Die Welt bis gestern: Walter Nausch: Der Schöpfer des zweiten „Wunderteams“

(c) Clemens Fabry
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1954 erzielte Österreich bei der WM den 3. Platz – die Zeitungen „matschkerten“ trotzdem.

Er war ein österreichischer Fußballer des legendären „Wunderteams“. Ein Kind – nein, nicht aus Favoriten, wie Friedrich Torberg über Matthias Sindelar dichtete, sondern aus der Josefstadt. Über die dortigen „Sportfreunde“ kommt der 1907 geborene Walter Nausch 1923 erstmals zur Wiener Austria, die damals noch „Wiener Amateur-SV“ heißt, nach Ober St.Veit. Im Mittelfeld fühlt er sich zuhause, aber auch als Stürmer und Verteidiger ist er spitze. Mit Sindelar & Co. prägt er maßgeblich den „violetten“ Fußball der Dreißigerjahre – die „Wiener Schule“.

Internationale Triumphe mit der Austria, ein Sieg im Mitropa-Cup, Jubelstürme im schwarz-weißen Trikot der österreichischen Nationalmannschaft – ja, Nausch ist ein Kind des Glücks. Bis zum 17.März1938. Viele Austria-Funktionäre, auch einige Spieler sind Juden, der Verein wird daher eine Woche nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich aufgelöst. Ja, im Nachfolgeverein, dem „Sportklub Ostmark“, könnte der Wunderteam-Spieler als Trainer unterkommen, wird ihm bedeutet – wenn er sich von seiner jüdischen Frau Margot trennt. „Kommt überhaupt nicht in Frage“, stellt Nausch fest, und so flieht das Ehepaar im November in die Schweiz.

Exil bei den „Young Fellows“

Heimlich suchen ihn dort einige Austria-Funktionäre auf und überreichen ihm noch die goldene Ehrennadel mit Brillanten des nicht mehr existierenden Vereins. Als Trainer bei „Young Fellows Zürich“ überdauert er mehr schlecht als recht den Krieg.

Es ist der legendäre ÖFB-Präsident Josef Gerö, der Nausch unbedingt wieder nach Österreich holen will. Er ist KZ-Überlebender, ist parteiloser Justizminister in den Kabinetten Figl und Raab, so hat er als Präsident des Fußballbundes genügend Einfluss und Gewicht, damit ihm das nach zwei Bittfahrten in die Schweiz auch gelingt.

Doch die Heimat nimmt den „Landesflüchtling“ Nausch als Teamchef keineswegs mit offenen Armen auf. Man verübelt ihm seine konsequente Haltung, seine jüdische Ehefrau, seinen Gang ins Exil. Hinterfotzig, wie die Österreicher sind – nicht nur in der Nachkriegszeit –, wird Antisemitismus über den Umweg der Sportbegeisterung transportiert. Spottgesänge über Austrias „Judenbuben“ soll es ja auch heute noch geben.

Gesudere anno dazumal

Mit den Nörglern muss ein österreichischer Teamchef zu leben lernen. Der eine kann das besser – siehe Hickersberger –, der andere weniger gut. Walter Nausch traf jede Kritik ins Herz, erzählt sein alter Freund und Vereinskollege Josef Lopper. Selbst nach dem großartigen 7:2-Sieg über Jugoslawien im Praterstadion, dem größten Nachkriegssieg bis dahin, „zeichnete sich ein kleiner Schatten ab“, wie der Sportreporter Pilsl in einem erhalten gebliebenen Fernschreiben vom 9.9. 1950 berichtet: „Wien ist die Stadt der Nörgler. ,Eigentlich war auch ein kleines Masel dabei', war nun zu hören. ,Der Zeman hatte verdammtes Glück, hätten die Jugos besser geschossen, wir wären nicht so billig davongekommen; und, unter uns: Jeder richtige Schuss saß!‘“

Pilsl weiter: „Zurück zu unserer Mannschaft. Sie wird hervorragend geführt, wir wollen nicht zu jenen zählen, die vor Walter Nausch ein Knickserl machen, um im Kurs zu stehen. Ehre, wem Ehre gebührt! Nur wer den Bundeskapitän näher kennt, weiß, wie ernst er seine Aufgabe nimmt. Die Spieler schätzen ihren Chef, sie lieben ihn, weil er korrekt ist und nur das Beste will. Unser Nationalteam ist mehr als eine Ländermannschaft, sie ist eine verschworene Gemeinschaft geworden!“

Das Abenteuer Schweiz

Ja, und Stars sind sie obendrein: Das „zweite österreichische Wunderteam“ zählt Zeman (im Tor), Happel, Hanappi, Ocwirk, die Körner-Brüder, Probst, Turl Wagner und Ernst Stojaspal zu seinen Mitgliedern.

Dann kommt die Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Die Österreicher haben sich glänzend qualifiziert und nehmen zum zweiten Mal an einer WM teil, nachdem der Verband die Teilnahme 1950 in Brasilien wegen der hohen Reisekosten abgesagt hatte. Die Nationalmannschaft reist als ein Geheimfavorit auf den Titel in die reiche, vom Weltkrieg verschont gebliebene Schweiz.

Die klaren Favoriten: Ungarn oder Uruguay, vielleicht auch noch Brasilien. Und Weltmeister wird – Deutschland! Österreich kann zwar souverän – ohne einen Gegentreffer zu kassieren – seine Gruppe gewinnen und liefert im Viertelfinale gegen die Schweiz in der „Hitzeschlacht von Lausanne“ eines der bekanntesten Spiele der Weltmeisterschaftsgeschichte.

Gegen die Deutschen setzt es ein bitteres 1:6. Eine Katastrophe für Österreichs Sportreporter, die an Nausch kein gutes Haar lassen – auch wenn der sich etwas unglücklich damit verteidigt, dass er beim Match wegen Unpässlichkeit gar nicht im Stadion war. Da hilft ihm auch nicht mehr, dass die Österreicher im Spiel um den dritten Platz Uruguay mit 3:1 besiegen.

Der größte Sieg aller Zeiten

Der dritte Platz in dieser Weltmeisterschaft gilt heute als der größte Erfolg in der Geschichte des österreichischen Fußballs der Nachkriegszeit. Insbesondere die Stürmerleistung der Österreicher mit 16 Treffern beeindruckt: Allein Erich Probst erzielt sechs Tore. Nie mehr sollte diese Formation nochmals antreten: Österreich ist arm, das Ausland ist reich. So verlässt ein Gutteil dieses „2. Wunderteams“ nach Ende des Schweizer Abenteuers die Heimat, um anderswo das große Geld zu machen.

Rücktritt nach dem Triumph

Österreich ist also Dritter. „Nur“ die drittbeste Elf der Welt! Heute würde das ganze Land in Jubelstürme geraten. Nicht so 1954. Mit ihren Bronzemedaillen kehren Nausch und seine Männer heim. Das ist zu wenig. Die Kritik lässt nicht nach, Nausch tritt gleich nach der WM von seinem Posten als leitender Angestellter des ÖFB zurück.

Am 27.November1954 schreibt Peter Black in der schottischen Zeitung „The Daily News“: „Walter ist unbeschäftigt und ... könnte mit unserem Team in wenigen Tagen mehr erreichen als ein Selektorenkomitee an den Sonntagen eines ganzen Monats [...].

Er und nur er allein war der Verantwortliche für die Teamausbildung, Ausarbeitung der taktischen Pläne, Verantwortlicher für das Training und die Disziplin der Spieler. Sein Rücktritt war seit langem vorauszusehen. Schon, als Österreich seine Vorbereitungen für die WM begann. Seine Macht wurde ihm nach und nach weggenommen. Doch wie er selbst freimütig zugibt, traf ihn am meisten die Verdammung des alten schottischen Stiles und die Einführung rein negativer Taktik. [...].“

Vor fünf Jahren war Österreich unter Nauschs Führung das erste Land, das Schottland auf eigenem Boden besiegen konnte. Gibt es irgendeinen guten Grund, warum wir uns nicht seine Dienste sichern sollten? Mir fällt keiner ein. Warum sollten wir einem Mann, der als vollkommener Meister seines Faches bekannt ist, den herzlichen Willkomm verweigern? Hier ist mein Vorschlag: Kabelt um Walter!“

Rückkehr zur „Austria“

Man kabelt nicht um „Walter“. Der kehrt zurück zu seiner Austria. Seine Antrittsrede als neuer Trainer und technischer Leiter (aus einem handschriftlichen Entwurf):

„Durch die heutigen Verhältnisse kann man entstandene Lücken im Spielerkader nicht durch gekaufte Stars ausfüllen, sondern muss mit eigenen Leuten das Auslangen finden... Ich bin der Meinung, dass unseren Spielern das offensive Spiel und der konstruktive Fußball am besten liegt. Unsere gute alte Spielweise, angepasst den modernen Gepflogenheiten, ist für uns das Richtige. Ich muss bei unseren Spielern auch auf ihre charakterlichen Eigenschaften Bedacht nehmen, sodass nur vollkommen einwandfreie Spieler das traditionsreiche violette Jersey tragen werden.“

1956 treffen einander die beiden Freunde Lopper und Nausch wie jede Woche im Café „Prückl“. Der Exteamchef hat nur wenige Schritte zu gehen, er wohnt mit seiner Frau in der Wollzeile über dem Kabarett „Simpl“. Im Kaffeehaus hat Nausch eine Herzattacke. Der Notarzt bringt den Fußballstar nochmals ins Leben zurück, Nausch zieht sich zum Auskurieren mit Margot nach Obertraun zurück. Am 11.Juli1957 – bei wahnsinnig drückender Hitze – dann der zweite Herzinfarkt. Tödlich.

Seltsam: So stirbt der Vater des zweiten österreichischen Wunderteams denselben Tod wie sein Vorgänger, der legendäre Hugo Meisl („Zeitgeschichte“ vom 16. Juni 2007).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2008)

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