Hengstschläger: Für PID auch bei drohenden schweren Krankheiten

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Der stellvertretende Vorsitzende der Bioethikkommission fordert die Politik zum Handeln auf: "Ein Embryo ist bei uns nicht stark geschützt, in manchen Fällen ist Tötung des Fetus bis in den neunten Monat möglich."

Die Presse: In Deutschland wurde heute über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) abgestimmt. Sollte die Debatte auch bei uns laufen?

Markus Hengstschläger: Ja. Die Bioethikkommission, deren stellvertretender Vorsitzender ich bin, arbeitet intensiv, doch die Politik reagiert überhaupt nicht. In Österreich gibt es nicht einmal eine ernsthafte Diskussion! PID ist ja fast schon in der ganzen EU erlaubt, natürlich mit Einschränkungen. Nachdem Italien die PID wieder erlaubt hat, bleibt nur noch Irland, wo die PID nicht erlaubt ist. Aber Irland hat auch eine konsequentere – wenn auch von mir nicht befürwortete – Haltung. Dort gibt es keinen Widerspruch wie bei uns: Denn ein Embryo ist bei uns in der Gebärmutter nicht stark geschützt, in manchen Fällen ist Fetozid (Tötung des Fetus) bis in den neunten Monat möglich.

Welche Gesetze gehören geändert?

Nicht nur das Gentechnikgesetz, sondern auch das Fortpflanzungsmedizingesetz.

Wieso?

Bei uns sind bisher nur Paare zur künstlichen Befruchtung zugelassen, die einen klinisch bewiesenen unerfüllten Kinderwunsch haben. Paare, die auf natürlichem Weg schwanger werden können, haben keinen Zugang zum IVF-Fonds (der einen Teil der Kosten einer In-vitro-Fertilisation zahlt). Der gehört erweitert auf Paare, die die Geburt eines kranken Kindes vermeiden wollen, dem sie dann beim Sterben zusehen müssen. Ich finde es bedenklich, dass man Paaren mit genetischer Belastung in der Familie sagt, sie sollen halt einmal schwanger werden, dann werden die Gynäkologen einen pränatalen Test machen und ihnen gegebenenfalls einen Schwangerschaftsabbruch vorschlagen; wenn die dann vier, fünf Schwangerschaften auf Probe machen müssen – das ist eine Behandlung, die nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entspricht.

Wenn das droht, sind Sie für Präimplantationsdiagnostik?

Bei IVF ist der Fall für mich klar, wenn man schon weiß, dass man den Embryo – wenn er den befürchteten Gendefekt hat – ohnehin nicht implantieren kann oder dass die Frau in der Schwangerschaft mit diesem Embryo nicht weit kommen wird. Ich spreche in so einem Fall vom „genetischen Tod“, denn bei einem Embryo kann man ja weder einen klinischen Tod noch einen Hirntod definieren. Es macht dann überhaupt keinen Sinn, der Frau durch eine Implantation physische, psychische und ökonomische Strapazen anzutun. PID bedeutet in diesem Fall keine Selektion, die nicht sowieso schon stattfindet.

Und wie ist es mit PID, die auf genetisch bedingte Erkrankungen testen soll?

Das ist immer eine Gratwanderung zwischen der Schwere der Erkrankung und dem aktuellen Stand der Therapierbarkeit. Wenn es um eine Krankheit geht, die im Zug der ersten Monate zum Tod führt, sollte man darauf auch testen dürfen.

Kann und soll man eine Liste von genetischen Krankheiten erstellen, auf die mit PID getestet werden darf?

In der deutschen Diskussion kam heraus, dass das sehr schwer ist. Aus zwei Gründen: Erstens ist der Zusammenhang zwischen Genen und Krankheiten ein fließendes Forschungsgebiet, man müsste die Liste also ständig umschreiben. Zweitens gibt es Fortschritte in der Therapierbarkeit.

Erlauben Sie mir doch ein paar Beispiele: Soll man auf Zystische Fibrose (eine genetisch bedingte Stoffwechselkrankheit, bei der die Sekrete aller Drüsen verändert sind) testen dürfen?

Zystische Fibrose hat früher häufig zum Tod in der Kindheit geführt, heute ist sie besser therapierbar, Patienten haben gute Aussicht, das vierte Lebensjahrzehnt zu erreichen. Aber der liberalere Gesetzesvorschlag in Deutschland ist auch hier für PID, weil es eine schwere Erkrankung ist, die mit einem „normalen Leben“ nicht vereinbar ist.

Und Chorea-Huntington, wo meist im Alter von 40 Jahren Bewegungsstörungen beginnen, die binnen 15 Jahren zum Tod führen?

Ja, das ist ein typischer Fall einer prädiktiven Diagnose einer Krankheit, die erst später im Leben ausbricht. Ich hätte jedenfalls gern, dass die betroffenen Familien ein entscheidendes Mitspracherecht haben.

Test auf Genvarianten, die Brustkrebs fördern?

Bei schwer betroffenen Familien, wo schon mehrere Mitglieder an Brustkrebs gestorben sind, sollte man das im einzelnen Fall zulassen. Aber ich gestehe ein: Das ist ein Grenzfall. Denn gerade bei Brustkrebs kann man mit engmaschiger Prophylaxe viel bewirken.

Bluterkrankheit?

Bei Hämophilie gibt es schwerere und leichtere Formen. Bei schwereren bin ich dafür.

Gibt es Indikationen, wo Sie auf jeden Fall gegen PID sind?

Ich bin klar dagegen, dass man sich das Geschlecht des Kindes aussuchen kann. Überhaupt gehört alles, was nicht mit Krankheiten zu tun hat, nicht in dieses Programm.

Glauben Sie, dass die katholische Kirche ihren Standpunkt zur PID ändern wird?

Das glaube ich nicht. Die Kirche kann hier verständlicherweise nur schwer Kompromisse eingehen. Aber ich möchte zu bedenken geben, auch wenn ich selbst einen katholischen Background habe: Die katholische Kirche setzt den Beginn eines schützenswerten individuellen Lebens sehr früh an. Andere Religionen sehen das ganz anders. Judentum, Islam, auch Religionen, die an Wiedergeburt glauben, setzen den Beginn des Lebens später an. Im Islam beginnt die Werdung der Seele mit dem 40. Tag. In Israel wird die PID genauso wie die embryonale Stammzellforschung auch religiös akzeptiert.

Wäre es vernünftig, den Beginn des Lebens mit der Einnistung in der Gebärmutter festzulegen?

Da gibt es unter Biologen so viele Meinungen! Manche meinen, es beginnt, wenn die Totipotenz der Zellen verloren geht (wenn aus einer Zelle nicht mehr alle Zelltypen werden können). Manche bringen den Tag 14 ins Gespräch, weil da erstmals eine Vorstufe eines Nervensystems entsteht.

Sie selbst machen ja bereits eine Art von PID, nämlich die Analyse von Polkörpern (die an der Eizelle hängen).

Die ist aber nur beschränkt einsetzbar. Denn dabei wird nur das mütterliche Genom getestet. Wenn der Vater Träger oder Überträger einer genetischen Krankheit ist, nützt das gar nichts.

Manche meinen, es sei ohnehin in Nachbarländern wie Ungarn oder Tschechien möglich, PID durchzuführen...

Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Auch weil der IVF-Fonds für Behandlungen im Ausland natürlich nichts zahlt. Das heißt, Patienten, die eine solche Behandlung in Anspruch nehmen, müssen viel Geld haben. Das ist für mich ein Fall von Klassenmedizin – dass man Menschen, die solche Erkrankungen haben, auch noch abstraft, indem man ihnen sagt: Zahlt euch das selber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2011)

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