell und menschlich. Ich kann aber auch sehen, unter welchen Zwängen sich die Realpolitik für Regierungsverantwortliche, die wiedergewählt werden wollen, abspielt.

Als Sinnbild für die Irrwege des rot-weiß-roten Pensionssystems gilt die „Hackler“-Regelung. Wie kann eine abschlagsfreie Mindestpension für Langzeitversicherte überhaupt unter diesem Namen laufen?

Das ist ein 180–200.000 Euro Zuschlag zu sehr hohen, nicht zu Mindestpensionen, und kaum ein wirklicher „Hackler“ kriegt sie je. Es war ein besonders schlauer Verkaufs-Schmäh der Schüssel-Regierung mit der – grundsätzlich richtigen - Idee, die „Fleißigen und Tüchtigen“ besonders zu belohnen. Und wer tatsächlich 45 Beitragsjahre abgeleistet hätte, wäre ja wirklich tüchtig. Bundeskanzler Schüssel dachte damals aber irrtümlicherweise, es ginge um 45 echte Arbeitsjahre und die Hacklerregelung sei ein Auslaufmodell, weil immer weniger Personen mit 14 zu arbeiten begonnen würden.

Was geschah dann?

Ich habe damals schon gesagt, es wird umgekehrt einen regelrechten Boom geben, und den Run gab es seither auch, von Jahr zu Jahr weit mehr als jeweils erwartet und budgetiert. Problematisch war auch, dass alle Landeshauptleute von Pröll bis Sausgruber und natürlich auch Herr Neugebauer von der GÖD mit dem eingängigen, aber falschen Slogan "45 Jahre sind genug" ihre Wahlkämpfe bestritten und gewonnen haben. Es gab da einen parteiübergreifenden Konsens des Etikettenschwindels. In Wahrheit wurde die sog. „Hackler“-Regelung nach und nach ausgehöhlt, auf 40 Jahre für Beamte, bei billigem Nachkauf von Schul- und Studienzeiten reichen mitunter 26 statt 45 Arbeitsjahre für die Inanspruchnahme. Es gibt „Hacklerinnen“ in gemächlichen Bürojobs, die für jeden Euro, den sie beitragen, drei Euro fünzig Pensionsleistung erhalten, das sind – auf viel niedrigerem Niveau, aber dafür massenhafter - Konditionen wie für Altpolitiker oder Nationalbanker.

Die "Hackler"-Regelung scheint aber trotz aller Mahnungen und Versprechungen nicht tot zu kriegen.

Sie wird künftig eingeschränkt werden. Es wird das Antrittsalter auf 62 Jahre erhöht und der begünstigte Nachkauf von Versicherungszeiten beendet. Schnäppchenjägerei und Kosten werden also zurückgehen. Sie wird aber nicht sofort völlig auslaufen und man wird - nach milliardenschweren, unumkehrbaren Mehrbelastungen – nicht wiedergutmachen können, was in dieser volltrunkenen Nacht  des 24. September 2008 (Anm.: Nationalratssitzung im Wahlkampf) von ausnahmslos allen Parlamentsparteien einigen wenigen zusätzlichen, bevorzugten „Vintage“-Jahrgängen auf Kosten aller verschenkt wurde .

Das faktische Pensionsantrittsalter wird nicht nur durch die Hackler"-Regelung, sondern vor allem auch durch die große Zahl an Abgängern in die Invaliditätspension gedrückt. Haben wir ein Missbrauchs- oder ein Gesundheitsproblem?


Weder noch. Wir haben ein Strukturproblem. Wir schicken Menschen im besten Erwerbsalter in Pension. Die Pension ist aber eine Alterssicherung und kein Dauer-Krankenstand oder Aufenthaltsort für jüngere Langzeit-Arbeitslose oder für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Behinderung, Qualifikationsmängeln für Wiederbe-schäftigung, usw. Alle diese Fälle müssten im Krankenversicherungssystem, beim Arbeitsmarktservice oder woanders in der Sozialversicherung abgearbeitet werden, jedenfalls im Erwerbsalter niemals in Pensionsanstalten. In anderen Ländern wäre es undenkbar, dass jemand im Alter von 23 oder 47 Jahren in „Pension“ geht. Es gibt auch zu denken, dass in Friedenzeiten im Dritten Jahrtausend und in einem der besten Gesundheits- und Wohlfahrtsstaaten der Welt 75 Prozent der Männer eine Invaliditätsrente beantragen, eine Dreiviertelmillion seit der Milleniumswende, auch der Sozialminister spricht von einer „Horrorzahl“.

Das klingt dann aber doch nach einem Missbrauchsproblem?


Nein, Missbrauch ist absichtlicher Sozialbetrug. Man sollte aber auch das Ausmaß an Wehleidigkeit, Selbstmitleid, Selbstgerechtigkeit und Einfalt nicht unterschätzen. Das was der österreichische Psychiater und Aggressionsforscher Friedrich Hacker „Opferkonkurrenz“ nannte und der französische Philosoph Pascal Bruckner „ich leide, also bin ich, die Krankheit der Moderne“, nach dem stillen Motto, wer ist der Ärmste im ganzen Land? Ich habe tatsächlich Schreiben bekommen, wo mir etwa ein Handarbeitslehrer „namens zahlloser Kollegen“ erklärt, warum er mit 54 abschlagsfrei in Frühpension gehen müsse, weil ihn die „Gfraster“-Kinder so ärgern und ein „Burn-out inzwischen Regel und nicht Ausnahme im Lehrkörper“ sei. Die Österreicher billigen übrigens rund 180.000 Menschen zu, wirkliche „Schwerarbeiter“ zu sein, in der Eigenwahrnehmung halten sich aber 1,2 Millionen für Schwerarbeiter, öffentlichkeitswirksam allen voran Sicherheitswachebeamte, Kriminalinspektoren oder Spitalsärzte.

Ein weiterer Grund für das niedrige Pensionsantrittsalter ist die Tatsache, dass Frauen schon früher in Pension gehen, obwohl sie länger leben, der Sozialminister sieht trotzdem "ad hoc" keinen Handlungsbedarf, wie erklären Sie sich das?

Ich kann es mir nur so erklären, dass er sich mit der Kollegin Heinisch-Hosek (Anm.: Frauenministerin) nicht anlegen will, anstatt sie von feministischen Expertinnen überzeugen zu lassen, die das fast alle scharf kritisieren. Wir befinden uns damit in Gesellschaft  von Ländern wie Albanien, Armenien, Aserbaidschan bis Moldawien, Ukraine oder Weißrussland. Wenn man sich da wohl fühlt, nur zu. Wir sind in Europa das letzte Land vor der Türkei, das ein modernes, geschlechtsneutrales Pensionsalter, wie vom EUGH vorgeschrieben, erst 2034 herbeiführt. Im Gegensatz zu Dohnals Pionierzeiten schadet das Frauen heute, die 40-jährige Übergangsfrist ist ein vergiftetes Bonbon, wie alle Expertinnen sagen.

Noch eine persönliche Frage: Wann werden Sie Ihr Lebensthema am eigenen Leib erfahren und in Pension gehen?

Ich arbeite gerne, auch über 3000 Stunden im Jahr und werde daher, solange ich kann, nie aufhören. In meinem ersten Leben war ich Universitätsprofessor, im zweiten bin ich Direktor eines Forschungsinstituts, im dritten Lebensalter werde ich ein Beratungs-Büro gründen. Mein Vater ist fast 92 und arbeitet noch immer, daneben schreibt er Romane und kümmert sich um seine Frau, um Enkel und Urenkel. Hanna Arendts Vita Activa - Arbeit, Kontemplation und Liebe – ist wahrscheinlich das beste Anti-Aging-Mittel.

»"Wer weiter arbeitet, wird als Trottel gesehen"«



Die "Hackler"-Regelung ist für Sie also kein Thema?

Die ist für studierte Spätstarter im Beruf ohnedies nicht vorgesehen. Und mit längerem Arbeiten bleibt dem Staat mehr Geld, von allen, die länger einzahlen. Problematisch ist, dass in Österreich eine – durchaus verständliche – muffelige Unterschichten-Kultur von Erschöpfung und demoralisierter Arbeitsflucht einer Minderheit auch für breiteste Mittelschichten, bis in die privilegiertesten Nischen des geschützten Sektors hinein, stilbildend wurde.

Warum gibt es diese Kultur in Österreich und in anderen Ländern nicht?

In anderen Ländern ist eher eine Kultur der Lebenskünstler und der Selbständigen, Freiberufler, Künstler, Gelehrten und Unternehmer prägend – alles Berufe, in denen man meist viele Jahre länger, oft bis ans Lebensende arbeitet.  Bürgerlicher Fleiß und proletarischer Schweiß gelten unseren neo-feudalen, aristokratischen Werten kultivierten Müßiggangs als verächtlich. Wir haben die von  Beveridge, dem Erfinder des Wohlfahrtsstaats gegeißelte „Idleness“ ohne viel Kultur kultiviert und gehören inzwischen über 48 Jahre im Leben zu jenen, die Karl Renner abhängige „Versorgungsklassen“ nannte. Daher: Wer in Österreich weiterarbeitet, wird von anderen als Trottel angesehen. Und rein ökonomisch betrachtet lohnt es sich ja wirklich nicht. Intrinsische Motivation und Arbeitsfreude sind bei uns zutiefst verdächtig, und was man vielleicht still beneidet macht man laut herunter, nämlich die utopische Aufhebung des Gegensatzes von Arbeit und Muße, anstatt sie für alle anzustreben.

--> zur Reaktion von Andreas Khol auf die Aussagen von Bernd Marin.

Bernd Marin

Der 1948 geborene Sozialwissenschaftler zählt zu den gefragtesten Pensions-Experten im Land. Marin ist Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung und Autor einer Reihe von Büchern zum Thema Pensionen und Wohlfahrtsstaat. Sein neues Werk mit dem Titel "Welfare in an Idle Society?" soll noch heuer erscheinen.

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