SPÖ und ÖVP ohne Mehrheit? „Horrorszenario“

(c) Mirjam Reither
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Raiffeisen-Chef Christian Konrad und der Kopf der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, über die Sinnhaftigkeit von Vermögenssteuern und den Widerstand gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung.

Die Presse: Ich darf thematisch gleich mit der Tür ins Haus fallen: Sie, Herr Muzicant, sind, wie Sie mir einmal verraten haben, für höhere Vermögenssteuern. Sie, Herr Konrad, dagegen.

Ariel Muzicant: Sie müssen mich präzise zitieren. Wir müssen mehr in Bildung und Forschung investieren, aber dafür keine neuen Schulden machen. Irgendwo müssen wir das Geld dafür aber hernehmen, deswegen sollten wir Zuwächse auf Vermögen stärker besteuern, nicht die Vermögen selbst. Gegen die Vermögenssteuer bin ich. Bereits besteuertes Vermögen noch einmal zu versteuern, ist sinnlos. Aber etwa eine höhere Steuer auf Immobiliengewinne halte ich für sinnvoll, obwohl es mein Unternehmen trifft. Meine Sekretärin zahlt prozentuell mehr Steuer von ihrem Lohn als das Unternehmen bei Gewinnen auf Immobilienverkäufe.

Christian Konrad: Das sehe ich ähnlich. Gegen eine Spekulationssteuer auf Aktiengewinne war unsererseits prinzipiell nichts zu sagen, aber wir waren dagegen, weil wir die Abwicklung übernehmen mussten. Die Ablehnung einer Vermögenssteuer teile ich zu 100 Prozent, die Forderung nach deren Einführung ist rein populistisch. Alles wurde schon besteuert. Wie oft will man es noch besteuern?

Manchmal passierte das vor Generationen.

Muzicant: Da reden wir über die Erbschaftssteuer. Darüber kann man reden, wenn man Lösungen wie etwa Freibeträge von einer Million Euro findet. Oder wie man bei der Übergabe eines Unternehmens nicht dessen wirtschaftliche Basis zerstört. Über eine Steuer für große Erbschaften kann man reden, das bringt sicher ein paar hundert Millionen.

Konrad: Das bezweifle ich. Das muss man sich genau anschauen, ob das was bringt.

Zur Klarstellung: Sie sind gegen neue Vermögenssteuern, aber auch gegen neue Zuwachssteuern?

Konrad: Natürlich. Ich bin auch für mehr Geld für Bildung und Forschung, aber das muss nicht durch Einnahmen aufgebracht werden, sondern durch weniger Ausgaben.

Wo soll man denn sparen?

Konrad: Wir sind ein Land, das sich eine sehr aufgeblähte Bürokratie leistet. Über das Thema Strukturen und Föderalismus muss man einmal ernsthaft sprechen. Das Thema kann man nicht allein der Salzburger Landeshauptfrau überlassen. Was ich wirklich bedauere, ist, dass in den vergangenen beiden Jahren die politische Chance nicht genutzt wurde, etwas zu unternehmen. Die Wirtschaft hat sich während der Krise neu aufgestellt, der Staat hat da zu wenig getan.

Muzicant: Vollkommen richtig. Es gibt ein paar Felder mit Symbolcharakter: Brauchen wir neun Landesstudios? Brauchen wir den Bundesrat? Brauchen wir neun Schulverwaltungen? Da könnten wir anfangen. Oder nehmen wir die Universitäten: Es gibt Fächer, die sind heillos überrannt. Warum gibt es nicht hohe Studiengebühren und gleichzeitig Stipendien für achtzig Prozent der Studierenden? Die Regierungsparteien müssen die Probleme lösen, dafür wurden sie gewählt.

Soll man nicht auch bei Subventionen für die Landwirtschaft sparen?

Muzicant: Das fragen Sie mich und nicht den Spezialisten? Da bin ich jetzt diplomatisch: Die Schönheit dieses Landes ist zurückzuführen auf die gesunde Umwelt und ein gepflegtes Land...

Konrad: ... das auf die bäuerliche Pflege und Landwirtschaft zurückzuführen ist.

Sie meinen die Lagerhäuser.

Muzicant: Ich verstehe, was Sie versuchen, aber ich habe zu wenig Ahnung von der Landwirtschaft.

Konrad: Herr Dr. Muzicant, ich kann Sie über das Missverständnis aufklären: Nach der Meinung mancher sollte sich die Landwirtschaft aus ihren Erlösen allein finanzieren. Das kann bei den Agrarpreisen aber nicht funktionieren. Auf dem globalisierten Weltmarkt, auf dem wir uns bewegen, können wir nicht mitbieten. Die Landwirtschaft hat eine gesellschaftliche Aufgabe, nämlich die Oberfläche des Landes zu bewahren. Oder wollen wir auf dem Marchfeld nur noch Weißpappeln für die Papierindustrie sehen? Es muss Wälder und Felder geben, es ist aber auch das Land der Äcker.

Muzicant: Herr Nowak, Sie könnten auch fragen: Wollen wir den Denkmalschutz aufgeben?

Das müsste Ihnen doch für das Geschäft gefallen?

Muzicant: Da irren Sie sich. Die Aufgabe des Denkmalschutzes würde uns schaden. Schönheit hat ihren Preis, ich kaufe auch mit dem Auge und dem Herzen.

Herr Muzicant, Sie waren ein vehementer Kritiker von Schwarz-Blau. Sie, Herr Konrad, waren auch nicht gerade begeistert. Glauben Sie, dass es wieder Schwarz-Blau geben wird oder kann?

Muzicant: Schwarz-Blau hat manches angerissen, aber je mehr wir erfahren, etwa von der Buwog-Privatisierung, umso mehr Negatives bleibt.

Konrad: Da ist eine Unkultur eingerissen, die viel verschlechtert hat. Auch wenn einiges angegangen wurde.

Die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, die Entschädigungslösungen für Ex-NS-Zwangsarbeiter ...

Konrad: Stimmt.

Muzicant: Aber die FPÖ hatte einfach nicht die richtigen Leute dafür.

Konrad: Wenn die veröffentlichten Umfragen stimmen, wird man an der FPÖ womöglich nicht mehr vorbeikommen, weil SPÖ und ÖVP zusammen nicht einmal mehr eine Mehrheit haben. Das ist ein Horrorszenario, das ich mir nicht wünsche. Daher versuche ich alles zu tun, dass das nicht eintritt. Wir haben etwa den Verein „Wirtschaft für Integration“ gegründet, weil wir glauben, dass diese Partei auf diesem Thema erfolgreich schwimmt. Wir müssen den in Österreich lebenden Einwanderern helfen in ihrem Umgang mit Österreichern und bei ihren Sprachfähigkeiten. Und dann ermuntern wir auch die Mitglieder der Regierung, Entscheidungen zu treffen.

Muzicant: Ich habe beschlossen, mich zu Themen zu Wort zu melden, von denen manche meiner Gemeindemitglieder vielleicht sagen, dass mich das nichts angeht. Aber ich habe eine Verantwortung für dieses Land und eine Liebe zu Österreich. Viele sagen: Es muss etwas geschehen! Das ist keine Hysterie, sondern die Sorge, dass es uns in 20 Jahren nicht so gut geht.

Konrad: Es geht uns noch gut, aber man darf nicht in den Strom schauen und sagen, es fließt ohnehin alles, und aus Angst vor Wellen soll man nicht hineingreifen. Jeder muss etwa tun.

Auch Erwin Pröll?

Konrad: Jeder. Etwa auch die Gemeinden, die zum Teil hoch verschuldet sind. Damit wir nicht nur schimpfen: Viele der Maßnahmen der Regierung zur Bewältigung der Krise waren gut. Aber das ist kein Anlass zu sagen, das haben wir geschafft und jetzt lehnen wir uns zurück. Dass ich das in der Zeitung sage, ist heute eine Ausnahme, mit Zeitungsinterviews bewegt man die Welt nicht. Ich führe lieber viele persönliche Gespräche.

Muzicant: Es geht auch darum, dass positive Dinge – etwa die Wirtschaftsdaten – offenbar in der Bevölkerung nicht honoriert werden. Man muss das auch kommunizieren: Es gibt etwa keine Ausländerwellen, die uns überfluten. Und ja, wir brauchen auch geordnete Zuwanderung für die Wirtschaft.

Konrad: Das stimmt.

Ich versuche es einmal anders: Wo sind Sie eigentlich unterschiedlicher Meinung? Beim Thema Sozialstaat versus Privatem beziehungsweise Eigenhilfe?

Muzicant: Ich bin schon für staatliche Umverteilung. Man muss die Menschen zum Glück ein bisschen zwingen. Ich glaube nicht so sehr an das Gute im Menschen.

Konrad: Ich schon.

Warum?

Konrad: Aus meiner Lebenserfahrung weiß ich, dass mehr Gute als Böse unterwegs sind, daher glaube ich auch an die Kraft privater Initiativen und der Eigenhilfe.

Muzicant: Ich komme aus einer Geschichte, in der ich oft auf Niedertracht stoße.

Sie meinen den Holocaust.

Muzicant: Ja, aber danach gab es auch Srebrenica und Darfur. Das Schlechte ist im Menschen auch drinnen.

Auf einen Blick

Doppelconférence. Christian Konrad (67) ist Aufsichtsratsvorsitzender der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien und Aufsichtsratspräsident der Raiffeisen-Zentralbank AG. Als Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes spielt er eine Schlüsselrolle – bei Raiffeisen und in Österreich. Darüber hinaus ist er als Landesjägermeister von Niederösterreich und Veranstalter von Prominenten-Wallfahrten nach Mariazell der Öffentlichkeit bekannt. Konrad will sich beruflich schrittweise in die Pension zurückziehen.

Ariel Muzicant (59) ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Geboren wurde er in Tel Aviv, seit er vier ist, lebt er in Wien. Muzicant sanierte die IKG und trat stets als FPÖ-Kritiker auf. Unter der schwarz-blauen Regierung verhandelte Muzicant eine Entschädigungslösung für NS-Raub, was im Washingtoner Abkommen zwischen Österreich, den USA und den Opferorganisationen mündete. Muzicant hat ein Immobilienunternehmen aufgebaut, das sein Sohn führt. 2012 zieht sich Muzicant aus der IKG zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15. Juli 2011)

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