Ein Land an der Grenze – in jeder Hinsicht

KAeRNTEN - WAHL: WAHLKAMPF-ABSCHLUSSVERANSTALTUNG TEAM STRONACH / KOeFER
KAeRNTEN - WAHL: WAHLKAMPF-ABSCHLUSSVERANSTALTUNG TEAM STRONACH / KOeFERAPA/GERT EGGENBERGER
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Österreichs südlichste Provinz hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich und eine eher bescheidene Gegenwart. Eine Landvermessung aus Anlass der Landtagswahl.

Es ist der älteste Landesteil Österreichs, das – mehr oder weniger in den Grenzen des heutigen Niederösterreich – erst seit 1156 existiert: Bereits ab 976 war Kärnten als eigenes Herzogtum unabhängig. Davor wurde es von den Bayern regiert, die in das Land eingewandert waren, das im 7.und 8. Jahrhundert noch das Zentrum des slawischen Fürstentums Karantanien gewesen war.

Der nächstgrößere Paradigmenwechsel war ebenfalls deutschen Ursprungs: die Reformation. Im 16. Jahrhundert war Kärnten fast zur Gänze protestantisch. Vor allem in den Tälern Oberkärntens hielt sich dieser Glaube auch nach der Gegenreformation, und nach dem Burgenland hat Kärnten mit rund zehn Prozent bis heute den höchsten Anteil an Evangelischen in Österreich.

Damit ist schon viel darüber gesagt, wie Kärnten wurde, was es ist. Auf der einen Seite die Deutsch-Kärntner, nach Deutschland hin orientiert, national-liberal, protestantisch oder antiklerikal geprägt. Auf der anderen die katholischen, konservativen, Habsburg-treuen Slowenen. Ein Gegensatz, der allerdings erst ab dem Revolutionsjahr 1848 so richtig zutage trat. Und sich erst heute in Anbetracht der Ortstafellösung und im Zuge des sich verstärkenden grenzüberschreitenden Alpe-Adria-Gedankens langsam wieder aufzulösen beginnt.

Davor jedoch ist Südkärnten mehr als ein Jahrhundert lang nationales Kampfgebiet gewesen. Slowenischer Pfarrer gegen deutschen Lehrer – so lautete in den Dörfern meist die politische Konstellation. Doch die kleinbäuerlich-klerikale slowenische Bewegung hatte da wenig Chancen, die deutsche Seite war wirtschaftlich überlegen und stand für Fortschritt und Erneuerung – das war auch für Aufsteiger aus dem slowenischen bäuerlichen Milieu attraktiv.

Nach der Volksabstimmung im Jahr 1920 – das mehrheitlich slowenischsprachige Südkärnten sprach sich nach Zerfall der Monarchie eindeutig für einen Verbleib bei Österreich aus – wandelte sich auch der sprachliche Charakter des Landes. Wer sich politisch den Deutschen zugehörig fühlte, gab auch die slowenische Sprache auf. Ein Prozess, der bis heute Spuren zeigt: Der kollektive Wechsel der ethnischen Identität hinterließ seelische Wunden, die wiederum zu einem übersteigerten nationalen Selbstverständnis führten.

Politisch wurde Kärnten lange Jahre von den Sozialdemokraten regiert. Schon in der Ersten Republik hatten diese eine bedeutende Rolle gespielt, von 1945 bis 1989, bis zum Beginn der Ära Jörg Haider, konnten sie absolut regieren. Das mag ein wenig verwundern: Denn im Vergleich zu anderen Regionen gab es in Kärnten wenig Industrieproletariat, die Stärke der Sozialdemokraten fußte vielfach auch auf Kleinbürgern und Landarbeitern, nicht selten Bauernkindern. Weswegen die SPÖ hier immer auch eine stärker konservative, auch nationalere Ausprägung hatte.

Die sozialen Nationalliberalen

Auf der anderen Seite hatten die Freiheitlichen und deren nationalliberale Vorgänger stets eine ausgesprochen soziale Ader. Hier zieht sich sozusagen ein blauer Faden durch – vom ersten freiheitlichen Landeshauptmann Arthur Lemisch, der Kärnten auch durch die Wirren von Abwehrkampf und Volksabstimmung führte, bis hin zu Jörg Haider und Gerhard Dörfler.

Für die ÖVP war in Kärnten nie viel zu holen. Deren Basis bildete zwar der Bauernstand, aber viele Bauern, vor allem die größeren, waren auch der FPÖ zugetan – wie das Beispiel der Familie Scheuch zeigt –, kleinere wählten mitunter sozialdemokratisch. Vor allem aber war Kärnten kein Land für Unternehmer, eine klassisch schwarze Klientel. Und unter diesem Mangel an Wirtschaftskraft leidet Kärnten bis heute.

Schon die geografischen Verhältnisse und die geringere Ausstattung mit Bodenschätzen verhinderten die Ausbildung einer Industriestruktur wie etwa in Oberösterreich oder der Steiermark. Die großen Industriebetriebe gibt es bis heute nicht. Immerhin hat sich inzwischen ein Stock an mittleren und kleineren Unternehmen gebildet, der durchaus beachtliche Erfolge aufweist. Die Siemens-Tochter Infineon hat sich mit 2900 Mitarbeitern zu einem Leitbetrieb entwickelt, dazu kommen innovative Unternehmen in den Bereichen der erneuerbaren Energien oder der Holzindustrie.

Kein Industrieland, schwache Kaufkraft

Trotzdem: Industrieland ist Kärnten damit noch lange keines. Und die wirtschaftlichen Kennzahlen sind nicht sonderlich berauschend. Bei der Kaufkraft liegt Kärnten mit 94,5 Prozent des Durchschnittswerts an letzter Stelle der Bundesländer, auch beim Brutto-Regionalprodukt hinken die Kärntner hinterher. Und beim verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte hält Kärnten laut Statistik Austria souverän den letzten Platz. Dass sich die Arbeitslosenrate im österreichischen Mittelfeld bewegt, ist da schon eines der positiveren Zeichen.

Das alles liegt nicht unbedingt nur an den Kärntnern, sondern auch an geografischen Nachteilen: Bundesländer wie Oberösterreich, Tirol oder Vorarlberg profitieren traditionell von der Nähe zu Deutschland, Niederösterreich, Burgenland oder Wien ist in den vergangenen Jahren die Ostöffnung zugutegekommen. Die Kärntner Wirtschaft exportiert viel in den Süden – und das ist die Region, die sich gerade in den vergangenen Jahren nicht optimal entwickelt hat.

Kein Wunder also, dass Kärnten das einzige Bundesland mit einer schrumpfenden Wohnbevölkerung ist. Vor allem die Jungen ziehen angesichts schlechter Jobaussichten weg oder kehren nach dem Studium nicht mehr zurück. In Wien leben schon so viele Kärntner wie in Klagenfurt.

Zuzug aus dem Ausland gibt es natürlich, vor allem der Tourismus zieht Arbeitskräfte an. Die größte Gruppe sind dabei die Deutschen, gefolgt von Bosniern und Serben. Dagegen ist die türkische Community, die in anderen Bundesländern einen wesentlichen Teil der Zuwanderer ausmacht, verschwindend klein. Der Fremdenverkehr ist auch das, was wirtschaftlich einigermaßen funktioniert. Kärnten belegt hinter Tirol und Salzburg Platz drei bei den Nächtigungen. Allerdings ist es auch das einzige Bundesland, in dem diese zwischen dem Jahr 2000 und heute nicht gestiegen, sondern gesunken sind – ein deutliches Zeichen für Strukturschwächen auch in diesem Bereich.

Einen Aufholbedarf gab es zudem lange Zeit in puncto Wissenschaft. Die Universität Klagenfurt wurde erst 1973 gegründet und fristete lange Zeit ein stiefmütterliches Dasein. Am Rande der Stadt angesiedelt, wirkte sie wie ein Fremdkörper. Misstrauisch beäugt von den lokalen Eliten konnte sie bei diesen nie Fuß fassen. Und auch die ursprüngliche Fokussierung auf den Randbereich der Bildungswissenschaften war da nicht sehr hilfreich. Das hat sich inzwischen gewandelt, die Universität hat mittlerweile einen starken Schwerpunkt bei den Wirtschaftswissenschaften und wird ergänzt durch eine Reihe erfolgreicher Fachhochschulen mit Schwerpunkten in den Bereichen Technik, Gesundheit und Soziales.

Trotz all seiner – oft politisch ausgenützten und sogar unterstützten – Provinzialität ist Kärnten aber auch das Land der Dichter und bildenden Künstler. Von Peter Turrini bis Peter Handke, von Kiki Kogelnik bis Maria Lassnig. Viele haben wie Handke oder Turrini längst das Weite gesucht, weil sie die Enge nicht aushielten. Es gibt aber auch Künstler, die im Land blieben – und wie der Schriftsteller Josef Winkler an ihm leiden. Auch die Autoren Maja Haderlapp und Egyd Gstettner oder die bildenden Künstler Cornelius Kolig oder Valentin Oman arbeiten und leben in Kärnten. Derzeit – auch das eine typische Eigenart – gibt es in Kärnten zwei Kulturreferenten: einen für Volkskultur, den Freiheitlichen Harald Dobernig, und einen für die sogenannte Hochkultur, den ÖVP-Landesrat Wolfgang Waldner.

Ein Zentrum des Kärntner Kulturlebens war lange das Stadttheater Klagenfurt. Doch den Ruf, den es unter den Intendanten Dietmar Pflegerl, der sich gern als Widerstandskämpfer gegen Jörg Haider inszenierte, und auch noch unter Josef Ernst Köpplinger hatte, hat es ein wenig eingebüßt. Der derzeitige Intendant Florian Scholz setzt auf eine neue Ästhetik und junge Regisseure. Die Folge: Die Auslastung ging zurück.

Fast drei Milliarden Euro Schulden

Wie immer die Landtagswahl ausgeht: Die nächste Landesregierung wird sich vor allem darum kümmern müssen, die Landesfinanzen in Ordnung zu bringen. In der Ära der Freiheitlichen seit 1999 hat sich Kärnten an die Spitze der österreichischen Bundesländer katapultiert, was den Schuldenstand betrifft. Waren es 1999 noch 971 Millionen Euro, so sind es jetzt fast dreimal so viel, nämlich 2,7 Milliarden Euro, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von 2890 Euro entspricht. Diese Entwicklung auf einer schiefen Ebene ist um so dramatischer, als in derselben Zeit das „Familiensilber“ verklopft wurde: Die aushaftenden Wohnbaudarlehen wurden ebenso auf den Markt geworfen wie Anteile am Energieversorger Kelag und an der Landesbank Hypo Alpe Adria. Die musste dann bekanntlich vom Bund aufgefangen und notverstaatlicht werden.

Eine wesentliche Rolle spielte die Hypo auch bei der Sportförderung, nicht zufällig hieß das – mittlerweile weitgehend unbenützte – Klagenfurter Stadion bis 2010 Hypo Group Arena. Heute heißt es Wörthersee-Stadion. Große Erfolge werden dort keine mehr gefeiert. Aber immerhin hat Kärnten mit dem Wolfsberger AC wieder einen Vertreter in der Fußball-Bundesliga.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2013)

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