Diskussion: "Junge Türken fühlen sich nicht zu Hause"

Diskussion:
Diskussion: "Junge Türken fühlen sich nicht zu Hause"(c) Presse (Mirjam Reither)
  • Drucken

Staatssekretär Sebastian Kurz diskutiert mit Fuat Sanaç, dem Präsidenten der österreichischen Muslime. Ein Gespräch über unterdrückte Frauen, Moscheen in jeder Stadt und - ja, Integration.

Eine Umfrage, die dem neuen Integrationsbericht angefügt ist, besagt, dass sich 55 Prozent der Migranten nicht als Österreicher fühlen – obwohl die meisten schon Staatsbürger sind. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Fuat Sanaç: Nehmen wir die türkischen Jugendlichen her: Man darf sie nicht ausgrenzen. Denn das passiert immer wieder. Man gibt ihnen nicht das Gefühl, dass sie hier zu Hause sind. Umgekehrt dürfen sich diese Jugendlichen allerdings auch nicht abgrenzen.

Sebastian Kurz: Wer Anerkennung will, muss sie sich durch Leistung erarbeiten. Jene, die Deutsch lernen, eine gute Ausbildung machen, etwas leisten und sich am gesellschaftlichen Leben beteiligen, sind angekommen. Das sind Menschen, die sich als selbstbewusste Muslime und Österreicher fühlen.

Liegt es also an jedem selbst, sich zu integrieren? Oder müssen die Österreicher einen Schritt auf die Migranten zugehen?

Kurz: Ich habe nicht gesagt, dass man nicht aufeinander zugehen muss – sondern nur, was Migranten aus ihrer Eigenverantwortung heraus tun können.

Sanaç: Wenn sich Menschen nicht wohl fühlen, integrieren sie sich nicht. Das hat mit dem Islam nichts zu tun, es ist generell so. Aber Integration kann nicht nur einseitig funktionieren. Die Mehrheitsgesellschaft muss sich öffnen, die Muslime müssen sich öffnen. Und der Staat muss fördern, nicht nur fordern.

Kurz: Ich glaube, es braucht beides. Die Migranten müssen die Angebote auch annehmen und Zeit investieren.

Sanaç: Natürlich braucht es Druck – aber auch Motivation. Ich sage meinen Leuten immer: Ihr müsst Deutsch lernen und auf die Ausbildung eurer Kinder achten. Und ihr müsst den Österreichern sagen, dass ihr im gleichen Boot sitzt und auch etwas leistet.

Woher kommen diese Vorbehalte zwischen Österreichern und Muslimen – oder Türken?

Kurz: Die Stimmung ist aufgeheizt, weil der Fokus auf die Probleme gerichtet ist, nicht auf die Chancen. Das ist zum Teil politisch geschürt und führt zu der Einschätzung, dass Migranten nicht willens sind, hier etwas zu leisten. Obwohl das mehrheitlich nicht stimmt.

Sanaç: Die letzten 30 Jahre wurde nur oberflächlich diskutiert. Wir müssen jetzt endlich über die Lösungen sprechen, nicht nur über die Probleme.

Das ist ein gutes Stichwort. In den Beratungsstellen für Migrantinnen herrscht im Sommer Hochbetrieb, weil viele muslimische Mädchen vor der Zwangsehe flüchten. Die Zahl der Betroffenen in Österreich wird auf jährlich 200 geschätzt. Doch politisch wird das Thema totgeschwiegen.

Kurz: Überhaupt nicht.

Und warum ist davon keine Rede im neuen Integrationsbericht?

Kurz: Wir haben vorgeschlagen, ein „Forum Islam“ zu gründen, um gemeinsam heikle Themen anzugehen. Die Gesetze müssen eingehalten werden. Zwangsehen, Genitalverstümmelungen und andere Absurditäten werden in Österreich nicht geduldet. Andererseits ist auch die Glaubensgemeinschaft gefordert, auf ihre Leute einzuwirken.

Sanaç: Genitalverstümmelungen haben mit dem Islam nichts zu tun. Und auch die Zwangsehe ist bei uns verboten – sie ist eine ungültige Heirat.

Aber offenbar trotzdem gang und gäbe.

Sanaç: Leider. Deshalb müssen wir aufklären. Und dafür braucht es ausgebildete Imame und Seelsorger.

Das „Forum Islam“ soll vor allem an Lösungen für die Ausbildung von Imamen und islamischen Religionslehrern arbeiten. Was halten Sie von diesem Plan?

Sanaç: Der Ansatz ist richtig, aber die Politik wird ihn noch genauer definieren müssen. Für diese Angelegenheit gibt es nur zwei Parteien: Die Glaubensgemeinschaft und die Behörden des Staates. Ein „Islam-Forum“ wie in Deutschland brauchen wir nicht. Wir haben die Religionsgemeinschaften. Es wäre besser gewesen, gleich zu sagen: Wir organisieren die Ausbildung der Imame, Seelsorger und Prediger neu. Denn das ist die Mutter aller Probleme.

Weil die Geistlichen ein großes Publikum in der islamischen Gesellschaft haben?

Sanaç: So ist es. Sie erreichen zumindest 80 Prozent der Menschen.

Haben Sie einen Lösungsvorschlag?

Sanaç: Imame müssen in Österreich ausgebildet werden. Wir brauchen wie die Katholiken und die Protestanten eine theologische Fakultät. Das haben wir ja auch bei den islamischen Religionslehrern erlebt. Man hat uns – manchmal zu Recht – beschuldigt, dass die Lehrer aus dem Ausland kommen und die österreichischen Gesetze nicht kennen. Also haben wir gesagt: Dann lasst uns doch eine Hochschule gründen – und jetzt haben wir das Problem zu mindestens 95 Prozent gelöst. Für die 100 Prozent brauchen wir noch Zeit.

Um die radikalen Elemente zu beseitigen?

Sanaç: Die gibt es leider in jeder Religion und in jeder Gesellschaft. Diejenigen, die Muslime in den Medien beschimpfen, sind auch Radikale. Aber keine Frage: Wir müssen das verhindern.
Kurz: Wenn wir wollen, dass islamische Geistliche unsere Sprache können, unseren Rechtsstaat und unsere Wertvorstellungen akzeptieren, wird kein Weg an einer Ausbildung in Österreich vorbeiführen. Wir haben derzeit das Problem, dass Imame oft in der Türkei ausgebildet wurden und formal sogar dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt sind. Das ist ja eine Absurdität.

Absurd ist auch, dass die Regierung das Problem seit Langem kennt und trotzdem noch nicht gelöst hat.

Kurz: Bis jetzt hat das Thema niemand intensiv verfolgt.

Als Chef der Jungen ÖVP haben Sie sich einmal dafür ausgesprochen, dass in Moscheen Deutsch gesprochen und gepredigt wird.

Kurz: Dazu stehe ich nach wie vor.

Was spricht gegen Deutsch als Amtssprache in den muslimischen Gebetshäusern?

Sanaç: Überhaupt nichts. Das ist auch unser Wunsch. In allen Moscheen, die von der Glaubensgemeinschaft geleitet werden, wird seit 30 Jahren auf Deutsch gepredigt. Die Gläubigen kommen aus vielen Ländern und haben unterschiedliche Muttersprachen. Daher brauchen wir eine gemeinsame Sprache. Aber wenn, dann muss man das von allen Religionsgemeinschaften verlangen.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hat Herr Kurz kritisiert, dass sich einige Kräfte in der Glaubensgemeinschaft nicht ausreichend um das Erlernen der deutschen Sprache kümmern.

Kurz: Das war eine andere Konstellation mit dem alten Präsidenten (Anas Schakfeh, Anm.). Damals hat man mir ausgerichtet, ich solle mich nicht in diese Dinge einmischen. Einige haben sogar versucht, mich ins rechte Eck zu drängen. Aber dort war ich nie.

Sanaç: Mit diesen Aussagen wollte Herr Kurz vielleicht politisches Kapital schlagen. Ich will mit der Politik kommunizieren, sie aber – so gut es geht – aus unseren Angelegenheiten heraushalten.

Braucht jede große Stadt eine Moschee?

Sanaç: Journalisten wollen immer über Moscheen, Minarette und Kopftücher sprechen – doch das sind Kleinigkeiten. Wenn es Ideen für Projekte gibt, werden wir den ganz normalen Behördenweg gehen. Wir sollten über die richtigen Probleme und deren Lösungen reden.

Dann reden wir über die Frauenbeschäftigung. Nur 41 Prozent der türkischen Frauen gingen 2010 einer Arbeit nach – bei den österreichischen waren es 68 Prozent. Man hat den Eindruck, dass den muslimischen Frauen die Hausfrauenrolle zugedacht ist. Wie wollen Sie da einen Umschwung bewirken?

Kurz: Herausfordernd ist das natürlich. Aber es ist wichtig für die Stellung der Frau, dass sie im Berufsleben steht: für die Gleichberechtigung und das Familieneinkommen. Daher bereiten wir gerade mit dem Frauenministerium und der Wirtschaftskammer Mentoring- und Förderprogramme vor.

Schön und gut, aber was nützt das den Frauen, wenn sie daheim unterdrückt werden?

Kurz: Es ist ja nicht nur so, dass die Frauen nicht arbeiten dürfen – viele sprechen kaum Deutsch, sind schlecht ausgebildet und bekommen deshalb keinen Job. Hier müssen wir ansetzen.

Sanaç: Man muss das auch historisch betrachten: Die Gastarbeitergeneration hat Jahrzehnte hier gearbeitet und es mit mäßigen Sprachkenntnissen irgendwie geschafft. Jetzt brauchen diese Menschen ihre Ruhe. Lassen wir sie in Ruhe und investieren in die Jungen. Nur so kann ein Umschwung gelingen.

Ahmet Hamidi, unter Schakfeh Vizepräsident der Muslime, hat unlängst gesagt: Sport sei für den weiblichen Organismus nicht gut. So lange es solche Auffassungen gibt, wird ein Umschwung wohl kaum gelingen können.

Sanaç: Er ist ein guter Arzt und empfiehlt jedem, viel Sport zu betreiben. Leider hat er sich versprochen: statt Extremsport hat er „zu viel Sport“ gesagt. Gemeint war: Extremsport ist für alle schädlich, für Frauen noch mehr als für Männer – vor allem in der Schwangerschaft. Außerdem ist es um Anabolika gegangen. Er wurde nicht richtig zitiert.

Finden Sie auch, dass Extremsport schädlich für Frauen ist?

Sanaç: Nein, ich sehe das völlig anders. Hamidi hat als Arzt gesprochen. Ich bin ein leidenschaftlicher Sportler.

Sie waren türkischer Meister im Boxen.

Sanaç: Da hatte ich am meisten Talent. Und ich wollte immer der Beste sein.

ZU DEN PERSONEN

Sebastian Kurz
wurde 1986 in Wien geboren. Er wuchs in Meidling auf und begann nach der Matura Jus zu studieren. Im Juni 2009 wurde er Bundesobmann der Jungen ÖVP. Weitere Karriereschritte folgten: Vize-Parteichef in Wien, Gemeinderat. Am 21. April 2011 wurde Kurz als Staatssekretär für Integration angelobt.

Fuat Sanaç
wurde 1954 in der Türkei geboren. 1978 zog er nach Deutschland, 1982 kam er als Religionslehrer nach Wien. Heute ist er Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht. Im Juni wurde Sanaç vom Schurarat, dem legislativen Organ der Islamischen Glaubensgemeinschaft, mit 86,7 Prozent zum neuen Präsidenten gewählt. Er folgte Anas Schakfeh nach. Sanaç ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Mirjam Reither

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Innenpolitik

Cap: „Marktwirtschaft ist Teil linker Politik“

Für SPÖ-Klubchef Cap funktionieren alte Schwarz-Weiß-Bilder nicht mehr. Philosoph Liessmann prangert ein „Herumlavieren“ der SPÖ an: „Nichts Originelles zu hören.“
Innenpolitik

Mikl-Leitner: "Schieben keine integrierte Familie ab"

Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau pocht im "Presse"-Doppelinterview auf Sensibilität in der Sprache. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner verteidigt die Anwesenheitspflicht: Diese helfe den Asylwerbern.
Glawischnig Frauen haben Hirn
Innenpolitik

Glawischnig: "Frauen haben Hirn und Hintern"

Grünen-Chefin Eva Glawischnig und die liberale Studentenvertreterin Claudia Gamon über Bekleidungsvorschriften für Politikerinnen, bevormundete Bürger und "risikofreie Kollektivlösungen".
Innenpolitik

SPÖ und ÖVP ohne Mehrheit? „Horrorszenario“

Raiffeisen-Chef Christian Konrad und der Kopf der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, über die Sinnhaftigkeit von Vermögenssteuern und den Widerstand gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.