Israels banger Blick nach Washington

ANALYSE. Die Sorge im Judenstaat ist groß, die USA als letzten Verbündeten zu verlieren. Zuletzt hat sich in Israel eine fatalistische Haltung immer mehr ausgebreitet: „Die ganze Welt ist gegen uns.“

Zipi Livni hatte es schon während des Wahlkampfs prophezeit: Wenn ihr konservativer Kontrahent Benjamin Netanjahu das Rennen gegen sie mache, so die damalige Außenministerin und Spitzenkandidatin der Kadima, werde er den Judenstaat in die Isolation führen. Israels nach wie vor wichtigster Verbündeter sind sowohl wirtschaftlich, strategisch und bisher auch ideologisch die Vereinigten Staaten. Heute trifft der noch recht frisch gebackene Premier aus Jerusalem zum ersten Mal in offizieller Funktion mit US-Präsident Barack Obama zusammen. Die Reise des Regierungschefs wird zu Hause mit Bangen verfolgt.

Unmut in den USA erzeugte vor allem Netanjahus Verweigerung einer Zwei-Staaten-Lösung, an der Obama unverändert festhält. Umgekehrt fordern die Israelis Rückendeckung beim akuten Bedrohungsproblem, das von einer angehenden Atommacht Iran ausgeht. Das eine aber geht ohne das andere nicht, signalisiert das Weiße Haus. Schon jetzt steht fest: Dem Honeymoon, den Jerusalem und Washington nach den Terrorangriffen am 11. September miteinander verbrachten, droht das Ende.

Stimmungswechsel

57 Prozent der Israelis sind laut einer am Wochenende von der liberalen „Haaretz“ veröffentlichten Umfrage dafür, dass Netanjahu in Washington einer Zwei-Staaten-Lösung zustimmt. Das ist ein Stimmungswechsel hin zu einer pragmatischeren Haltung. Vor wenigen Wochen hatte die klare Mehrheit der Wähler noch für das Rechtsaußen-Lager gestimmt – für Politiker also, die die Gründung eines Palästinenserstaates vorläufig ablehnen. Nur noch 35 Prozent der Befragten halten laut „Haaretz“ weiter daran fest.

„Für viele von uns“, so schreibt Aviad Fohoriles von der Tageszeitung „Maariw“ in seinem kritischen Kommentar, „lautet der Ausgangspunkt jeder Diskussion: ,Die ganze Welt ist gegen uns.‘“ Wenn man in London oder Paris nichts mehr zu essen bekomme, weil das Restaurant gerade zusperre, „dann ist gleich von Antisemiten die Rede“. Mit einer derart fatalistischen Haltung braucht man sich selbst nicht zu hinterfragen.

Ramponiertes Image

Allerdings kann auch bei denen, die sich nicht zu den Fatalisten zählen, das Gefühl, den Kampf ohnehin verloren zu haben, eine Anti-Reaktion auslösen. So war die Nominierung des umstrittenen Avigdor Liebermann zum Außenminister alles andere als hilfreich für die Wiederherstellung des international ramponierten Images.

Uri Dromi, der zu Zeiten von Ex-Premierminister Yizhak Rabin und Schimon Peres bis 1996 Chef des staatlichen Pressebüros war, erinnert sich gern an den Beginn des Friedensprozesses, „der Zeit, als uns noch alle liebten. Richtiger wäre wohl zu sagen: als uns wieder alle liebten. Denn Israel war in den Jahren davor bereits stark ins diplomatische Abseits gerückt. Mit der ersten Libanon-Invasion und später der Intifada schmolz die internationale Sympathie für den Judenstaat dahin. Wie konnten wir das Bild erklären, auf dem ein palästinensisches Kind mit einem Stein auf einen Panzer losgeht“, fragt Dromi.

Den westlichen Regierungen war der intensivierte Neubau israelischer Siedlungen in den Palästinensergebieten ein Dorn im Auge. Die USA verhängten in den frühen 1990er-Jahren gegen die damals konservative Regierung in Jerusalem sogar Sanktionen. Eine so drastische Maßnahme hat es seither nicht mehr gegeben. Der Likud ließ trotzdem nicht davon ab, zahlte jedoch später innenpolitisch den Preis, als er die Wahlen gegen die Arbeitspartei verlor.

Aus Sorge um die Beziehungen mit dem „Großen Bruder“ warf schließlich kein anderer als Netanjahu, als er 1996 zum ersten Mal zum Premierminister gewählt wurde, komplett sein zentrales Wahlversprechen über Bord: Nein zum Osloer Friedensprozess hatte er angekündigt und schließlich auf Anweisung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton kleinlaut dem Abzug aus großen Teilen des Westjordanlandes zugestimmt.

Die Pragmatiker hoffen

Die Pragmatiker in Israel hoffen auf eine Wiederholung von Netanjahus damaligem Auftritt in den USA. Gerade jetzt, aufgrund der wachsenden existenziellen iranischen Bedrohung, mit der Israel allein nicht fertig werden kann, dürfe man den starken Verbündeten nicht vor den Kopf stoßen.

Die Trotzigen hingegen pochen auf eine Fortsetzung des Siedlungsbaus, der strategisch genauso wichtig sei für die Sicherheit des Staates. Amerika, so hoffen sie, verfolge ohnehin dasselbe Ziel – den Kampf gegen die muslimischen Extremisten – und werde Israel deshalb unter keinen Umständen fallen lassen.

„Wir Juden wollen so dringend geliebt werden“, schreibt Fohoriles vom „Maariw“, „vorzugsweise ohne das Gefühl, diese Liebe erwidern zu müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2009)


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