Glawischnig: "Frauen haben Hirn und Hintern"

Glawischnig Frauen haben Hirn
Glawischnig Frauen haben Hirn(c) Mirjam Reither
  • Drucken

Grünen-Chefin Eva Glawischnig und die liberale Studentenvertreterin Claudia Gamon über Bekleidungsvorschriften für Politikerinnen, bevormundete Bürger und "risikofreie Kollektivlösungen".

Frau Glawischnig, Sie haben für unser Treffen ein Nichtraucherlokal gewählt. War das eine bewusste Entscheidung?

Eva Glawischnig: Nein, reiner Zufall. Meine Pressesprecherin hat das Lokal ausgesucht. Sie ist sogar selbst Raucherin.

Frau Gamon, wie geht es Ihnen dabei, wenn Ihnen der Staat vorschreibt, wo Sie rauchen dürfen und wo nicht? Oder eine Partei fordert, gleich alle Zigarettenautomaten abzumontieren?

Claudia Gamon: Das Thema ist schwierig für uns Liberale. Weil sich – auch philosophisch – schon die Frage stellt, ob jemand, der raucht, nicht in die Freiheit des anderen eingreift.

Glawischnig: Ich denke, wir sollten uns lieber die Frage stellen, wo der Kern der liberalen Grundrechte liegt, die die Grünen ja bis heute mit Feuer und Schwert verteidigen. Da geht es nicht ums Rauchen, sondern um größere, wichtigere Fragen. Um das Recht auf Privat- und Familienleben und persönliche Freiheit. Das sind Rechte, die jahrzehntelang erkämpft wurden, und jetzt plötzlich zur Disposition stehen. Etwa durch die Vorratsdatenspeicherung, die es ermöglicht, das Leben eines Menschen sechs Monate lang zu überwachen. Oder durch die Möglichkeit, Asylwerber fünf Tage lang einzusperren, obwohl sie keine Straftat begangen haben.

Sind die Grünen, denen vorgeworfen wird, immer mehr zu moralisieren, für Menschen mit liberaler Gesinnung also doch wählbar?

Gamon: Sie waren es vielleicht einmal. Wenn die Grünen immer stärker für Verbote eintreten, sind sie es nicht mehr. Was mir außerdem fehlt, ist der wirtschaftsliberale Zugang.

Glawischnig: Wir stellen uns verstärkt der Frage, in welchen Bereichen wir die Gesellschaft verändern müssen. Wir wollen etwa die Gleichheit der Frauen mittels Quoten herstellen.

Gamon: Es ist gesellschaftlich offensichtlich oft nicht gewünscht, dass Frauen sich emanzipieren. So manche Partei hat in den vergangenen Jahren hart daran gearbeitet, dass die Gesellschaft rückschrittlich bleibt. Quoten können aber nie ein Weg sein, um Gleichheit herzustellen. Ich erwarte mir da mehr Eigenverantwortung von Frauen.
Glawischnig: Ich sehe die Gleichheit vor dem Gesetz als liberales Grundrecht. Diese Gleichheit kann nicht eingelöst werden, solange Frauen keine gleiche Ausgangssituation vorfinden. Eigentlich müssten die Frauen, was ihre Qualifikation angeht, an der Spitze der Gesellschaft angekommen sein. In Höchstgerichten, der Politik und der Wirtschaft. Sind sie aber nicht. Mit freiwilligen Änderungen kommen wir nicht weiter. Wir müssen die patriarchalen Strukturen aktiv aufbrechen.

Frau Glawischnig, Sie haben für Aufsehen gesorgt, als Sie sich bei einer privaten Feierlichkeit bauchfrei gezeigt haben. Und Frau Gamon, bei Ihnen war vor allem ihr enges Oberteil bei der ÖH-Wahl ein Thema. Ist das symptomatisch für den Umgang mit Frauen in der Politik?

Gamon: Frauen haben immer noch das Gefühl, dass sie in der Außenwirkung auf eine zusätzliche Komponente achten müssen. Nämlich, wie sie aussehen und wie sie angezogen sind. Ich sage: Wenn mich jemand nur aus optischen Gründen wählt, ist mir das auch recht. Selbst schuld, wenn er sich nicht mit den Inhalten auseinandersetzt.

Glawischnig: In Österreich ergibt sich die meiste Erregung immer über jene Dinge, die niemanden etwas angehen. Und das Outfit, das ich bei meiner Hochzeit trage, geht original niemanden etwas an. Niemand hat das Recht, sich so darüber aufzuregen, dass er sogar das Einser-Kastl im „Standard“ damit füllt. Mir geht die Frage, was Frauen eigentlich dürfen, ordentlich auf die Nerven. Es ist selbstverständlich, dass eine Frau sowohl Hirn als auch Hintern haben kann.

Gamon: Ich finde es schön, wenn ich Menschen überraschen kann – und sie erkennen, dass ich trotzdem etwas im Kopf habe. Ein kollektiver Bildungsauftrag, dem ich gern nachkomme.

Frau Gamon, Sie kritisieren, dass der österreichische Staat dem Bürger keine Eigenverantwortung zugesteht...

Gamon: Ein mündiger Bürger zu sein, der in der Lage ist, für sich selbst aufzukommen und Kinder zu erziehen, traut man den Menschen gar nicht mehr zu. Die Politik entscheidet sich lieber für risikofreie Kollektivlösungen. Etwa mit der Kindergartenpflicht. Das halte ich für falsch.

Glawischnig: Das ist je eine extreme Retro-Position. Die Phase der frühkindlichen Förderung ist eine der wichtigsten in der Entwicklung. Jene, die die Kindergartenangebote nicht wahrnehmen, sind vor allem benachteiligte Menschen, etwa Migranten. Das müssen wir durchbrechen. Kinder erhalten auch ganz andere soziale Fähigkeiten in der Gruppe, die wir in der Familie nicht nachstellen können. Es geht mir da um das Recht auf Bildung für das Kind. In dieser Frage mit Liberalismus zu argumentieren, geht daneben.

Gamon: Der Staat soll Angebote schaffen, aber die Bürger nicht bevormunden. Ich will einer Mutter, die das nicht will, ihr Kind nicht wegnehmen. Das ist problematisch. Ebenso wie die Tatsache, dass es zwischen den Bildungseinrichtungen zu wenig Wettbewerb gibt.

Auch im Hochschulsystem sucht man Wettbewerb vergebens.

Glawischnig: An den Unis herrscht ein Darwin'sches System – da gilt das Prinzip „Der Stärkste überlebt“. Von einer modernen Hochschul-Landschaft entfernen wir uns Monat für Monat.

Zu dieser Situation tragen die Grünen, die gegen jede Form von Zugangsbeschränkungen sind, aber bei.

Glawischnig: Nein. Österreich benötigt mehr Absolventen – da brauche ich mir über zusätzliche Hürden also gar nicht erst den Kopf zu zerbrechen. Was wir brauchen, ist eine bessere öffentliche Finanzierung.

Frau Gamon war bei der ÖH-Wahl mit der Forderung nach Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren sehr erfolgreich. Wie erklären Sie sich das?

Glawischnig: Die Lage wird als so dramatisch wahrgenommen, dass die Menschen alles annehmen, was die Situation auch nur punktuell verbessert. Ich halte Gebühren trotzdem für falsch. Zum Bildungssystem sollen alle beitragen, nicht nur jene, die Kinder haben.

Gamon: Das heimische System ohne Gebühren und Beschränkungen funktioniert in keinem anderen Land der Welt. Das ist seit Jahren bekannt. Grüne und SPÖ wollen dennoch immer mehr Geld in ein falsches System stecken. Wir sollten uns umschauen, welche Länder höchste Absolventenquoten haben und deren Systeme adaptieren. Etwa das australische Modell. Dort gibt es nachgelagerte Studiengebühren samt Darlehensmodell – und hohe Absolventenquoten.

Glawischnig: Ich habe ein völlig anderes Verständnis davon, wer für die Finanzierung des Bildungssystems zuständig sein soll. Und ich bin für einen barrierefreien Zugang zu den Unis.

Wo sehen Sie denn Barrieren, wenn jemand die Studiengebühren durch ein Darlehen finanziert bekommt und sie erst nachträglich, sobald er verdient, zurückzahlen muss?

Glawischnig: Die Studiengebühren können die Uni-Misere nicht beenden. Wir sollten uns lieber Gedanken über Vermögenszuwachssteuern machen, mit denen wir das Bildungssystem so ausfinanzieren können, dass wir mit dieser entwürdigenden Debatte, wie wir aus den Unis den letzten Euro rausquetschen, aufhören können.

Die JuLis befürworten die Atomenergie als „Brückentechnologie“. Trauen Sie es sich zu, die Grünen-Chefin davon zu überzeugen?

Gamon: Ich denke, dass wir das gleiche Ziel haben – nämlich den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Angesichts des laufend steigenden Energieverbrauchs werden wir ohne Atomstrom zwangsweise wieder auf Kohlekraftwerke umsteigen müssen. Das wäre ein enormer Rückschritt. Die Angst vor der Atomenergie ist irrational. Die Reaktoren in Kontinentaleuropa sind weitgehend sicher. Der Klimawandel ist das größere Risiko.

Glawischnig: Jetzt bin ich fassungslos. Ich will nicht unhöflich sein, aber Sie haben ja nicht die blasseste Ahnung von Energiepolitik. Atomkraft hat nichts mit Co2-Freiheit zu tun. Das ist ein Märchen der Atomwirtschaft. Jedes AKW, das weiterläuft, ist ein Hemmnis für Innovation. Und die alten deutschen AKW und andere an unseren Grenzen als sicher zu bezeichnen, ist naiv. Vor allem angesichts des vielen Leids, dass der Atomunfall in Japan verursacht hat.

Mit der „political correctness“ der Grünen können die Jungen Liberalen nicht viel anfangen, oder? Sie fordern „Meinungsfreiheit statt Minderheitenschutz“. Wären Sie für die Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes?

Gamon: Selbstverständlich sind wir für Minderheitenschutz. Aber es sollte keine Verbote in der Meinungsfreiheit geben. Eine starke Demokratie muss auch falsche Meinungen und Aussagen aushalten können. Das NS-Verbotsgesetz ist ein sensibles, in Anbetracht aktueller Probleme aber kein wichtiges Thema. Wir müssen dringender über eine Verwaltungs- oder Bildungsreform reden.

Glawischnig: Zu sagen, das Thema sei nicht wichtig, halte ich für gefährlich. Die Leugnung des Holocaust ist keine Meinung, das ist eine politische Äußerung, die die Grundfesten der Zweiten Republik angreift. Wer leugnet, dass Kinder an die Hand genommen und in Gaskammern geführt wurden, gehört strafrechtlich verfolgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Innenpolitik

Cap: „Marktwirtschaft ist Teil linker Politik“

Für SPÖ-Klubchef Cap funktionieren alte Schwarz-Weiß-Bilder nicht mehr. Philosoph Liessmann prangert ein „Herumlavieren“ der SPÖ an: „Nichts Originelles zu hören.“
Innenpolitik

Mikl-Leitner: "Schieben keine integrierte Familie ab"

Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau pocht im "Presse"-Doppelinterview auf Sensibilität in der Sprache. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner verteidigt die Anwesenheitspflicht: Diese helfe den Asylwerbern.
Innenpolitik

SPÖ und ÖVP ohne Mehrheit? „Horrorszenario“

Raiffeisen-Chef Christian Konrad und der Kopf der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, über die Sinnhaftigkeit von Vermögenssteuern und den Widerstand gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung.
Diskussion: "Junge Türken fühlen sich nicht zu Hause"
Innenpolitik

Diskussion: "Junge Türken fühlen sich nicht zu Hause"

Staatssekretär Sebastian Kurz diskutiert mit Fuat Sanaç, dem Präsidenten der österreichischen Muslime. Ein Gespräch über unterdrückte Frauen, Moscheen in jeder Stadt und - ja, Integration.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.