„Medizin kann eine Brücke zum Frieden sein"

Hadassah Medical Centre
Hadassah Medical Centre(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der israelische Traumaspezialist Avraham Rivkind und der palästinensische Chirurg Raja'l Fouzi George Qumsiyeh über ihre Arbeit - Seite an Seite - im renommierten Hadassah-Spital am Rande von Jerusalem und den Krieg in Gaza.

Als Ärzte sind Sie dafür da, menschliche Tragödien zu reparieren. Wo Sie herkommen, werden diese Tragödien oft von der Politik verursacht. Wie sehen Sie das aus der Perspektive des Arztes?

Avraham Rivkind: Während der letzten, der al-Aqsa-Intifada hatten wir viele Patienten. Wir haben Palästinenser, Katholiken, Muslime, jeden in unserem Spital aufgenommen. Wenn Sie die Matratzen in der Unfallstation unseres Krankenhauses untersuchen, dann werden Sie dort DNA von Menschen aus aller Welt finden. Wir sind an den Kriegszustand gewöhnt. Hadassah ist eine Insel, die komplett isoliert ist. Ich sehe keine Spannungen, vielleicht leben wir in einer Traumwelt. Niemand - nicht die Ärzte, nicht die Schwestern - hat dabei ein komisches Gefühl. Gut, wir sind gestresst, natürlich gibt es Angst davor, dass etwas passiert.

Glauben Sie, dass es eine neue Reihe von Bombenanschlägen geben wird?

Rivkind: Sicherlich. Die Hamas ist in der Westbank jedenfalls nicht sehr willkommen. Vor drei Monaten, als die Einladung an uns erging, in Wien über Ethik und Terror zu sprechen, hat niemand gewusst, vor welchem Hintergrund wir in Wien sprechen würden. Im Jiddischen haben wir das Sprichwort „Mensch tracht un Gott lacht", der Mensch denkt und Gott lenkt. Ich habe Hassan Salameh, der für zwei Bus-Explosionen in Israel im Jahr 1995 verantwortlich war und dann von unseren Soldaten gefasst und bei seiner Verhaftung verletzt wurde, behandelt. Er kam ins Gefängnis, aber er lebt.

Ist das nicht ein Dilemma für einen Arzt?

Rivkind: Irgendwie berührt uns das nicht. Eigentlich sollte man erwarten, dass man Antagonismus gegen diesen Patienten verspürt, dass man darüber nachdenkt, dass man die Opfer dieses Mannes auch bereits behandelt hat. Hassan Salameh wurde um zwei Uhr früh an einem Samstag eingeliefert, am nächsten Tag kommt auch Yossi Genossar, Stellvertretender Chef des Inlandsgeheimdienstes Shabak (früher Shin Beth) ins Spital. Er ist heute nicht mehr am Leben, damals kam er wegen einer Darmoperation ins Spital. Ich kann nicht Hassan Salem und Yossi Genossar jeweils ein Krankenzimmer geben, soviele Krankenzimmer haben wir nicht. Ich scherzte damals: Legen wir doch den Geheimdienstvize Genossar und den Terroristen Hassan Salem ins selbe Zimmer! War natürlich nur ein Witz. Dann lag Yossi Genossar und Hassan Salem auf dem selben Stockwerk in jeweils anderen Krankenzimmern. Verrückt? Natürlich ist das verrückt.

Raja'l Fouzi George Qumsiyeh: Wie Professor Rivkind gesagt hat, Hadassah ist eine Insel des Friedens. Ich bin seit Dezember 2006 in Hadassah. Es herrscht eine gute Atmosphäre, Diskriminierung habe ich dort nie kennen gelernt. Ich hatte vorher keine jüdischen Freunde, nun habe ich sehr, sehr gute Freunde, die mir helfen, sie helfen mir bei den Operationen und überhaupt im Leben. Davor konnte ich kein Hebräisch. Dann haben Sie mir nach der Arbeit Hebräisch-Kurse gegeben, nun ist mein Hebräisch perfekt.

Wie waren die Reaktionen der Familie der Freunde?

Qumsiyeh: Hadassah hat in meiner Stadt Bethlehem einen sehr guten Namen. Man war stolz auf mich.

Wie geht es Ihnen denn, wenn Sie die Fernsehbilder sehen?

Qumsiyeh: Wenn ich die Fernsehbilder sehe, mache ich mir Sorgen wegen der Kinder, der Frauen, der Menschen. Ich bin gegen den Krieg. Er schadet beiden Seiten.

Wenn geschossen wird, Bomben hochgehen, landen die Opfer bei Ihnen im Trauma-OP. Wenn man dort all das menschliche Leid sieht - verändert einen das? Sehen Ärzte die Welt anders?

Rivkind: Ich glaube, dass wenn die Ärzte miteinander sprechen, über das Leiden ihrer Patienten sprechen, dann gibt es da einen Punkt, wo man miteinander eine Ebene findet. Ich bin mir sicher, wenn ich mit dem syrischen Präsidenten Baschar el-Assad spreche, er ist ja Augenarzt, dann wird er mit mir eine Gesprächsbasis finden. Er wird nicht nur über die politische Situation sprechen wollen, man kann auch über die Medizin sprechen. Wenn er mich einlädt, komme ich gerne. Ich hätte kein Problem, mit ihm in Damaskus zu sprechen. Ich glaube, dass man von Kollege zu Kollege eine Gesprächsbasis findet. Als Arzt hat man den wahren Blick auf das Leben. Alles ist gut solange man nicht krank ist. Wenn jemand krank wird, interessieren sich alle dafür. Nehmen Sie Fidel Castro. Da kann man dann auch Millionär sein, das hilft höchstens ein bisschen. Arafat war krank, jeder hat sich für seine Prognosen interessiert. Medizin kann eine Brücke zum Frieden sein. Davon bin ich überzeugt, das sagt mir meine Erfahrung. Und ich habe viel Erfahrung.

Gibt es Beispiele für den Erfolg Ihrer gemeinsamen Arbeit im Spital?

Rivkind: Mein Kollege hier macht Visiten bei den Patienten! Und die meisten von ihnen sind jüdisch.

Qumsiyeh: Ich kümmere mich um die Patienten, ich spreche mit ihnen. Niemand sagt, das ist ein Araber, ich will nicht, dass er operiert. Die jüdischen Patienten fragen mich, woher ich komme. Dann sage ich, dass ich von der Westbank komme.

Wie ist die Reaktion?

Qumsiyeh: Gut.

Glauben Sie, dass Ihre Arbeit über Hadassah hinaus eine Wirkung hat?

Rivkind: Ja. Hadassah war für einen Friedensnobelpreis nominiert. Manchmal bin ich von den Wendungen wirklich überrascht. Busse expodieren, die Patienten werden aufgenommen, und dann wird der verantwortliche Terrorist Hassan Salameh gefangen und landet ebenfalls hier, in dem jüdischen Krankenhaus schlechthin und wird von jüdischen Ärzten behandelt...

Ich möchte Ihnen noch eine andere Geschichte erzählen. Ich war in einem Flugzeug auf dem Weg nach Argentinien. Plötzlich höre ich, dass ein Urologe gesucht wird. Ich habe mich als einziger gemeldet, gesagt dass ich Chirurg bin. Ich wurde zur Toilette geführt. Da war ein alter Mann, der nicht urinieren konnte. Also habe ich improvisiert, ihm einen Katheder gelegt, mit einer Seven-Up-Flasche. Das war die israelische Lösung... (lacht). Dann haben wir uns vorgestellt. Sein Name war Heinz. Heinz auf dem Weg nach Argentinien. Typen, die in seinem Alter nach Argentinien fliegen ... Er sollte in einem Armeekrankenhaus in Argentinien behandelt werden. Ich war sicher, der hatte seine Geschichte. Und ich konnte an seiner Reaktion auf mich ablesen, dass er nicht glücklich war, um es vorsichtig zu sagen. Ein paar Stunden später hab ich Blumen in mein Hotel bekommen. Dabei hatte ich ihm nur meine israelische Adresse gegeben. Später hat er mich auch noch zum Essen eingeladen. Sie sehen: Die Medizin hat einen weiteren Kreis geschlossen. Wenn man ein Problem hat, ist es einem letztlich egal, ob einem ein Jude oder ein Araber hilft.

Wie schätzen Sie die Situation der medizinischen Versorgung in Gaza ein?

Rivkind: Einer der Ärzte dort war fünf Jahre in Hadassah. Ich bin mir sicher, dass er einen guten Job macht. Aber ich glaube nicht, dass sie in al-Shifa mit dieser Anzahl von Patienten zurande kommen. Sie tun ihr bestes. Aber sie können nicht unter diesen Umständen 3000 Patienten behandeln. Unter dem Spital sind Bunkeranlagen - die die Israelis angelegt haben - und in diesen Bunkern sitzt Hamas-Führer Ismail Haniyeh. Hamas nützt die Situation aus. Wenn al-Shifa anfragen würde, dass ich nach Gaza gehe, dann würde ich sofort dorthin gehen. Sehen Sie: Ich habe beim Tsunami geholfen, in Mombasa, etc. Mir ist es egal, wen ich behandle. Wenn ich helfen kann, dann helfe ich. Unser Spital schickt Medikamente nach Gaza. Hamas kümmert sich nicht um ein Menschenleben.

Die israelischen Streitkräfte sagen, dass sie alles tun, um die Zahl der zivilen Opfer gering zu halten. Ist das so?

Rivkind: Wenn die Hamas sich mit menschlichen Schutzschildern umgibt, was soll man da tun? Ich habe Töchter, die in der Armee sind. Ich habe einen Sohn, der in die Armee kommen wird. Er will in eine Eliteeinheit. Und ich werde ihn sicher nicht davon abhalten. Ich glaube an Israel. Ich habe Freunde in der Armee, sie wollen niemand töten. Aber sie wollen ihr Land verteidigen und natürlich, zweitens, am Leben bleiben. Sie sprechen darüber, wie sie das Land verteidigen. Das Land hat sich nach dem zweiten Libanon-Krieg gewandelt. Sie sprechen nun so, wie unsere Väter über Israel gesprochen haben: „Wir verteidigen das Land". Seit acht Jahren leben die Kinder von Sderot mit all den Raketen. Irgendwann hält man die Raketen nicht mehr aus. Die landen 20 km von Tel Aviv entfernt. Sollen wir darauf warten, bis die Raketen in Tel Aviv niedergehen? Niemand will Gaza, Mubarak nicht, Israel nicht. Nach 1967 gingen wir von Hadassah einmal die Woche nach Gaza, um Kinder in al-Shifa zu behandeln. Die schwierigen Fälle behandelten wir in Hadassah. Hamas baut Bunker unter Shiva. Moment mal! Das ist doch unfair.

Qumsiyeh: In meiner Stadt Betlehem ist die Mehrheit christlich. Die Hamas ist bei uns nicht sehr dominant, die meisten Bürger Betlehems sind für Mahmoud Abbas von der Fatah. Das Leben war bis 2000, bis zur al-Aqsa-Intifada, sehr gut. Ich studierte damals in der Ukraine. Nun leben wir ein Leben in Armut. Wir leiden unter den Checkpoints, aber ich kann noch mal sagen, schwierig ist es nur außerhalb von Hadassah, im Spital geht es mir gut. Dort behandle ich beide Seiten, ich behandle Soldaten, Israelis, Araber. Erst vor ein paar Tagen sind während meines Dienstes drei Soldaten eingeliefert worden. Also behandle ich sie.

Haben Sie Hoffnung für die Zukunft?

Rivkind: Es gibt Hoffnung. Man kann ja nicht seine Kinder großziehen und daran denken, dass sie ihr Leben lang kämpfen müssen. Ich hoffe, dass es irgendwann Politiker geben wird, die sagen: Es reicht. Wenn ich in Europa bin, dann bin ich wirklich neidisch. Wenn man von der Schweiz nach Deutschland fährt, braucht man keinen Pass. Was würde das für Israel, für die gesamte Region bedeuten, wenn wir offene Grenzen und vernünftige Beziehungen hätten! Der nahe Osten wäre ein wunderbarer Ort.

Qumsiyeh: Ich hoffe auf Frieden. Was wir seit der zweiten Intifada aufgebaut haben, haben wir alles verloren. Wir leben nun wie in den 50er Jahren. Vor zwei, drei Jahren haben die Leute auf die Hamas gesetzt, sie wollten den Wandel, also haben sie auf die Hamas gesetzt. Nun haben sie die Hamas bekommen.

Zu den Personen

Avraham Rivkind ist Leiter des Departments für Allgemeine Chirurgie und Trauma an der Hadassah Hebrew University Medical School.

Raja'l Fouzi George Qumsiyeh ist palästinensischer Chirurg und im zweiten Jahr seiner Facharztausbildung in Allgemeiner Chirurgie im Hadassah Hospital. Er ist Stipendiat der Karl Kahane-Stiftung.


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