Ursula Plassnik: "Die Zeit der Illusionen ist vorbei"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Paris-Botschafterin und Ex-Außenministerin im Gespräch mit der "Presse" über den Triple-A-Verlust, Sparzwänge, Schwarz-Blau, U-Ausschuss und Diplomatenpässe.

Die Presse: Sowohl Frankreich als auch Österreich haben das Triple-A-Rating verloren. Waren Sie auch so „überrascht“ wie die österreichische Regierungsspitze?

Ursula Plassnik: Wohl kaum. In Paris gab es schon im Herbst, als ich meinen Dienst angetreten habe, klare Warnungen. Man kann also nicht von einer Überraschung sprechen. Das tut die französische politische Elite im Übrigen auch gar nicht, sie sucht schon seit Längerem nach Möglichkeiten, mit dem Downgrading umzugehen. Wobei es ja um die gesamte Eurozone geht. Die Nachricht ist eindeutig: runter mit den Staatsschulden, rauf mit dem Wachstum. Rasch Defizit abbauen, klug Wachstumsimpulse setzen.

Hätte es auch die österreichische Regierung früher wissen müssen? Oder war ihr Unwissen ohnehin geheuchelt, glauben Sie? Experten haben die Herabstufung der Bonität ja längst erwartet.

In meiner Wahrnehmung waren die Aussagen der Regierungsspitze nach dem Verlust des Triple A durchaus differenziert. Österreich muss sich proaktiv mit den Dingen beschäftigen, die bekanntermaßen auf uns zukommen, den Entwicklungen mit offenen Augen entgegengehen. Und mit der Entschlossenheit, rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen zu setzen, ob daheim oder auf europäischer Ebene.

Nämlich welche Maßnahmen?

Auf europäischer Ebene sollte man das neue EU-Budget mit immerhin rund 350 Milliarden Euro für Struktur- und Regionalförderung Punkt für Punkt einem „Wachstumscheck“ unterziehen. Weiters birgt die Vollendung des Binnenmarktes nach einem Bericht des italienischen Ministerpräsidenten und langjährigen EU-Wettbewerbskommissars Mario Monti zusätzliche Wachstumschancen von einem Prozent. In Österreich liegen seit Langem Vorschläge auf dem Tisch. Von der Politik, aber auch vom Rechnungshof. Das reicht von der Lebensarbeitszeit, also dem Pensionsantritt, bis zur Verwaltungsreform, zu Einsparungen in der Gesundheitspolitik und vielem mehr.

Das klappt schon seit Jahrzehnten nicht. Warum sollte es jetzt plötzlich gehen?

Weil der Zeitpunkt stimmt. Gerade nach dem Verlust des Triple A. Denn die Bevölkerung weiß jetzt, dass die Zeit der Illusionen und des Wunschdenkens vorbei ist. Es muss gehandelt werden, vor allem auf der Ausgabenseite und nicht etwa vorrangig bei den Steuern. Da halte ich es mit Vizekanzler Spindelegger. Übrigens auch, was den Zeitplan betrifft: Wir brauchen einen Beschleunigungsschub.

Die hohen Schulden des Landes haben auch frühere Regierungen verursacht. Auch die, denen Sie angehört haben. Fühlen Sie sich, als Ex-Ministerin, mitverantwortlich?

Warum?

Schon Schwarz-Blau oder die Regierung Gusenbauer hätte größere Reformschritte setzen können oder müssen. Oder?

Man könnte es sich einfach machen und sagen: Es sind immer die Vorgänger schuld, man selbst hätte nichts damit zu tun. Das bringt Österreich nicht weiter. Tatsache ist, dass gerade Schwarz-Blau wichtige Weichenstellungen vorgenommen hat, auf denen die heutige Politikergeneration aufbauen kann. Denken Sie nur an die damals so heftig umstrittene Pensionsreform. Die war 2000 ja die entscheidende Frage für die Koalitionsform. Denn damals hatte sich gezeigt, dass die bisherigen Partner nicht mehr in der Lage waren, ein so großes Projekt auf die Beine zu stellen.

Ist das auch Ihre aktuelle Diagnose: dass Rot-Schwarz nicht mutig oder handlungsfähig genug ist?

Ich gebe aus meiner jetzigen Position heraus sicher keine Kommentare zum Koalitionsgeschehen ab. Ich weiß, wie schwierig es ist, unpopuläre Maßnahmen zu entwerfen und dann auch umzusetzen. Dafür braucht es großes Überzeugungs- und Verhandlungsgeschick. Ich habe also viel Verständnis, wenn es Schwierigkeiten gibt. Man braucht Mut. Den gestehe ich beiden Regierungspartnern zu, vor allem jetzt, da der Zeitpunkt stimmt.

Sehnen Sie trotzdem eine andere Regierungsform als eine Große Koalition herbei? Etwa wieder Schwarz-Blau?

Nein. Jedes innenpolitische Zeitalter steht für sich. Diese zwanghaften Versuche, Parallelitäten und Wiederholungsmöglichkeiten darzustellen, bringen mich in Wahrheit zum Lachen. Man muss eben immer wieder neu bewerten, was sinnvoll und möglich ist, im Interesse des Landes. Österreich steht vor Aufgaben, die durchaus einer Großen Koalition würdig sind.

Die schwarz-blaue Regierung steht auch im Visier des Korruptions-Untersuchungsausschusses. Setzt Ihnen das zu?

Mir nicht. Ich sehe da keine Verbindung zur Regierung Schüssel.

Nun, die Personen sind die Verbindung. Etwa Karl-Heinz Grasser war verantwortlicher Finanzminister zur Zeit der Telekom-Affäre, die als Erstes untersucht wird.

Die Justiz ist am Zug, und sie arbeitet. Einiges wird vielleicht auch im U-Ausschuss zu behandeln sein. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass die schwarz-blaue Regierung auch zwölf Jahre nach ihrem Entstehen noch für manche ein umstrittenes Projekt ist. Und dass es weiterhin Versuche gibt, eine ganze Ära in die Nähe von Korruption oder anderer vorwerfbarer Tatbestände zu rücken. Es ist aber auch nicht Aufgabe eines U-Ausschusses, zu Fairness für eine bestimmte Regierungskoalition, zum Beispiel Blau-Schwarz, beizutragen.

Sondern?

Die Fragen werden im Parlament formuliert und beschlossen. Ich habe zurzeit keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der U-Ausschuss die ihm gestellten Aufgaben erfüllen wird.

Paris war ja ein Zentrum der Sanktionen der damals 14 EU-Partner gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000. Spüren Sie heute als Botschafterin noch Vorbehalte?

Null. Wir haben ja auch traditionell sehr gute, enge Beziehungen, die bei Gott nicht erst im Jahr 2000 begonnen haben. Dahinter stehen ein paar Jahrhunderte spannende und wechselvolle Geschichte. Und jetzt arbeiten wir als EU-Partner bei verschiedensten Anliegen erfolgreich zusammen.

Als Botschafterin reisen Sie mit Diplomatenpass. Finden Sie es richtig, dass Ex-Diplomaten, Ex-Minister und ihre Partner, Klubobleute und andere künftig keinen Diplomatenpass mehr bekommen sollen?

Der Vizekanzler und Außenminister hat eine zukunftstaugliche Lösung vorgeschlagen. Eine klare Einengung des Nutzerkreises ist vernünftig, jetzt geht es um die konsequente Umsetzung.

Und Sie hätten auch kein Problem damit, nach Ihrer Diplomatenkarriere den Pass zurückzugeben?

Mitnichten.

Zur Person

Ursula Plassnik, 55, ist seit Herbst 2011 Botschafterin Österreichs in Frankreich. Ab Oktober 2004 war die ÖVP-Politikerin als Nachfolgerin Benita Ferrero-Waldners österreichische Außenministerin, bis Jänner 2007 in der schwarz-blauen/schwarz-orangen Regierung Wolfgang Schüssels und anschließend, bis Dezember 2008, in der rot-schwarzen Regierung Alfred Gusenbauers.

Bis Juli 2011 war sie dann Nationalratsabgeordnete; der Regierung Werner Faymanns wollte sie nicht mehr angehören, weil sie mit der (eher kritischen) EU-Linie der Sozialdemokraten nicht einverstanden gewesen sei. Ab 1997 war Plassnik, eine promovierte Juristin und Diplomatin, Kabinettschefin des damaligen Vizekanzlers Schüssel. Davor hatte Plassnik als politisch neutral bis SPÖ-nahe gegolten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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