„Ish bin ein Bearleener“

Kennedy in Berlin
Kennedy in BerlinEPA
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1963. John F. Kennedys Auftritt in Berlin mit der populärsten Rede seiner Amtszeit. So eine jubelnde Menschenmenge hat die geteilte Millionenstadt nie wieder erlebt.

Am 26. Juni 1963, vor unglaublichen 50 Jahren also, sorgte ein jugendlicher US-Präsident für die größte Menschenmenge, die sich je in Berlin zusammengefunden hatte. 450.000 jubelten sich die Kehle heiser. Der Besuch des 46 Jahre alten J. F. Kennedy in der Millionenstadt, die seit zwei Jahren durch eine Mauer zerrissen war, sollte eine Demonstration sein.

Das Signal an die Westberliner fiel deutlich aus, freilich mehr aus politischem Kalkül. Amerika brauchte die westdeutsche Bundesrepublik als Verbündeten im Kampf der freien Welt gegen sowjetische Expansionsgelüste in aller Welt.

Und so gipfelte Kennedys berühmte Ansprache vor dem Schöneberger Rathaus in den Worten: „Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner.“

Ein blendender Redner – wie Obama

„Ich bin ein Berliner!“ Diese vier deutschen Worte hatte er sich phonetisch notiert und vor seinem Auftritt im Büro von Bürgermeister Willy Brandt mit dessen Sekretär Egon Bahr immer wieder geübt. Kennedy wusste um die Zauberwirkung pathetischer Reden. Seine Ansprache gilt heute als Musterbeispiel großer rhetorischer Leistungen.

Da war – wie stets in der Politik – viel Schaustellerei, Heuchelei und Falschheit dabei. Kennedy konnte mit dem 87-jährigen Bundeskanzler Konrad Adenauer wenig anfangen – einem Mann der Vergangenheit. Adenauer (CDU) wiederum tat alles, um dem Berliner Bürgermeister und SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt, die Schau zu stehlen. Dem zerrissenen Berlin galt nicht seine größte Liebe. Er war Rheinländer.

Und daher bot er – was erst viel später herauskam – 1961, während der Berlin-Krise, der US-Regierung einen Deal an: Moskau könne ruhig ganz Berlin verschlucken, wenn es dafür Thüringen, Teile von Mecklenburg und Sachsen dem freien Westen zuschlage. Das ergäbe logischere Besatzungszonen. Der gerade erst gewählte Präsident Kennedy ging damals nicht darauf ein. Aber seitdem misstraute er dem alten Fuchs.

Hitlers Anfänge faszinierten ihn

Zu Deutschland hatte der Spross einer reichen US-Familie ein seltsames Verhältnis. 1937 notierte der junge Mann bei einer Europareise – wohl auch unter dem Einfluss seines deutschfreundlichen Vaters Joseph – über das Nazi-Regime: „Ich komme zu dem Schluss, dass der Faschismus das Richtige für Deutschland und Italien ist.“ Und: „Was sind die Übel des Faschismus im Vergleich zum Kommunismus?“ Zwei Wochen später: „Die Deutschen sind wirklich zu gut – deshalb rottet man sich gegen sie zusammen, um sich zu schützen.“ Er schwärmte von den deutschen Autobahnen: „Das sind die besten Straßen der Welt.“ Zwischen Aversion und Anziehung schwankte sein Urteil. Sie waren ihm unheimlich, die Deutschen. Im Weltkrieg hatte er mit ihnen nichts zu tun, er kämpfte auf einem Schnellboot im Pazifik.

Zu Beginn des Jahres 1963 erfuhr Adenauer, dass der US-Präsident Italien besuchen wolle. Er lud ihn zu einem Abstecher nach Bonn ein. Von Berlin war noch keine Rede. Doch im März wurde Kennedy erstmals konkret: Wenn schon nach Deutschland, dann hoffe er, „auch nach Berlin gehen (zu können)“. Brandt, der dem Präsidenten nicht nur altersmäßig, sondern auch politisch wesentlich näher stand, gewann den Hahnenkampf mit den Bonner Regierungsstellen erst drei Monate vor dem Besuch.

Die Beziehungen waren unterkühlt. Das war noch das Freundlichste, was sich sagen lässt. „Eisiger Raureif hatte mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten das deutsch-amerikanische Verhältnis überzogen“, charakterisierte der „Spiegel“ kurz vor dem Besuch die Lage.

Wenigstens am dritten Tag seines Deutschland-Besuchs kam Kennedy also nach Berlin. Würde es ihm gelingen, die Deutschen für sich zu gewinnen? Immerhin hatte er keinen Finger gerührt, als Ostberlin die Mauer quer durch die Stadt baute. Die USA wollten wegen Berlin keinen Weltkrieg. Das war klug. Aber die Berliner fühlten sich seither im Stich gelassen.

So glich sein (später) Besuch einer Triumphfahrt, auch für Brandt, der die Sache sehr genoss. Adenauer musste als Dritter gute Miene machen. Man brachte den US-Präsidenten zu einer von den Briten errichteten Aussichtsplattform am Brandenburger Tor, aber der Ausblick auf die östliche Seite blieb ihm verwehrt: Die DDR hatte mit roten Fahnen die Aussicht versperrt.

Zwei Millionen auf den Straßen

Danach fuhr man im offenen Fahrzeug weiter zum Schöneberger Rathaus. Es war übrigens jene Limousine, in der Kennedy wenige Monate später erschossen wurde. Die Rede vor geschätzten 450.000 jubelnden Menschen war der Höhepunkt der Reise. Auf seiner Fahrt durch Berlin dürften rund zwei Millionen Menschen auf den Straßen gewesen sein. Das Manuskript ist in Berlin verwahrt, ebenso der berühmte „Spickzettel“ mit handschriftlichen Notizen, die er vor dem noch rasch Auftritt hinwarf.

„...Wenn es in der Welt Menschen geben sollte, die nicht verstehen oder nicht zu verstehen vorgeben, worum es heute in der Auseinandersetzung zwischen der freien Welt und dem Kommunismus geht, dann können wir ihnen nur sagen, sie sollen nach Berlin kommen!

Es gibt Leute, die sagen, dem Kommunismus gehöre die Zukunft. Sie sollen nach Berlin kommen!

Und es gibt wieder andere in Europa und in anderen Teilen der Welt, die behaupten, man könne mit dem Kommunismus zusammenarbeiten. Auch sie sollen nach Berlin kommen!

[. . .] Ein Leben in Freiheit ist nicht leicht, und die Demokratie ist nicht vollkommen. Aber wir hatten es nie nötig, eine Mauer aufzubauen, um unsere Leute bei uns zu halten und sie daran zu hindern, woanders hinzugehen.

[. . .] Was für Berlin gilt, gilt für Deutschland: Ein echter Friede in Europa kann nicht gewährleistet werden, solange jedem vierten Deutschen das Grundrecht einer freien Wahl vorenthalten wird. In 18 Jahren Frieden und der erprobten Verlässlichkeit hat diese Generation der Deutschen sich das Recht verdient, frei zu sein, einschließlich des Rechtes, die Familien und die Nation in dauerhaftem Frieden wiedervereinigt zu sehen, in gutem Willen gegen jedermann.

[. . .] Wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle die Freiheit haben und Ihre Stadt und Ihr Land wieder vereint sind, wenn Europa geeint ist und Bestandteil eines friedvollen und zu höchsten Hoffnungen berechtigten Erdteiles, dann, wenn dieser Tag gekommen sein wird, können Sie mit Befriedigung von sich sagen, dass die Berliner und diese Stadt Berlin 20 Jahre die Front gehalten haben...“

Der mediale Aufwand war enorm. Die Zeitungen überschlugen sich, ARD und ZDF widmeten dem Besuch 15 Stunden Sendezeit; mehr als 30 Kameras auf Kränen, Hausdächern und Autos sowie eine drahtlose Kamera (!) wurden eingesetzt.

Kennedy hatte gewonnen. Und war ungemein erleichtert. Beim Abschied sagte er: „Wenn ich einmal das Weiße Haus verlasse, dann wird mein Nachfolger einen Brief in meinem Schreibtisch finden mit der Aufschrift ,Nur in Augenblicken tiefster Depression zu öffnen!‘ In diesem Brief stehen nur drei Worte: Besuchen Sie Deutschland!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)

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