Kaffeehaus Mythen: Wie es sich (nicht) verändert hat

Zeitungen, Gugelhupf und fast nur Männer: das Wiener Kaffeehaus im Jahr 1910.
Zeitungen, Gugelhupf und fast nur Männer: das Wiener Kaffeehaus im Jahr 1910.(c) Wien Museum
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Caffè Latte statt Häferlkaffee, weniger Rauch – und sonst? Anlässlich des Tages des Kaffees sechs Stehsätze zum Wandel des Wiener Kaffeehauses auf dem Prüfstand.

Seine Geschichte ist so lang wie legendär, sein Charakter unverwechselbar: das Wiener Kaffeehaus. Thonet-Stühle, Marmortische, Treffpunkt der Künstler, Denker, der großen Namen. Bernhard, Kokoschka, Kraus, Loos. Vieles von der übergroßen Geschichte ist heute längst Vergangenheit, auch wenn die Zeit – auch und gerade architektonisch – in vielen Häusern stillgestanden sein dürfte.

1 Ins Wiener Kaffeehaus geht man, um guten Kaffee zu trinken


Zweifellos. Allerdings hat der typische Wiener Kaffee Konkurrenz bekommen, aus den eigenen Reihen quasi, und sie nennt sich Caffè Latte, Cappuccino oder Espresso. Weil die Gäste immer stärker danach verlangten, haben sich viele Traditionscafés in den vergangenen Jahren und „schweren Herzens“ (Landtmann-Chef Berndt Querfeld) dem internationalen Trend gebeugt und Espresso und Co. auf ihre Karte gesetzt. Der Caffè Latte hat dabei längst den Häferlkaffee abgelöst, die Melange schlägt sich zwar immer noch ganz gut, immer öfter wird aber Cappuccino bestellt. (Von den alten, typischen Wiener Sorten wie Einspänner oder Kapuziner gar nicht zu reden). Und: Die Gäste achten mehr auf die Qualität. In Zeiten, in denen viele eine eigene Espressomaschine zu Hause stehen haben und als selbst ernannte Barrista mit Tabs experimentieren, „reicht ein schloddriger Kaffee mit ein bisserl Milchschaum nicht mehr“, sagt Café-Hummel-Chefin Christina Hummel. „Heute hat sogar McDonald's schon perfekte italienische Kaffeemaschinen.“

2 Im Wiener Kaffeehaus gibt es nur Guglhupf, Würstel und Gulasch


Falsch. Auch wenn es die unvermeidlichen Klassiker – Würstel, Gulasch –  noch gibt, haben viele Cafeś eine Speisekarte, die mit einem normalen Restaurant mithalten kann. Tenor: Ohne Speisekarte wäre der Betrieb gar nicht aufrechtzuerhalten, denn der Kaffeekonsum stagniert. Der eine oder andere Kaffeesieder reagiert dabei auf Lifestyle-Bewegungen: Vegane Speisen oder glutenfreies Gebäck (etwa im Hummel) sind auch im Wiener Kaffeehaus anno 2013 nicht mehr ganz exotisch. Und ja, natürlich gibt es sie noch, die mit Torten, Punschkrapfen und Strudeln bestückte Vitrine. Die aber so traditionsreich nicht ist: Bis in die 1970er-Jahre gab es im Kaffeehaus mangels Kühlmöglichkeit meist nur Strudel und Guglhupf.

3 Das Wiener Kaffeehaus als Treffpunkt der Schriftsteller und Künstler


Na, ja. Thomas Bernhard liebte bekanntlich das Café Bräunerhof. Schnitzler, Klimt, Torberg, Zweig, sie alle und noch viele andere bekannte Persönlichkeiten verbrachten viel Zeit im Café und trugen so zu deren Image als Treffpunkt der Künstler bei. Auf die Historie verweist man gern, zentraler Treffpunkt der Künstler und Denker ist das Kaffeehaus aber heute nicht mehr.

4 Das Wiener Kaffeehaus als Ort der Spielstätte von Schach bis Billard


Im Frühling erntete das Café Dommayer böse Berichte, als es zwei Gästen verbot, eine Partie Schach zu spielen. Ein Spieleverbot im Kaffeehaus? Vor Jahrzehnten noch undenkbar. Um 1938 gab es allein 74 Schachcafés in der Stadt, allen voran das Café Central. Hinzu kamen viele, in denen Karten oder Billard gespielt wurde. Die Tradition lebt heute nur im Kleinen in wenigen Häusern (Hummel, Korb, Weidinger, Sperl). Zu Ende ging die Tradition übrigens aus wirtschaftlichen Gründen: Für die Kaffeesieder war es nicht rentabel, ihre Säle an Schachvereine zu vermieten. Die Spieler blieben lange und konsumierten wenig – ins Landtmann brachten sie gar ihre eigenen Teebeutel mit.

5 Im Kaffeehaus sitzt man stundenlang bei einem kleinen Braunen, liest und raucht

Das Kaffeehaus ist ein Ort „in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht“, schrieb die Unesco 2011, als sie die Wiener Kaffeehauskultur zum immateriellen Kulturerbe ernannte. Die alte Regel, wonach man stundenlang bei einer einzigen Tasse Kaffee ohne Konsumzwang sitzen bleiben kann, gilt auch heute noch. Gemäß dem Klischee werden dabei nach wie vor die in die charakteristischen Halter gespannten Zeitungen gelesen. Daran konnte auch der „Online-Kiosk“ nichts ändern: Einige Cafés bieten ihren Gästen seit diesem Jahr über WLAN E-Paper-Ausgaben zahlreicher Zeitungen an. Das wird bislang aber kaum angenommen. Gemütlich dabei die eine oder andere Zigarette zu rauchen, ist aber in vielen Cafés Geschichte: Aufgrund des Tabakgesetzes (siehe Artikel rechts) haben viele Cafés heute Nichtraucherräume oder sind überhaupt rauchfrei: Eine der vielleicht augenfälligsten Veränderungen in der Branche. Denn wer hätte sich vor einigen Jahren vorstellen können, dass man im Hawelka eines Tages nicht mehr rauchen darf?

6 Das Wiener Kaffeehaus stirbt, die Branche klagt

Das große Kaffeehaussterben begann, sagt Querfeld, als die schicken italienischen Espressi in den 1950ern aufkamen und die Traditionscafés plötzlich ziemlich alt aussahen. Auch wenn vom großen Sterben heute keine Rede ist und viele Cafés auch dank der Touristen gut leben, ist die Branche doch deutlich dezimiert. Um 1900 gab es an die 600 Kaffeehäuser in der Stadt, heute zählt man etwa 140, von denen etwa 70 als wirklich traditionelle Kaffeehäuser gelten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)

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