Demokraten greifen nach historischer Machtfülle

(c) AP (Jae C. Hong)
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Weißes Haus und Kongress: Obamas Partei steht vor einem Triumph. Ein Erdrutschsieg könnte aber für die Demokraten bei der nächsten Wahl verheerende Konsequenzen haben.

Washington. „Mögen all deine Wünsche in Erfüllung gehen“, lautet ein japanischer Fluch. Einer der Wünsche der Demokraten ist es, am kommenden Dienstag nicht nur die Präsidentschaftswahl zu gewinnen, sondern auch die bestimmende Mehrheit im Senat. Und dieser Wunsch könnte sich am Ende tatsächlich als Fluch erweisen: Ein solcher Erdrutschsieg könnte für die Demokraten bei der nächsten Wahl verheerende Konsequenzen haben.

Einerseits ist es die den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama begleitende Euphorie, die Hoffnungen auf einen überwältigenden Sieg nährt. Derzeit liegt Obama in nationalen Umfragen sieben Prozentpunkte vor dem Republikaner John McCain (52:45). Andererseits spielt die derzeitige Wirtschaftskrise den Demokraten in die Hände. Die Bevölkerung macht dafür die Politik von US-Präsident George Bush verantwortlich, der seit Wochen den Rekord als unbeliebtester Präsident der US-Geschichte hält.

Macht wie vor 100 Jahren

Im Repräsentantenhaus (alle zwei Jahre komplett neu gewählt) stellen die Demokraten seit 2006 die Mehrheit (233 zu 202 Sitzen). Im Senat hat die Partei 49 bzw. 51 der 100 Senatoren, abhängig davon, ob man zwei unabhängige Senatoren mitzählt, die stets mit den Demokraten stimmen (Al Gores einstiger Vizepräsidentschaftskandidat Joe Lieberman und Bernie Sanders aus Vermont). Die magische Zahl von 60 Senatoren würde es ermöglichen, alle Blockaden durch die Republikaner im Oberhaus des Kongresses zu überstimmen; eine Machtfülle, wie sie zuletzt die Republikaner vor fast 100 Jahren hatten (1911).

Damit und mit Obama im Weißen Haus könnten die Demokraten sämtliche Vorhaben durchbringen – von der allgemeinen Krankenversicherung über eine Reform der Pensionsversicherung bis zu einer Erhöhung der Steuern für Reiche. Genau das ist das Problem: Denn die Ausrede, die Republikaner würden Reformen verhindern, fiele weg. Plötzlich wäre man alleine für die Politik verantwortlich. Ein fulminantes Comeback der Republikaner könnte folgen.

McCain »Obama »Prognosen »News »Themen »„Wenn ich entscheiden kann zwischen Verantwortung und dem ewigen Hin und Her mit den Republikanern, dann wähle ich Ersteres“, erklärte Senator Sheldon Whitehouse. Ein demokratischer Parteistratege sieht das anders: „Es ist eine Sache, etwas zu fordern; eine andere, das auch umzusetzen.“ Er erinnert an die Versprechen mancher Demokraten vor der Kongresswahl 2006, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident George Bush einzuleiten. Als man tatsächlich die Mehrheit gewonnen hatte, wollte davon niemand mehr etwas wissen.

35 der 100 Senatoren werden am Dienstag neu gewählt. Im Spiel sind sechs bis neun Sitze, darunter die von politischen Schwergewichten wie Elizabeth Dole (North Carolina), Ehefrau des früheren republikanischen Präsidentschaftskandidaten Bob Dole. Auch Ted Stevens aus Alaska, seit 40 Jahren US-Senator, muss zittern: Er wurde diese Woche wegen unerlaubter Geschenkannahme verurteilt. Das könnte das Aus für seine politische Karriere bedeuten.

„Ein gefährlicher Dreier“

In Minnesota tritt der beliebte Kabarettist Al Franken gegen Amtsinhaber Norm Coleman an. Selbst in die republikanische Hochburg Georgia dringen die Demokraten ein: In den vergangenen Wochen schrumpfte der Vorsprung von Amtsinhaber Saxy Chambliss von 20 Prozentpunkten auf zwei.

Präsidentschaftskandidat John McCain versucht seit einigen Tagen, mit der Warnung vor einer alles dominierenden Partei zu punkten. Es wäre, so der Republikaner wörtlich, „ein gefährlicher Dreier“, würde Obama ins Weiße Haus einziehen, Harry Reid Mehrheitsführer im Senat sein und Nancy Pelosi die Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Die Umfragen, die ihn bereits abgeschlagen sehen, kommentierte der Republikaner zuversichtlich: Er sei jemand, der stets nach vorne komme, wenn man ihn abgeschrieben habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2008)

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