Analyse. Der Niedergang der Stadtpartei hat sich unter Manfred Juraczka verstärkt. Dabei könnte Wiens ÖVP von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll und dem Beispiel Wiener Neustadt lernen.
Wien. Es war einmal. Es war einmal ein ÖVP-Bundesparteiobmann, der hat bei seinem Amtsantritt zur „Eroberung der Städte“ aufgerufen. Das war 1995, als Wolfgang Schüssel bei seiner Kür den Delegierten ins Gewissen redete. Heute, 20 Jahre später, ist die Wiener ÖVP von dieser Vorgabe weiter entfernt denn je. Spitzenkandidat Manfred Juraczka ist im rot-blauen Duell untergegangen. Bundesparteiobmann Reinhold Mitterlehner hat im Wahlkampf weitgehend tatenlos zugesehen.
Der Wahlabschluss der Wiener Landespartei war bezeichnend: Juraczka, verlassen von der schwarzen Bundesparteispitze. Nur Familienministerin Sophie Karmasin und Staatssekretär Harald Mahrer waren pflichtschuldigst erschienen. Mitterlehner war, wie es hieß, terminlich verhindert. Auch der schwarze Jungstar, Außenminister Sebastian Kurz, der der Wiener ÖVP mit seinem Personalwunsch Figl im ersten Bezirk die Probleme und die zur FPÖ übergelaufene Ursula Stenzel eingebrockt hatte, fehlte. An dem sich abzeichnenden Misserfolg der Wiener ÖVP wollte der Bundesobmann, der sich vor einem Jahr noch als „Django“ hat feiern lassen, ebenso wie die schwarze Nachwuchshoffnung, der mögliche Mitterlehner-Nachfolger Kurz, möglichst wenig anstreifen.
Daran änderten die im Wahlkampffinish zum Einsatz gekommenen Plakate mit Juraczkas Mitgliedern des ÖVP-Teams in der Bundesregierung nichts mehr.
Positivbeispiel Graz
Dabei hätte der blass-graue Spitzenkandidat jede Hilfe brauchen können. Juraczka hat die Schaffung von Arbeitsplätzen zu einem seiner zentralen Wahlkampfthemen erkoren. Wer, wenn nicht ein Wirtschaftsminister hätte ihm dabei zur Seite springen können? Dieser heißt ebenfalls Reinhold Mitterlehner.
Eroberung der Städte? Die steirische Landeshauptstadt Graz unter ihrem schwarzen Bürgermeister, Siegfried Nagl, hat es längst bewiesen, dass eine früher SPÖ-geführte Stadt, in der ähnlich wie in Wien die Grünen stark sind, für die Volkspartei einnehmbar ist. Aber die dahinsiechende Wiener Partei hätte gar nicht über den Semmering blicken müssen.
Niederösterreichs ÖVP hat es in Wiener Neustadt erst im Jänner vorgezeigt, dass als uneinnehmbar geltende rote Bastionen fallen können. Landesparteichef Erwin Pröll investierte einiges: Er schickte mit seinem loyalen Klubobmann Klaus Schneeberger einen Mann mit politischem Gewicht in das Rennen gegen einen unverbrauchten SPÖ-Bürgermeister. Schneeberger hatte einen Vorteil: Er kommt aus Wiener Neustadt. Aber jeder hat ihm und dem von ihm mitgerissenen Parteiumfeld angemerkt, dass sie eine Veränderung wollen und an diese glauben. Gemeinsam mit anderen Parteien, darunter den Grünen, stürzte die ÖVP nach 70 Jahren den roten Bürgermeister. Das Ereignis jagte den Sozialdemokraten in der Bundeshauptstadt einen Schrecken ein, dass sogar gewarnt wurde, Wien dürfe nicht Wiener Neustadt werden.
In Wien steht Mitterlehner vor einer zertrümmerten Landespartei. Diese lockt gerade noch eingefleischte Kernwähler an. Für jemanden, der wie Mitterlehner heuer beim Bundesparteitag den Anspruch erhoben hat, Bundeskanzler werden zu wollen, sind das alles andere als rosige Aussichten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2015)