Hillary Clintons Pyrrhussieg

Demonstrators protest outside of City Hall following the election of Republican Donald Trump as President of the United States in downtown Los Angeles, California
Demonstrators protest outside of City Hall following the election of Republican Donald Trump as President of the United States in downtown Los Angeles, CaliforniaREUTERS
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Hillary Clinton wird US-weit gut zwei Millionen Stimmen mehr erhalten haben als der designierte Präsident, Donald Trump. Doch sie gewann nur dort, wo sie ohnehin schon überlegen war – und jede weitere Stimme ist wertlos.

Washington. „Die stille Mehrheit steht hinter Trump“: Diesen Slogan sah man auf Donald Trumps Wahlkundgebungen überall, auf T-Shirts, Schildern und Aufklebern. Mit dieser Botschaft hatte sich schon Richard Nixon vor einem halben Jahrhundert inmitten der sozialen Verwerfungen der 1960er-Jahre als Fürsprecher einer fleißigen, patriotischen, gottesfürchtigen (und, unausgesprochen: weißen) Mehrheit geriert, die nicht mehr länger stumm vor dem Chaos der Straßenschlachten, des radikalen schwarzen Nationalismus der Black Panthers und der linken Fundamentalkritik stehen konnte und aus der Anonymität an die Wahlurnen drängte.

Doch ebenso wenig, wie Nixon im Jahr 1968 dank dieser mythologischen weißen Mehrheit ins Weiße Haus gewählt wurde, fußt Trumps Wahlsieg auf einer solchen. Tatsächlich hat Trump nicht einmal eine allgemeine, landesweite Mehrheit der Amerikaner aller Schichten und Ethnien hinter sich vereint. Mehrere Millionen an Wahlzetteln sind noch nicht ausgezählt, doch schon jetzt liegt Hillary Clinton um eine halbe Million Stimmen vor Trump. Der Politikforscher Dave Wasserman vom Cook Political Report fasst die vorläufigen Ergebnisse aus allen US-Teilstaaten laufend in einer Tabelle zusammen. Per Freitagmorgen waren für Clinton rund 60,6 Millionen Stimmen registriert, für Trump hingegen nur 60,1 Millionen. In Prozentzahlen ausgedrückt hat sie derzeit 47,6 Prozent, Trump 47,3 Prozent. Auf Drittkandidaten entfielen bisher ausgezählte 6,5 Millionen Stimmen (5,1 Prozent).

Der Vorsprung Clintons auf Trump wird bis zum 19. Dezember, wenn das Kollegium der 538 Wahlmänner zusammentritt, um Trump formal zum Präsidenten und Mike Pence zu seinem Vize zu wählen, noch wachsen. Sie könnte auf Basis der bisherigen Auszählungsergebnisse um gut zwei Millionen Stimmen vor Trump liegen.

James Madisons ominöses Erbe

Dennoch ist Trump der designierte Präsident, denn im Wahlmännerkolleg (dem natürlich viele Frauen angehören) hat er mit bereits 290 zu 228 Stimmen die Nase klar vorn (20 Stimmen sind noch zu vergeben). An diesem Ergebnis werden die Millionen von Stimmen, die nun noch Clinton zugeschrieben werden, nichts ändern. Denn sie gewann in Staaten dazu, die ohnehin bereits überwältigend für sie stimmten, allen voran Kalifornien und Washington State.

Clinton erhielt also Millionen von Stimmen, die sinnbildlich gesprochen leere Kalorien waren. Hingegen versagte ihre Kampagne darin, in bisherigen demokratischen Hochburgen wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin die Basis zu aktivieren. In Michigan lag Clinton rund 11.000 Stimmen hinter Trump – doch allein in Wayne County, wo die schwarze Metropole Detroit liegt, hat sie um rund 90.000 Stimmen weniger bekommen als Barack Obama vor vier Jahren. Viele Demokraten zürnen nun dem Wahlrecht, das kleinen Staaten übermäßig starkes Gewicht gibt. Schon im Jahr 2000 verlor ihr Kandidat Al Gore, obwohl er eine halbe Million Stimmen mehr bekommen hatte als George W. Bush. Doch das Electoral College ist aus der Geschichte von Amerikas Staatswerdung zu erklären, die ja auf einem Zusammenschluss von 13 britischen Kolonien fußte, die sich als eigenständig sahen.

1787, bei der Verfassungskonferenz in Philadelphia, argumentiert James Madison aus Virginia stellvertretend für die anderen südlichen, bevölkerungsärmeren Kolonien für die Einrichtung dieses Kollegiums. Und er boxte eine Verfassungsnorm durch, die aus heutiger Sicht barbarisch anmutet: Schwarze durften nicht wählen, aber jeder schwarze Sklave wurde zu drei Fünfteln einer „vollwertigen“ Person in die Berechnung der Wählmänner der einzelnen Staaten einbezogen. Dieser „Three-Fifths Compromise“ wurde zwar nach dem Bürgerkrieg mit dem 14. Verfassungszusatz 1868 abgeschafft. Doch das überproportionale Gewicht der konservativeren Südstaaten bei Präsidentenwahlen bleibt dank des Wahlmännerkollegs bis in die Gegenwart bestehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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