Österreicher: Politikverdrossen, selbst reformunwillig

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oesterreicher Politikverdrossen selbst reformunwillig(c) EPA (Hans Klaus Techt)
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Das Imas-Institut erhob die (politische) Befindlichkeit der Österreicher: Während sie mit dem Wohlstand im Land sehr zufrieden sind, äußern sie tiefen Verdruss über den Verfall der öffentlichen Moral.

Wien. Vor fünf Jahren erhob das Imas-Institut im Auftrag der „Presse“ die „politische Gefühlswelt“ der Österreicher. Nun hat Imas Nachschau gehalten. Was hat sich seither – dazwischen liegen eine weltweite Wirtschaftskrise und das Publikwerden diverser heimischer Skandale (vor allem aus der Zeit davor) – verändert?

Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Diese ist vielmehr zweischneidig. Einerseits sind die Bürger dieses Landes überaus zufrieden mit ihren Lebensumständen, dem Wohlstand, der sozialen Infrastruktur. Andererseits herrscht tiefer Verdruss über den Verfall der (politischen) Sitten.

„Die Vermutung lag nahe, in der Umfrage auf den lodernden Zorn einer Bevölkerung zu stoßen, die geneigt ist, alles, was sich im Staat tut, in Bausch und Bogen zu verdammen. Doch die Antworten widerlegten diese zu einem Stereotyp gewordene Annahme in geradezu verblüffender Deutlichkeit“, sagt Andreas Kirschhofer vom Imas-Institut.

Zwei Seelen in einer Brust

Es habe sich vielmehr ein „total gespaltenes Meinungsklima“ gezeigt, so Kirschhofer. Auf der einen Seite besteht eine sehr hohe, „praktisch ungetrübte“ Zufriedenheit mit dem wirtschaftlichen Wohlstand, dem Lebensstandard und der Infrastruktur im Land. Und entgegen aktuellen Debatten und Reformbewegungen sind die Österreicher auch mit der Meinungsfreiheit und dem Schul- und Ausbildungswesen überaus zufrieden.

Positiv beurteilt werden außerdem die beruflichen Möglichkeiten und die Betreuung alter sowie pflegebedürftiger Menschen. Knapp im Plus ist auch die Zufriedenheit mit Polizei und Gerichten. Bei den Fragen nach dem Zusammenleben mit Zuwanderern und der Sicherheit vor Verbrechen halten sich Zufriedenheit und Unzufriedenheit die Waage.

Auf der anderen Seite herrscht massive Unzufriedenheit mit dem Erscheinungsbild der Parteien und der politischen Moral vor. Mit dem „politischen Klima zwischen den Parteien“ sind nur zwei Prozent sehr zufrieden, 22 Prozent einigermaßen. Mit der „Anständigkeit in Wirtschaft und Politik“ sind ebenfalls nur zwei Prozent sehr zufrieden und lediglich 15 Prozent einigermaßen.

Im Vergleich zu 2007

Im Vergleich zur Erhebung von vor fünf Jahren zeigt sich, dass die Zufriedenheit mit der gesundheitlichen Versorgung und dem verbesserten Angebot an Arbeitsplätzen – und das angesichts der Wirtschaftskrise – noch zugenommen hat. Drastisch gesunken ist hingegen die Zufriedenheit mit Polizei und Gerichten, mit dem Schutz vor Verbrechen und der Sicherheit der Pensionen.

Interessantes Detail am Rande: Sechs von zehn Befragten sind unzufrieden mit dem Bundeskanzler. Damit liegt Werner Faymann zwar besser als Alfred Gusenbauer bei der Imas-Befragung gegen Ende seiner Kanzlerschaft (2008), aber er kommt nicht an die Zustimmung heran, die Gusenbauer in der Frühphase seiner Kanzlerschaft (2007) hatte.

„Systembedrohung unmöglich“

Welche Schlüsse zieht Kirschhofer nun aus seinen Daten? „Systembedrohende soziale Konflikte in der Radikalität anderer europäischer Länder sind in Österreich derzeit nicht nur unwahrscheinlich, sondern nahezu denkunmöglich.“

Die Medaille hat aber eine Kehrseite: die mangelnde Reform- und Veränderungswilligkeit der Bevölkerung. „Der Wohlstand suggeriert neben all seinen Vorzügen auch die Vorstellung, dass es eigentlich gar nichts zu reformieren gibt“, meint der Demoskop. Dies könnte sich als trügerisch erweisen. Die Menschen würden sich notwendigen Reformen widersetzen und lieber am Gewohnten festhalten – eine fatale Neigung.

Nur keine Wellen

(c) Die Presse / HR

„Es ist in der Tat ein wenig paradox“, schließt Meinungsforscher Kirschhofer, „der Vorwurf der Wähler an die Politik, keine Reformen zu bewirken, korrespondiert mit dem unterschwelligen Wunsch, eigentlich gar keine Veränderungen zu wollen.“


Auf einen Blick

Das renommierte Imas-Institut hat im Juli 2007 erstmals die „politische Gefühlswelt“ der Österreicher erhoben. Im Dezember 2007 sowie im Juli 2008 tat es das noch einmal. Nun, knapp fünf Jahre nach der ersten Umfrage, hat Imas Nachschau gehalten: Was hat sich seither verändert? Die Umfrage-Interviews wurden face-to-face mit 1084 Personen im Zeitraum vom 23.März bis zum 16.April 2012 geführt – ein repräsentativer Querschnitt der österreichischen Bevölkerung ab dem 16. Lebensjahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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