Die Welt bis gestern: Franz Jachym: Der Eklat im Stephansdom

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Er floh während seiner Bischofsweihe, weil er sich nicht würdig fühlte.

Am 23. April 1950 ist die Metropolitankirche zu Sankt Stephan aufs Festlichste geschmückt. An die tausend Menschen, darunter Minister, Vertreter des Alliierten Rates im vierfach besetzten Österreich, Ehrengäste sonder Zahl, sind erschienen, um einem besonders raren und spektakulären Weiheakt beizuwohnen: Der Vatikan hat befunden, dem Wiener Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer einen Koadjutor (ohne automatisches Nachfolgerecht) beizugeben, der quasi als zweiter Erzbischof die Diözese leiten soll. „Sedi datus“heißt es in der päpstlichen Bulle ausdrücklich. Also „dem Erzbischöflichen Stuhl“ beigegeben, nicht dem Kardinal persönlich („personae datus“). Wie spektakulär die Sache werden sollte, ahnt freilich niemand im Dom, als das Pontifikalamt mit Chor und großem Orchester beginnt.

Der Kandidat heißt Franz Jachym, ist 49 Jahre alt und lehrt seit einigen Jahren schon Moraltheologie an der Wiener Universität. Theodor Innitzer war verbittert, als ihn die Nachricht aus dem Vatikan erreichte. Er wusste, dass dies seine Entmündigung bedeutete, wusste auch, dass die Aktion vom päpstlichen Nuntius Giovanni Dellepiane eingefädelt worden war. Der wollte schon seit langem keinen beliebten Volksbischof wie Innitzer, sondern einen beinharten akkuraten Manager, der die mühsamen Jahre des Wiederaufbaus samt Kirchenbauten besser bewerkstelligen könnte.

Innitzer beugt sich zähneknirschend, die Weihe kann beginnen. Die Ernennungsbulle ist verlesen, das Examen des Electus ist im Gange. 17 der 18 vorgeschriebenen Fragen hat Jachym schon mit „Volo“ bzw. „Credo“ beantwortet, da geschieht etwas in der Kirchengeschichte Einzigartiges. Bevor Innitzer die Handschuhe und den Hirtenstab übergeben kann, wendet sich Jachym in lateinischer, dann in deutscher Sprache an die Versammlung:

„Eminenz, hochwürdigster Herr Kardinal!

Nach den Überlegungen der letzten durchwachten Nächte fühle ich mich für das hohe Bischofsamt nicht würdig genug. Ich bitte daher, von meinem Vorsatz zurücktreten zu dürfen, und tue diese Bitte in aller Demut und Festigkeit. Ich empfehle mich der göttlichen Barmherzigkeit, die an diesem heutigen Sonntag besonders gefeiert wird, und bitte den Klerus und das Volk, meiner dauernd im Gebet zu gedenken. Eure Eminenz bitte ich aber, in der feierlichen Messe vom Alleluja-Vers fortzufahren.“

Spricht's und verlässt schnellen Schrittes den Dom. „Mit wehendem Ornat“, erinnern sich fassungslose Augenzeugen. Vor dem Dom wartet sein Dienstauto mit Chauffeur Fritz Grassl; Jachym fährt in seine Wohnung zurück. Domherren werden später aussagen, dass sich Jachym bei ihnen den violetten Talar, das Birett und die Schuhe ausgeliehen habe, also bereits fest entschlossen war, nicht zur Weihe anzutreten.

Die Gerüchte wucherten

Was steckte dahinter? Jachym hat später nie eine klare Antwort auf diese Frage gegeben, die ganz Österreich beschäftigte. Auch seinem vertrauten Sekretär Norbert Rodt machte er nie eine Andeutung. Viele Wichtigtuer meldeten sich daher mit ihrer Version. Im Mariazeller Land erzählen die Leute noch heute von Gerüchten, die von den Vorfahren überliefert wurden. Von Orgien bei einem Förster berichten sie, „das weiß hier jeder“ – können auf Befragen aber nicht konkreter werden. Rodt: „Also, das höre ich zum ersten Mal.“ Der Schriftsteller Kurt Dieman wieder nannte einmal die „große persönliche Nähe Jachyms zu einer Linzer Opernsängerin“ als Grund. Die damit gemeinte Staatsanwältin und kurzzeitige FPÖ-Abgeordnete Liane Höbinger-Lehrer dementiert freilich. Sie habe Jachym erst später kennengelernt, und der freundschaftliche Kontakt – auch zu ihrem Ehemann – habe bis zu Jachyms Tod angedauert.

Die schlüssigste Erklärung dürfte wohl auch die einfachste sein. Jachym hatte in den Wochen davor beobachtet, wie tief sich Innitzer verletzt fühlte. Er wollte ein Zeichen setzen, dass er mit den innerkirchlichen Intrigen nichts zu tun hatte.

Dafür spricht auch, dass er – nach einer „Kopfwäsche“ durch Papst Pius XII. – am 19.Mai1950 in Rom von Innitzer ohne weitere Zwischenfälle zum Bischof geweiht und zum Koadjutor ernannt wurde. Seit damals hatte Wien praktisch zwei Erzbischöfe. Das blieb auch so unter Franz König – dessen Ernennung Jachym ins Herz traf, denn man rechnete allgemein mit einem logischen Nachfolger namens Jachym. Die ÖVP dürfte damals gegen den zu progressiven Jachym intrigiert haben – und bekam dann prompt den „linken“ Franz König.

Jachym blieb loyal. Er leitete das Bauamt, gründete das Institut für kirchliche Sozialforschung, war ein respektierter harter Verhandlungspartner, behielt aber stets die Fäden in der Diözese in Händen, sodass sich König immer mehr der kirchlichen Weltdiplomatie und „Pro oriente“ widmen konnte.

Am 15.September1983 nahm der Papst sein Rücktrittsgesuch an; im Jahr darauf ist Jachym in Wien gestorben.

JACHYM – EIN TOPMANAGER MIT BISCHOFSMÜTZE

Professor. Dr. Franz Jachym wurde am 3.9. 1910 in Wien geboren, mit acht Jahren war er Vollwaise. Die Fürsorge brachte ihn ins Internat, ab 1923 besuchte er in Meidling das Gymnasium, an der Wiener Uni studierte er, in Moraltheologie habilitierte er sich.

Manager. Nach dem Tod von Kardinal Innitzer leitete Erzbischof Jachym während der Sedisvakanz ein halbes Jahr lang die Diözese.

„Hilfsarbeiter“. Nach der (auch für Jachym) völlig überraschenden Ernennung Franz Königs zum Erzbischof war er verantwortlich für alle Kirchenneubauten und die Kunstwerke.

Tod. Bei der Eröffnung eines Adventmarktes starb Jachym am 29.11.1984 an Herzversagen. Er wollte immer „stehend sterben“.

Der Sekretär. Dr. Norbert Rodt (Foto) war sechs Jahre lang (bis 1976) einer der vier Sekretäre Jachyms. Heute ist er Dechant von Währing und Pfarrer von Gersthof. Er beschreibt Jachym als akribisch arbeitenden Topmanager, der Benefizien hatte, die solch ein „Job“ mit sich bringt: Dienstvilla der Diözese in Ober St. Veit, Haushälterinnen, Chauffeur und Sekretariat.

Als „Pensionist“ richtete sich Jachym in Gumpendorf seinen Alterssitz ein. Es ist jene Wohnung, die nach ihm Kardinal Franz König bis zu seinem Tod bewohnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2008)

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