Ein Kandidat als Guru: Der Traum von der Revolution

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Eigentlich wollte Ron Paul Präsident werden, geworden ist er ein libertärer Prophet. Jetzt gewann er in Idaho 24 Prozent.

Washington. Die Anhänger könnten alle seine Enkelkinder sein. 25, 30 Jahre sind die hunderten Zuhörer alt, die sich in dem Saal in Simi Valley (Kalifornien) versammelt haben. Ron Paul steht auf einem kleinen Podium, weiße Haare, ein gutmütiges Lächeln im Gesicht, 72 Jahre alt. Das Publikum hängt an seinen Lippen wie Kinder, die fasziniert den Jugenderzählungen ihres Opas lauschen.

Doch Ron Paul spricht nicht über ein Amerika in den 30er-Jahren, sondern über eines in der nahen Zukunft. Über eine USA, in denen es keine Steuerbehörde mehr gibt; in denen Drogen frei erhältlich sind; in denen jeder mit einer Waffe am Gürtel herumgehen darf; in denen der Staat keinen Einfluss auf das Leben der Menschen hat. Politisch nennt man diese Ansichten libertär. In den USA ist das gleichbedeutend mit Anarchie.

Als Präsidentschaftskandidat der republikanischen Partei hat er damit keine Chancen. Schon lange hat sich John McCain die Nominierung gesichert. Doch Paul macht weiter, weil es „um mehr geht als um eine Wahl. Es geht um eine Revolution wie im Jahr 1776.“

Diesmal aber ist nicht London der Feind, sondern Washington. Die Regierung überreguliere das Leben der US-Bürger, kritisiert Paul. Das Individuum allein soll über sein Schicksal entscheiden. Die Botschaft fällt bei vielen Amerikanern auf fruchtbaren Boden: Bei Vorwahlen diese Woche in Idaho erreichte Paul beachtliche 24 Prozent der Stimmen; in Pennsylvania kam er auf 16 Prozent, in Oregon auf 15. Sein Buch „Die Revolution: Ein Manifest“ schaffte es auf Platz eins der „New York Times“-Bestsellerliste und seine Fans spenden ihm noch immer genug Geld, damit er den Wahlkampf fortsetzen kann.

Wie Che Guevara

Um Politik geht es bei seiner Kampagne nur noch am Rande. Ron Paul ist eine Art Guru geworden, der die Träume vieler junger Menschen anspricht. Auf YouTube werben Anhänger mit selbstgedrehten Videos für ihr Idol; auf T-Shirts vergleicht man den 72-Jährigen sogar mit Che Guevara. „Der Mann ist ein Held“, erklärte Brad Linzy einer Zeitung, „ein Held auf der Stufe von Gandhi.“

In Texas wollen Anhänger Pauls Ideen nun in die Praxis umsetzen. Außerhalb von Dell City soll „Paulville“ entstehen, eine abgeschirmte Siedlung, in der Libertarismus gelebt wird. Für 500 Dollar bekommt man 4000 Quadratmeter Grund, die man selbst erschließen muss und auf denen man leben kann, wie man will. „Es soll eine Gemeinschaft aus Menschen werden, die die Freiheit lieben“, erklären die Initiatoren auf paulville.org.

Das mitleidige Lächeln, mit dem die republikanische Partei die Bewegung bisher verfolgte, weicht zunehmender Sorge. Paul hat bisher 35 Delegierte gewonnen und will beim Nominierungsparteitag im September gehört werden. Seine Anhänger planen, „unsere Ziele deutlich zu machen“. Für die Parteigranden ist das gleichbedeutend mit einer Störung des Parteitags, der eigentlich eine Krönungszeremonie für John McCain sein soll.

„Man wird ihnen irgendeine Plattform bieten müssen“, meint Politikprofessor Alan Abramowitz. „Wenn man sie ausschließt, ist die Gefahr groß, dass sie sich von der republikanischen Partei abwenden und einen anderen Präsidentschaftskandidaten unterstützen.“

Ron Paul reagiert auf diese Sorge entsprechend seiner Lehre. Befragt, was er seinen Fans rät, antwortete er schlicht: „Jeder ist frei zu tun, was immer er will.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2008)

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