Ein internationaler Skizirkus in Pötzleinsdorf

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Apropos Sotschi: 1896 brachte der ÖSV fünf Norweger zum ersten Skirennen in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Auf der Michaelerwiese präparierte man eine Piste und errichtete einen eigenen VIP-Bereich für Adelige.

Dass der internationale Skizirkus im Jahr 2015 in Wien einen Zwischenstopp einlegen wird, sorgt schon jetzt für Aufregung bei den Fans. Dass der kurze Parcours von der Gloriette hinunter in den Barockgarten keine große Herausforderung sein wird, tut nichts zur Sache. Marketing ist alles. Und das seit fast 120 Jahren.

Am 5. und 6. Jänner 1896 schrien es die Plakate in der Reichshaupt- und Residenzstadt von den Litfaßsäulen: „Habt Acht, die Norweger kommen! Hinaus zur großen Sensation, hinaus nach Pötzleinsdorf, auf die Michaelerwiese!“

Was war geschehen? Um den neumodischen Sport, der aus Skandinavien kam, hierzulande populär zu machen, hatte der rührige Herr Präsident des drei Jahre zuvor gegründeten „Ersten Österr. Skivereins“ tief in die Tasche gegriffen und Quasi-Profis nach Wien zum Wettfahren eingeladen: Die fünf besten Skiläufer aus Norwegen bekamen Reise- und Aufenthaltsgeld, erzählt der Sportjournalist Josef Metzger, der unserem Blatt 35 Jahre lang gedient hat. Sie waren echte Stars, mit denen sich ein dementsprechender Kult betreiben ließ, auch das gab's nämlich anno dazumal schon.

Das enorme Interesse wurde durch Wiens Zeitungen noch angefacht, die sich schon seit Tagen über den Auftritt der nordischen Skigötter überschlagen hatten. „Die Trendsetter waren in aller Munde“, weiß Metzger zu berichten, „das internationale Wettlaufen war Tagesgespräch von Wien.“ Die Hautevolee putzte sich heraus und fuhr im Fiaker nach Pötzleinsdorf, jenen Vorort am Fuß des Michaelerwaldes, der erst vier Jahre zuvor der Gemeinde Wien einverleibt worden war. Und das einfache Volk? Das fuhr mit der Tramway bis zur Endstation Herbeckstraße in Gersthof, und wanderte per pedes zum Wettkampfplatz. Eine reife Leistung, dieser Fußmarsch . . .

Ein VIP-Bereich wie heute

Für die geladenen und hochwohlgeborenen Ehrengäste (etwa den Ministerpräsidenten Alfred Fürst Windisch-Graetz) war eine eigene Tribüne mit Logensitzen um 4000 Kronen errichtet worden, während ein Menschenspalier aus zwei Reihen die Rennstrecke von oben bis unten säumte. „Natürlich gab's auch Stände, die für Speis und Trank sorgten, dazu spielte eine Militärkapelle auf – alles inszeniert wie ein bühnenreifes Spektakel“, berichtet Metzger, der jüngst die Festschrift zum 100. Geburtstag des Wiener Skiverbands verfasst hat.

Die fünf Norweger fuhren dann alle Mitbewerber in Grund und Boden. Da nutzte auch der Heimvorteil eines gewissen Herrn Ludwig Strasser nichts. Der war der Wirt in Pötzleinsdorf und er hatte auch die Idee für das Spektakel. Immerhin war seine Schenke das Vereinslokal des ÖSV.

Und es gab ja auch einiges zu sehen. Nicht nur Schussfahrten in beängstigendem Tempo, sondern auch einen Langlaufbewerb. Der führte zwölf Kilometer von Pötzleinsdorf übers Hamaeu, Weidling am Bach und Dreimarkstein zurück nach Pötzleinsdorf. Franz Herberger, ein Briefträger vom Semmering, schlug sich wacker und belegte den vierten Platz hinter einem Norweger-Trio. Spektakulär natürlich auch der Sprungbewerb. Über aufgeschaufelte Schanzen wurden Weiten von fünfzehn Metern erzielt. Das Staunen des Publikums war groß.

Der Run auf die Tischler nahm sprunghaft zu. „Schneeschuhe sollen aus gutem Holz mit entsprechender Faserung sein, gut federn, nicht seitlich verzogen oder windschief sein, trocken sein (zur Prüfung ein kleines Loch bohren, Späne müssen sich leicht abreiben), keine Sprünge haben, einen guten hellen Lack haben (mit dem Messer einen kleinen Kratzer machen) . . .“ So lehrte es Professor Erwin Mehl, der später die Universitätsturnanstalt gründete. Und: „Das gebräuchlichste Holz ist breitfaserige Esche. Widerstandsfähiger ist Hickory, das sich vortrefflich für Sprungbrettln eignet. Für Fahrtenbrettln ist es sehr schwer. Dafür ist das leichte, aber doch äußerst zähe Holz der schwedischen Birke empfehlenswerter.“

Der Zulauf war so groß, dass die Übungswiese für die berufstätigen Sportler jeden Dienstag- und Donnerstagabend beleuchtet wurde. Die „Allgemeine Sportzeitung“ des millionenschweren Sportjournalisten Victor Silberer ließ wissen: „. . .Sobald die Schneedecke auf dem Übungsplatz in Pötzleinsdorf die nötige Tiefe erlangt, wird dies bekannt gegeben werden.“ Ein Nachtskilauf also, wie heute am Semmering oder auf der Hohen-Wand-Wiese. Alles freilich nach Norweger-Technik, versteht sich: sanft bergab, bergauf oder geradeaus, also eher Langlauf.

Bis dahin hatten in Pötzleinsdorf, der Wiege des Wiener Skilaufs, hauptsächlich junge Burschen aus Gersthof für Aufsehen gesorgt, die sich 1887 zu einem Männerturnverein zusammengeschlossen hatten. Und so gerieten sie nichtsahnend mitten in einen Konflikt, der wie der Streit um des Kaisers Bart anmutet, damals aber mit wissenschaftlichem Ernst und wütenden Pamphleten ausgetragen wurde: Nordischer Stil – oder Zdarsky-Jünger, das war die Frage.

Quälgeist und Streithansel: Zdarsky

Der Lilienfelder Mathias Zdarsky war zwar feinsinniger Künstler, wenn es aber um seine Erfindung, die Skibindung und die Einstocktechnik, ging, dann konnte er zum Quälgeist, zum Streithansel und Rechthaber werden. Der geborene Mährer, auf einem Auge blind, verteidigte seine Skilehre, die er in Lilienfeld predigte, gegen die norwegische Methode mit einem heiligen Zorn, der besserer Ziele würdig gewesen wäre. Weil die Pötzleinsdorfer weiter treue Norweger-Fans blieben, zogen Zdarskys Anhänger auf die Hackinger Wiese im Westen Wiens um. Die Beleuchtung ihrer Nachtpiste besorgten die Bogenlampen der nahen Stadtbahn. Trotz all dieser Querelen steht Zdarsky völlig zu Recht in allen Geschichtsbüchern des Skilaufs. Lange tüftelte er an seiner revolutionären Erfindung, der Lilienfelder Stahlsohlenbindung. Außerdem sägte er seine 2,50 Meter langen Latten einfach um 50 Zentimeter ab. Nun war erstmals ein Stemmbogen möglich. Und so konnte man Skitouren wagen, die auch eine halbwegs sichere Heimkehr versprachen. Der finanziell betuchte Wiener Skiverband kaufte die Schutzhütte auf dem Stuhleck oberhalb von Spital/S. und benannte sie zu Ehren des vergötterten Idols nach Fridtjof Nansen. Von „Schutz“ konnte freilich wenig die Rede sein, die Hütte wurde mehrmals ausgeraubt, letztlich verfiel sie. Fridtjof Nansen brachte ihr kein Glück.

Josef Metzger „Es begann in Wien Eine Spurensuche im Schnee“ Echomedia, 231 Seiten, 24,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2014)

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