In den (zu großen) Stiefeln der Roten Armee

Russlands Streitkräfte werden modernisiert und zeigen global verstärkt Flagge. Viele Waffensysteme sind jenen des Westens mehr als gleichwertig. Zur Weltmacht, wie in Zeiten der UdSSR, reicht es aber nicht.

Was für ein Kriegs-Koloss war die UdSSR um 1984! Mehr als sechs Millionen Mann, 136 Infanterie- und 50 Panzerdivisionen, 51.000 Kampfpanzer, 70.000 gepanzerte Fahrzeuge, 40.000 Geschütze und Raketenwerfer, über 8000 Kampfjets, 270 U-Boote und 290 große Kriegsschiffe. Ein riesiges A-Waffenarsenal, dazu viele Basen im Ausland, so auf Kuba, in Cam Ranh (Vietnam), Südjemen – und Osteuropa.

Mit dem Ende der UdSSR zerfiel der Koloss. Das Militärbudget sank 1988-97 auf ein Zehntel. Schiffe rosteten im Hafen. Flugzeuge flogen selten, 1999-2003 wurde keines neu beschafft. Viele Offiziere gingen, Wehrpflichtige drückten sich. Dazu die herbe Niederlage im ersten Tschetschenienkrieg 1994.

Herauskam ein geschrumpftes Militär: gut 1,1 Mio. Mann, 21.000 Panzer, 25.000 Panzerfahrzeuge, 17.000 Kanonen und Werfer, rund 3100 Kampfjets, 60 Angriffs-U-Boote und 80 große Kriegsschiffe. Und statt wie einst fast 800.000 Mann sind gerade 17.000 im Ausland, wie in Tadschikistan und Georgien.

Putin wollte die Truppe ab 2000 aufrichten, aber damals nicht zwingend auf Weltmacht-Niveau. Die Militärdoktrin betont die atomare Abschreckung (das halbierte Atom-Arsenal ist stark genug), dazu die Verteidigung der ökonomischen Resourcen und die Kapazität zum Eingriff in nahe Konflikte.

Weniger, aber besser

Das Militärbudget wurde seit 2000 auf 31 Mrd. Dollar vervierfacht, das sind 2,7% des BIP (15-18% in den 80ern). Luftwaffe und Marine wurden saniert, das Heer professionalisiert und auf im Kern 19 Schützen-, sechs Panzer-, acht Artillerie-, vier Luftlandedivisionen und ein Dutzend Spezialbrigaden reduziert. 2006-15 sollen 200 Mrd. Dollar in neues Gerät investiert werden. Besondere Pläne:

•Luftwaffe: Ausbau der strategischen Bomberflotte mit Tu-160 („Blackjack“) und deren Bestückung auch mit konventionellen Marschflugkörpern; Abbau alter Typen, Upgrading der Su-27-Jäger; Kauf neuer Jagdbomber Su-34 und Schlachtflieger Su-25 SM.

•Marine: Bis 2015 sollen 45% des Materials ersetzt werden. Unklar sind die Ausbaupläne: Ex-Flottenchef Kurojedow wollte in absehbarer Zeit keine neuen Flugzeugträger und Kreuzer, aber für Radar „unsichtbare“ Zerstörer und 20 Korvetten. Der seit 2005 amtierende Marinechef Wladimir Masorin sprach aber 2007 von bis zu sechs Trägerkampfgruppen, die man in 20-25 Jahren bauen wolle. Jedenfalls sind mehrere U-Boote in Bau.

•Heer: Kauf neuer „Abakan“-Sturmgewehre, 1200 Kampfpanzer T-90 (jetzt 150) und Schützenpanzer. Vor allem will man den Ruf des Militärs heben: auch durch mehr Sold und Soldatenwohnungen.
•Atomarsenal: Putin will mehr neue Atomraketen wie die landgestützte „Topol“ und die seegestützte „Bulava“, die jede Raketenabwehr durchbrechen sollen.

Es gibt viele Probleme: So waren 2005 drei Viertel des Geräts veraltet. Laut „Jane's Defence“-Experte Georg Mader sind die meisten Piloten überaltert und fliegen wenig, die Ostseeflotte glaubt, bald keine kampftauglichen Piloten zu haben. Kaum 20% der Gemusterten rücken ein, viele werden misshandelt. Das Militärbudget reicht für ein Militär jener Größe weiter nicht.

Wenn heute wieder Tupolev-Bomber im Pazifik über US-Schiffe fliegen und Russen-Zerstörer in der Biskaya üben, zeigt Moskau so nach Jahren wieder Flagge. Zu mehr als zu begrenzten Aktionen etwa im Kaukasus (oder einem selbstmörderischen Atomschlag gegen die USA) fehlt aber die Kraft – noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2008)


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