„Löhne zwischen Jung und Alt neu verteilen“

(c) FABRY Clemens
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Der Sozialexperte Wolfgang Mazal hält Überstunden betriebswirtschaftlich für „fahrlässig“. Jüngeren Teilzeitjobs schlechtzureden, wäre „familienpolitisch fatal“.

Die Presse: Die Arbeitslosenrate bei den über 50-Jährigen ist um zehn Prozent gestiegen. Die Regierung will nun das tatsächliche Pensionsalter anheben. Das gibt doch Probleme, oder?

Wolfgang Mazal: Wir haben derzeit ein unglückseliges Zusammentreffen mehrerer Entwicklungen, weil wir bei manchem einfach zu spät dran sind. Die Staatsschuldenkrise führt dazu, dass Beschäftigungspotenziale im Wettbewerb stark unter Druck geraten. Gleichzeitig sind wir dabei – was notwendig ist –, unsere Probleme auf dem Arbeitsmarkt aufzudecken: Wir haben uns über Jahre hinweg über den Umstand hinweggeschwindelt, dass wir ein Problem mit der Beschäftigung älterer Arbeitskräfte haben. In Österreich hat dies das Etikett „vorzeitige Pensionierung“ bekommen. Dieses In-den-Sack-Lügen geht jetzt nicht mehr. Wir müssen Mechanismen entwickeln, mit denen die Beschäftigung älterer Arbeitskräfte verbessert werden kann.

Recht spät. Was muss geschehen?

Vordringliches Thema ist die Lohnhöhe für ältere Arbeitskräfte.

Deren Löhne sind also zu hoch?

In vielen Bereichen ist das Gehalt älterer Arbeitskräfte sachlich nicht erklärbar deutlich höher als jenes jüngerer Arbeitskräfte. Das zwingt betriebswirtschaftlich dazu, sich von älteren Arbeitskräften zu trennen.

Das allein erklärt aber nicht alles.

Viele sehen es spätestens zum 60. Lebensjahr als ihr Recht an, in Pension zu gehen. Dafür wurde jahrelang Stimmung gemacht. Man hat das Senken des realen Pensionsalters als soziale Errungenschaft verkauft – und nicht als vorübergehendes Phänomen. Heute sind diese Menschen enttäuscht und suchen Wege aus dem Erwerbsleben. Einer ist die krankheitsbedingte vorzeitige Pension.

Ziel ist es, dass weniger Menschen in Invaliditätspension gehen. Wird das funktionieren?

Überfällig ist, den Berufsschutz aufzuweichen und Umschulungen auch in jüngeren Berufsjahren zuzulassen.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer überlegt auch eine Teilpension: Kürzere Arbeitszeit für Ältere und ein Teil der Pension kompensiert Einkommenseinbußen.

Auch das halte ich für gut. In gleicher Weise wäre es aber wichtig, dieses Teilzeitdenken Jüngeren, insbesondere mit Familie, nicht madig zu machen. Teilzeit für Ältere zu propagieren und bei Jüngeren schlechtzureden, ist auch familienpolitisch fatal.

Bei der Denkwerkstatt St. Lambrecht ging es zuletzt um „Lebensentwürfe“. Wie können diese für junge Menschen ausschauen, die kaum einen Job im öffentlichen Dienst finden werden und in der Privatwirtschaft mit geringem Lohn beginnen?

Das ist ein Versagen unserer Gesellschaft. Man sieht Arbeitskräfte primär als Kostenfaktoren. Wir sollten, wie es im Aktienrecht verankert ist, ernst nehmen, dass die Aufgabe des Vorstandes nicht allein ist, den Shareholder Value zu vermehren. Er muss auch die Arbeitnehmer und das öffentliche Interesse, das Gemeinwohl, zufriedenstellen.

Wie viele Unternehmen kratzt das?

Das geht auch nicht durch Gesetze. Hier ist die Eigenverantwortung gefordert.

Sind die Jungen zu wenig aufmüpfig, um solche Dienstverhältnisse nicht zu akzeptieren?

Die Artikulationsfähigkeit der Jungen scheint sowohl politisch als auch im Arbeitskampf zu schwach zu sein. Das ist angesichts der Bevölkerungsentwicklung nicht verwunderlich, weil sie in der Minderzahl sind. Wenn Solidarität kein leeres Wort ist, ist jeder Betriebsrat, jede Führungskraft mitverantwortlich für die Arbeitsbedingungen der Jungen.

Unternehmen sagen: Wenn wir bei den Kosten international nicht mithalten, gehen wir pleite und dann sind die Arbeitsplätze ganz weg.

Hier schließt sich der Kreis zu den Lohnsystemen. Letztlich geht es darum, die Löhne zwischen Alt und Jung neu zu verteilen.

Sozialminister Hundstorfer meint, man solle generell die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden verkürzen, um Arbeit auf mehr Personen zu verteilen.

Wir haben in Österreich in den 1970er-Jahren die Entscheidung getroffen, dass wir die Arbeitszeitverkürzung nicht als Instrument zur Beschaffung von Arbeitsplätzen sehen. Die Wochenarbeitszeit um zwei, drei Stunden zu verkürzen, würde tatsächlich wenig neue Jobs schaffen, weil Betriebe mit einer Erhöhung des Arbeitsdrucks reagieren würden.

Also ein Holzweg?

Entscheidend ist eine Reduktion der geleisteten Arbeit. Wir haben eine überbordende Zahl von Überstunden. Ich sehe in deren Reduktion ein entscheidendes Beschäftigungspotenzial. In gleicher Weise haben wir in der Urlaubskultur ein Problem. Die zusätzliche Urlaubswoche wurde auch als Instrument der Beschäftigungsförderung geschaffen. Wenn man Leute en bloc aus der Beschäftigung nimmt, muss umorganisiert werden. Was hat Österreich gemacht? Wir sind bei stundenweisem Urlaubskonsum gelandet, stöhnen unter Arbeitsintensivierung und schieben Urlaubsrückstände vor uns her.

Soll man die Zusatzurlaubswoche abschaffen?

Nein. Es geht um die Nutzung des Urlaubs in größeren Mengen bei gleichzeitiger Reorganisation der Betriebe, um Neueinstellungen zu ermöglichen.

Sollen Überstunden auch durch höhere Besteuerung unattraktiver werden?

Ich halte eine Überstunde kaufmännisch schon jetzt für fahrlässig. Ausnahmsweise sind sie legitim. Aber viele Betriebe setzen im Sinne des Köpfezählens auf systemische Überstunden. Die sind familienpolitisch fragwürdig und erhöhen die Burn-out-Gefahr.

Zur Person

Wolfgang Mazal ist Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien und Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung. Der 52-Jährige ist auch wissenschaftlicher Leiter der Denkwerkstatt St. Lambrecht, einer Tagung der Gesellschaft für Zukunftssicherung und Altersvorsorge, die heuer zum fünften Mal stattfand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)

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