Habsburgs Erbe zerfiel und erlebte dennoch eine Renaissance

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Der letzte Thronfolger Altösterreichs fand eine neue Rolle, der Traum vom supranationalen Reich verwirklichte sich in der realen Europäischen Union.

Als Erzherzog-Thronfolger hätte er einmal eine europäische Großmacht erben sollen – als ältester Abgeordneter zum Europäischen Parlament hat er den Lebensbogen beendet: Franz Josef Otto Robert Maria Anton Karl Max Heinrich Sixtus Xaver Felix Renatus Ludwig Gaetan Pius Ignatius von Habsburg-Lothringen ist tot. Sein hohes Alter in robuster Gesundheit – Erbteil der Mutter – war eine Gnade Gottes, dem er zeitlebens blindlings vertraut hat. Und so durfte er noch seinen Traum von einem Europa der freien Völker in Erfüllung gehen sehen. Dass er die ehemaligen „Kronländer“ des großen Reiches in Freiheit erleben konnte und das europäische Einigungswerk wenigstens am Rande mitgestalten durfte, war krönender Abschluss eines mehr als turbulenten Lebenslaufes.

Der 1. Weltkrieg als Ursünde

Anders – ganz anders hätte dieser aussehen sollen. Die österreichischen Doppeladler blähten sich noch stolz (wenngleich schon ein bisschen müde) auf den reich bestickten Standarten der kaiserlich-u.-königlichen Regimenter, damals, am 21. November 1912. Wenige dachten daran, manche ahnten düster, dass diese heile Welt vernichtet und das morsche Reich zerfallen werde. Durch einen ebenso sinnlosen wie mörderischen Weltkrieg, den das Herrscherhaus zu verantworten hatte.

Als es so weit war, der kaiserliche Vater – vertrieben von Land und Thron – im Exil auf Madeira viel zu früh starb, da war die kurze „Karriere“ des kaiserlichen Prinzen Otto jäh zu Ende. In einem Alter, in dem andere Kinder ins Leben treten, war seines schon mit vielen und schweren Erlebnissen beladen. Mit sechseinhalb Jahren hieß für ihn das neue Ziel – Exil. Aus der Kinderstube ging es direkt in die Schule des Lebens.

„Du bist jetzt Kaiser und König“

Denn der Vater – ausgemergelt und erschöpft nach dem Zusammenbruch seines Reichs – erkrankte in Funchal auf Madeira an der Spanischen Grippe. Das Kind – noch nicht zehn Jahre alt – musste am Sterbelager des Kaisers verweilen, der Vater wollte es so: „Er soll wissen, wie man sich in solchen Lagen benimmt, als Kaiser und als Katholik.“ Am Karsamstag 1922 war der Leidensweg des letzten Kaisers von Österreich zu Ende. Und die Mutter nahm ihren Ältesten beiseite: „Dein Vater schläft jetzt den ewigen Schlaf, nun bist du Kaiser und König.“ Dann, so wird erzählt, deutete sie vor ihrem Kind eine Verbeugung an.

Es dauerte, bis der junge Mann die Träume der kaiserlichen Mutter Zita als Illusion erkannte, ihn, den vergötterten ältesten Sohn, auf einen Thron in Europa zu setzen – es musste in ihren Augen nicht unbedingt der österreichische sein. Aber der Bedarf nach einem Habsburger-Herrscher war nach dem Absturz Alt-Europas ins Bodenlose nicht mehr gegeben – und der junge Mann musste sich nach anderen Lebenszielen umsehen.

Doktor der politischen Wissenschaft

Schwer genug für einen, der als Rüstzeug zwar die beste Ausbildung (österreichische und ungarische Matura, Doktorat der politischen und sozialen Wissenschaften in Löwen, Belgien) genießen durfte, von der Mutter, den Geschwistern und den zahllosen über die ganze Welt verstreuten Familienmitgliedern aber als „Chef des Hauses“ betrachtet wurde. Macht und Einfluss, Geld und Vermögen konnte er ihnen nicht verschaffen (manche waren selbst tüchtig genug) – aber den Glanz des Namens, den wollte/musste er den Nachkommen und der Welt erhalten. Respekt und Achtung wollte er aus Eigenem erringen – durch ein untadeliges Privatleben, durch ein Auftreten, stets „comme il faut“, durch eine Tätigkeit, die ihn unabhängig machen sollte von jeder staatlichen Apanage (die es sowieso nicht zu erhoffen galt) und durch eine politische Umtriebigkeit, die ihm ein bescheidenes Mitspielen im europäischen Gestaltungsprozess ermöglichen sollte.

Zita konnte nicht Verzicht leisten

Das ist Otto lange Jahre gelungen. Es war kein gescheitertes Leben – auch wenn das Ziel vorerst so ganz anders vorgegeben schien. Lange Zeit stand es im Schatten der kaiserlichen Mutter. Sie war gemeinsam mit dem Gemahl Karl vom ungarischen Fürstprimas gesalbt und gekrönt worden und fühlte sich daher absolut nicht berechtigt, auf irgendwelche Herrscherrechte zu verzichten. Sie sah sich bis zum letzten Atemzug als Königin ihrer Völker.

Ottos Abschied von diesen Illusionen glich einem Seiltanz: Hier die verehrte Mutter, die gehörig resolut sein konnte, dort die politische Einsicht, dass an eine Habsburger-Restauration nicht zu denken sei – nicht einmal in den turbulentesten Zeiten Österreichs 1938, als der erklärte Legitimist Kurt von Schuschnigg Österreich vor Adolf Hitler retten wollte. Otto forderte die Kanzlerschaft für sich, sollte Schuschnigg gar keinen anderen Ausweg mehr sehen. Für den Habsburger ein folgerichtiges Verlangen: Er habe seinem Land zu dienen, das hatte ihm die Mutter vorgelebt, auch um den Preis des persönlichen Unterganges. Aber Schuschnigg musste dies ablehnen: Weil es sinnlos gewesen wäre und er den Kaisersohn nicht unnötig in Gefahr bringen wollte. Da ging er später lieber selbst in den Hausarrest des NS-Regimes. Und Otto – über viele Zwischenstationen – ins US-Exil.

Abschied von allen Träumen

Erst im Amerika der Kriegsjahre schärfte sich Ottos politisches Profil. In unzähligen Demarchen, persönlichen Gesprächen auf allen Ebenen, bei zahlreichen Einladungen durch Präsident Roosevelt agitierte der Vertriebene für das Wiedererstehen eines souveränen Österreichs, für eine Abkoppelung des Landes vom Deutschen Reich nach Kriegsende – äußerstenfalls für eine vage „Donaukonföderation“ aller Nachfolgestaaten der alten Monarchie. Ohne Zita und die Söhne Otto, Robert und Felix hätte die berühmte „Moskauer Deklaration“ der Alliierten zu Österreich ganz anders gelautet.

Hochzeit in Nancy

Das wurde Otto nie gelohnt. Nach dem Krieg stand zunächst eine „standesgemäße“ Vermählung auf dem Programm. Regina, Prinzessin von Sachsen-Meiningen, hieß die Auserwählte, geboren 1925 in Würzburg aus dem Hause der Wettiner. Am 10. Mai 1951 heiratete man in der Kirche „Des Cordeliers“ im französischen Nancy, versehen mit Segenswünschen von Papst Pius XII., begleitet von Vertretern des gesamten europäischen Hochadels.

Als Familiensitz erkor das Paar Pöcking am Starnberger See. Von der „Villa Austria“, kann man die Salzburger Berge der Heimat erblicken. Im österreichischen Reisepass fand sich weiter der behördliche Eintrag: „Gilt für alle Staaten der Welt. Berechtigt nicht zur Einreise nach Österreich und nicht zur Durchreise durch Österreich.“Wenigstens dieses Unrecht wollte der promovierte Staatsrechtler Otto beseitigt wissen. Aber das dauerte noch bis in die Sechzigerjahre.

Zum Schluss noch zwei Söhne

Mindestens so ungeduldig warteten die verbliebenen Monarchisten auf die Geburt eines männlichen Nachkommens: Fünf Töchter hatte das Paar schon. Endlich sorgte die Geburt von Karl (11. Jänner 1961) und später noch von Georg für Aufatmen bei den Getreuen: Man hatte wieder einen virtuellen Thronfolger. Als „Erzherzog Karl von Österreich“ ließ ihn Otto ins Taufregister der Pfarrkirche von Pöcking eintragen.

Der Vater hingegen war unermüdlich auf Vortragsreisen, er schrieb Bücher, verfasste Zeitungskommentare – alles einer Idee untergeordnet: Nur ein vereintes Europa könne auf Dauer dem geschundenen Kontinent Frieden und Stabilität sichern. Diesem übergeordneten Ziel Richard Coudenhove-Kalergis folgte von da an die politische Lebensbahn des Habsburgers. Was der erste Pan-Europäer in der „Neuen Freien Presse“ skizziert hatte, das gestaltete Otto freilich nach eigenem Gutdünken aus. Die Tochter Walburga hat das einmal treffend so beschrieben: „Mein Vater entspricht – unter geänderten Bedingungen – dem Bild Grillparzers vom Kaiser, der niemals stirbt.“ („König Ottokar“, Anm.)

Viele Winkelzüge, manche Kompromisse waren dabei nötig. Nicht alle Familienmitglieder machten da mit. Sie akzeptierten nicht, dass der „Chef des Hauses“ freiwillig auf Restitutionsforderungen verzichtete, dass ihm eine politische Rolle wichtiger war – die er nur spielen konnte, wenn er sich mit den Parteien nicht anlegte.

Für die CSU nach Europa

Um überhaupt den Fuß in die Politik zu bekommen, nahm Otto eine Doppelstaatsbürgerschaft auf sich – sie ermöglichte ihm ein Mandat der bayerischen CSU für das Europaparlament. Und überdies verteidigte er stets und überall die Sudetendeutschen als „Schirmherr“ dieser vertriebenen Altösterreicher – eine durchaus logische Funktion im Selbstverständnis des Habsburgers.

In einer langen Generationenkette betrachtete sich Otto stets als Verbindungsglied zwischen 19. und 21. Jahrhundert. In jeder Phase hätten die Habsburger ihre Rolle zu spielen. Er sprach gern von der Translatio imperii,der Übertragung des Reiches. „Das war im Jahre 800, bei der Kaiserkrönung Karls des Großen, der Fall und später wieder bei der Krönung Ottos I. Es gab wieder eine Translatio imperii, als nach der chaotischen, kaiserlosen Zeit von 1245 bis 1273 Rudolf von Habsburg zum deutschen König gewählt wurde.“

Die Dynastie und das Reich

Und so war für den Mann, der aus rein taktisch-politischem Kalkül der Mitgliedschaft zum „Haus Habsburg“ abgeschworen hatte, bis zum letzten Atemzug die europäische Einigung nichts anderes als eine weitere Translatio imperii. Es gab keinen Thron, aber es gab die Idee des Abendlandes, „und Habsburg war die kaiserliche Dynastie des Abendlandes. Sie verkörperte seit Rudolf I. die reichische Idee.“ Und noch etwas hat Otto nie vergessen, sondern vorgelebt: „Die Dynastie hat nicht das Reich in Besitz genommen, sondern umgekehrt, das Reich die Dynastie.“ Eva Demmerle, die Otto bis zuletzt diente, schreibt dies in der Biografie.

Dass sein ältester Sohn Karl als österreichischer Parlamentarier eine Zeitlang neben ihm sitzen konnte – das war für Otto mehr als nur sentimentales Glücksgefühl im Alter: Ein Zeichen für die Kontinuität sollte es sein, die die Habsburger nie aus den Augen lassen würden. Aber dass dieser in vielem nicht nach ihm geriet – Otto wusste es natürlich. Nie hätte er ihn jedoch im Stich gelassen. Da ramponierte er lieber 1998 in blinder Verteidigung des Sohnes, der aus Unverstand das politische Kapital verspielte, eigenes Renommee. Im Jahr 2000 übertrug er dem Sohn noch das Amt eines „Souveräns“ über den Orden vom Goldenen Vlies, wofür sich Teile der Familie nur sehr zögernd erwärmen konnten. Noch weniger, als Karl am 1. Jänner 2007 die Nachfolge des Großmeisters des Ritterordens vom Heiligen Sebastian in Europa übernahm. Immerhin sorgten die Söhne für Nachwuchs. Was der alte Herr von seiner Schwiegertochter Francesca hielt, hat er nicht überliefert.

Lauer Kampf um Restitution

Um Geldangelegenheiten kümmerte sich Otto kaum – zum großen Ärgernis des immer größer werdenden Familienclans. Ja, das Familienoberhaupt verbot den diversen Anwälten, eine Restituierung jenes Fonds anzustreben, der 1919 als habsburgisches Privatvermögen enteignet, nach 1934 zum Teil zurückgegeben – und 1938 von Hitler wieder eingezogen worden war. Ein Teil der Familie wollte dies nicht auf sich beruhen lassen und rechnete sich während der schwarz-blauen Regierungsära ganz gute Chancen aus. Aber die Republik winkte ab, Bundeskanzler Schüssel zeigte auch wenig Ehrgeiz, hier endlich geordnete Verhältnisse zu schaffen. So blitzten die Anwälte bei dem Schiedsgericht ab – die Sache bleibt unerledigt, offenbar bis zum St.-Nimmerleinstag.

Doch da hatte sich Ottos dominierende Rolle ohnedies schon dem Ende zugeneigt. Er hatte immerhin die Ehre, den Altersvorsitz im Europaparlament führen zu dürfen, als zum ersten Mal auch österreichische Abgeordnete ihre Plätze im Plenum einnahmen. Das gemahnte stark an die repräsentative Rolle des habsburgischen Erzherzogs Johann: Der „steirische Prinz“ präsidierte immerhin 1848 die erste deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche und war zum „Reichsverweser“ gewählt worden. Ein Titel ohne Mittel auch hier.

Das „Europa-Picknick“ 1989

Aber dass just seine Paneuropa-Union vor genau 22 Jahren jenes „Picknick“ an der ungarischen Grenze veranstaltete, das den Aufbruch, die Explosion in Osteuropa einleitete – diese historische Rolle wird ihm nie jemand absprechen, auch wenn seine resolute und tüchtige Tochter Walburga federführend war. Nie werden wir die Bilder jener jubelnden DDR-Bürger vergessen, für die sich in Ungarn erstmals der Stacheldraht zum goldenen Westen, zur erhofften Freiheit öffnete. Eine Eruption war das, nichts konnte diesen einmal eingeleiteten „Volksaufstand“ – im wahrsten Sinne des Wortes – mehr stoppen. Kein Gorbatschow, kein Honecker.

Das wiegt, das zählt. Und das wird auch in den Geschichtsbüchern Österreichs Bestand haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2011)

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