"Irangeles": Persepolis am Pazifik

(c) AP (Charles Dharapak)
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In Los Angeles lebt die größte iranische Diaspora. Ihr Herz schlägt am Westwood Boulevard. Die Proteste gegen das Regime in der alten Heimat haben die Exilanten in „Teherangeles“ elektrisiert.

Es ist beinahe so wie daheim in Teheran. An einem sommerlich-trägen Nachmittag sitzen drei ältere Herren auf Sesseln mit schäbigem Plastikbezug im Eissalon „Safran“ zusammen, schlürfen Tee, schlecken Eis und palavern in Farsi über die Neuigkeiten aus der Heimat. Zum x-ten Mal erzählen sie sich die Anekdoten aus der alten Zeit, und die Fehden zwischen den Monarchisten und den Mullahs leben wieder auf.

Mit großer Geste öffnet der Patron einen Brief seiner Schwester, in dem sie von den Repressalien des Regimes und den nächtlichen Widerstandsaktionen berichtet, wenn aus den Fenstern und von den Dächern die Parole „Allahu akhbar“ hallt. Resigniert schüttelt er den Kopf, zu viel hat er mitgemacht und mitangesehen. Er hat nur ein müdes Lächeln dafür übrig, was in der iranischen Metropole vor sich geht, 12.000 Kilometer entfernt von „Teherangeles“. „Amerika ist gut“, sagt er in gebrochenem Englisch.


Elektrisiert. Hier, am Westwood Boulevard in Beverly Hills, wo sich persische Reisebüros, Fotoateliers, Friseurläden, Schönheitssalons und Enthaarungsstudios aneinanderfädeln, schlägt das Herz der iranischen Diaspora. Eine halbe Million Exiliraner hat sich im Großraum Los Angeles, im San Fernando Valley und im Orange County niedergelassen.

Die Exilgemeinde, darunter wohlhabende Geschäftsleute, Ärzte und Professoren, hat sich am Pazifik ihr „Little Persia“ aufgebaut, ihr „Irangeles“, mit eigenen Satellitensendern, Geschäften und Restaurants.

„Ich bin glücklich für mein Volk. Es ist endlich aufgewacht. Aber es wird wahrscheinlich noch eine Weile dauern, bis es das Regime loswird“, sagt Maryam Atari, die Besitzerin eines Videoladens, in dem sich persische Filme türmen. Trotz Zensur klebt sie daheim am Internet, um sich auf dem Laufenden zu halten. Die Proteste nach der Präsidentenwahl haben sie elektrisiert. „Nach den zerstörten Hoffnungen, nach den Enttäuschungen hätte ich das nicht mehr für möglich gehalten.“

Im Buchgeschäft nebenan leuchten die Berge Kurdistans in strahlendem Weiß von einer Fototapete. Der Buchhändler Birjan Khalizi gehört zu den umtriebigen Aktivisten, die die Community unermüdlich zu Demonstrationen zusammentrommeln. In einer Mischung aus Angst und Euphorie verfolgt er das Geschehen. „Es gibt eine realistische Chance für einen Zusammenbruch des Systems, und vielleicht gehe ich dann auch wieder zurück. Meine Kinder wollen aber dableiben.“


Altes Spiel. Angewidert von der Brutalität der Schlägertrupps in Teheran und vom Zynismus der internationalen Diplomatie redet sich im „Safran“ dagegen der Geschäftsführer in Rage und deutet auf die Karte des alten Persien an der Wand. „Wo wart ihr all die Jahre?“ Der Westen habe den Iran im Stich gelassen. „Und jetzt tobt ein Machtkampf zwischen den USA, Russland und Europa. Es ist das alte Spiel.“

Wie in Miami die Exilkubaner sind die Exiliraner zumeist eingefleischte Republikaner, die eine harte Linie verfechten und anfällig sind für Verschwörungstheorien. Was den einen Fidel Castro ist, sind den anderen die Mullahs. Schimpfwörter, von denen „Dummkopf“ noch das geringste ist, kommen flüssig über die Lippen. Unter den Älteren, die nach der Revolution 1979 gekommen sind, dominieren die Ultranationalisten und Monarchisten; unter den Jüngeren die Liberalen, die für eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat und für eine Demokratie westlichen Stils eintreten.

So inhomogen wie die Weltanschauung ist auch die Glaubenszugehörigkeit: Neben Moslems sind Bahai und Parsen, die Anhänger Zarathustras, vertreten und in großer Zahl Juden, die nicht nur am Sabbat die Kippa tragen. „Die sind persischer als die Perser“, erklärt ein Kenner der Szene. Über ganz Südkalifornien zieht sich ein Netz verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen, von Gruppen und Vereinen: „Wir waren willkommen. Wir sind vor 20 Jahren hergekommen, weil wir wussten, dass hier viele Iraner leben. Und weil hier ein mildes Klima herrscht“, sagt David, ein ehemaliger Schah-Anhänger. Erst im Vorjahr war er zu Besuch bei seinem Vater und seinen Geschwistern: „Wenn man sich an die Regeln hält, kann man ein gutes Leben führen.“ Er zieht es aber vor, die Luft der Freiheit zu atmen, die in Los Angeles wie in Teheran vom Smog verpestet ist.

Am Westwood Boulevard, einer schwirrenden Nachrichtenbörse, ist Farsi die Verkehrssprache Nummer eins. Persische Schriftzeichen, Fahnen und Schah-Bücher schmücken die Auslagen, aus den Autoradios dröhnt iranische Unterhaltungsmusik. Als einziges Zugeständnis an die US-Kultur hat ein Schönheitssalon die Fotos der Hollywood-Ikonen Marilyn Monroe und Audrey Hepburn aufgehängt.

Über der Fassade des Teppichladens „Damoka“ spannt sich die alte persische Fahne, mit einem Löwen und einem Säbel in der Mitte. Der Besitzer hält sich bedeckt, ehe es aus ihm herausbricht: „Der Wechsel wird kommen, die Leute lassen sich das nicht mehr nehmen.“ Er betreibt einen schwunghaften Handel mit den Bazaris und reist regelmäßig nach Teheran.

Zur Mittagszeit sind die Restaurants in Westwood voll. Das „Shaherzad“ serviert „königlich persische Küche“, im „Shamshiri Grill“ geht es entspannter zu, hier speisen auch Nichtiraner. Kühl analysiert der Geschäftsführer Aref Radjaei, der in London studiert und als Makler nach der Immobilienkrise umgesattelt hat, bei heißem Tee die Lage in der alten Heimat: „Der Iran ist noch nicht reif für eine Demokratie westlichen Zuschnitts.“


Blauäugig. Wie unterschiedlich die Standpunkte unter Exilanten sind, illustriert Radjaeis Familie. Seine Frau und seine Schwester sind Feuer und Flamme für die „grüne Bewegung“. „Meine Frau ist blauäugig. Sie ist in Los Angeles aufgewachsen. Meine Schwester war schon gegen den Schah aktiv.“ Er selbst war Schah-Anhänger. Jetzt propagiert er zivilen Ungehorsam. Aref Radjaei hat sich ein Credo zurechtgelegt: „Was mit Gewalt kommt, geht auch wieder mit Gewalt.“

FAKTEN

1,5Millionen Exiliraner

lebennach Schätzung der amerikanisch-iranischen Community in den USA. Viele kamen nach der Revolution in ihrer früheren Heimat in die Vereinigten Staaten.

0,5Millionen Iraner
haben sich im Großraum Los Angeles, im San Fernando Valley und im Orange County, niedergelassen. Es ist die größte iranische Diaspora. In der Exilgemeinde leben viele wohlhabende Unternehmer, Ärzte und Professoren. Die Community hat sich ihr eigenes „Iranangeles“ aufgebaut, mit Cafés, Restaurants und Geschäften.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2009)

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